Heidi Wasserblum

Hundertwasser-Tochter spricht im „Krone“-Interview

Österreich
27.04.2013 15:20
Beinahe verloren wartet sie - umgeben von farbigen Zwiebeltürmen, Bäumen, die aus Wänden wachsen, blühenden Hängepflanzen und fröhlichen Mosaiken - im Café "Dunkelbunt". Die Hände hat sie fest um eine Tasse Tee geschlungen. Es sei ihr nicht leicht gefallen, an die Öffentlichkeit zu treten, erzählt sie, aber der Kastanienbaum drüben am Kolonitzplatz habe ihr auf dem Weg hierher Kraft gespendet. Auffallend: ihre großen, wasserblauen, traurigen Augen.

Das Dach des Hundertwasser-Museums im dritten Wiener Gemeindebezirk ist für sie ein heiliger Berg. "Dort hat mein Vater 50 Bäume gepflanzt", erzählt sie strahlend und atmet Luft und Sonne ein. Heidi T. - sie nennt sich Wasserblum - ist das einzige Kind des vor 13 Jahren verstorbenen Künstlers. Geboren 1982 - Hundertwassers Website notiert zu diesem Jahr 27 Zeilen künstlerische Erfolge, aber mit keinem Wort die Geburt der Tochter.

Für "Krone"-Fotograf Kristian Bissuti posiert die 30-jährige Umweltmeteorologin in einer Wiese mit dunkelvioletten Rauchfangkehrern, lässt einen Maikäfer über ihren Zeigefinger krabbeln und umarmt die knorrigen Äste einer Linde.

Heidi Wasserblum spricht sehr leise und macht oft lange Nachdenkpausen. Wichtige Gedanken hat sie vorausschauend auf kleinen, ausgerissenen recycelten Zettelchen notiert.

"Krone": Warum nennen Sie sich Wasserblum?
Heidi Wasserblum: Das Wort "Wasser" habe ich geerbt – mein Großvater hat schon Stowasser geheißen. Außerdem ist die Wasserblume für mich der Inbegriff der Transformation. Eine Lotusblüte zum Beispiel wurzelt in der Erde - im Schlamm und Dreck - und kommt dann an die Oberfläche. Dasselbe passiert mit mir momentan...

"Krone": Auch Sie kommen jetzt an die Oberfläche. Was ging diesem Schritt voraus?
Wasserblum: Ein langsamer Prozess. Man muss bedenken, dass ich den größten Teil meines Lebens versteckt war und niemand wusste, wer mein Vater war – außer mir selber, meiner Mutter und unseren engsten Freunden.

"Krone": Wie und wann hat Ihre Mutter Ihnen das erklärt?
Wasserblum: Ich weiß es ab dem Moment, wo ich es verstehen konnte. Ich war vielleicht drei, vier Jahre alt.

"Krone": Was sagt der Name Friedensreich Hundertwasser einem vierjährigen Kind?
Wasserblum: Wir hatten Postkarten von ihm, die ich wunderschön fand. Ich habe ihn aber auch geliebt für das, was er gesagt hat. "Wir leben im Paradies, wir machen es nur kaputt." Oder: "Überall wo im Winter Schnee liegt, muss es im Sommer grün sein – das Waagrechte gehört der Natur." Am meisten aber hat mich der Satz "Jeder Regentropfen ist ein Kuss vom Himmel" berührt. So bin ich mit seiner Philosophie aufgewachsen. Die Natur ist das Wichtigste in meinem ganzen Leben.

"Krone": Das sind schöne Sätze, aber haben Sie sich nicht gewünscht, dass seine Liebe Ihnen gelten sollte? Hat es nicht weh getan, die heimliche Tochter von ihm zu sein?
Wasserblum: Ich kannte es nicht anders, und deshalb habe ich mich wohl damit arrangiert. Aber es war immer tief in mir drinnen, dass da etwas ist, das rauskommen möchte, das ich unterdrücke.

"Krone": Haben Sie ständig gewartet, dass er endlich kommt?
Wasserblum: Dass wir alle zusammenziehen, davon habe ich nie geträumt. Dazu war mir viel zu klar, wie viel Platz und Ruhe mein Vater brauchte. Ich wollte nur eine Freundschaft. Die Möglichkeit, ihn einfach anrufen zu können, wenn ich wieder etwas Neues entdeckt hatte.

"Krone": Warum gab es diese Möglichkeit nicht?
Wasserblum: Meine Mutter hat mir das damals so erklärt: Mein Vater sei gerade sehr beschäftigt, er bringe ganz große Dinge in Bewegung, die wichtig sind für die Welt, und das habe ich akzeptiert. So habe ich ihm nicht übel genommen, dass er nicht da war. Sie meinte auch, dass er mit kleinen Kindern nichts anfangen könne. "Aber wenn du größer bist, wird er sich sicher freuen, wenn er intelligente Gespräche mit dir führen kann." Deswegen hab ich brav in der Schule gelernt.

"Krone": Ein Kindheitsfoto, auf dem Sie beide zu sehen sind, zeigt Sie als sechsjähriges Mädchen, das die Hand der Mutter in die Nähe des Vaters zieht. Hundertwasser steht, ohne eine Miene zu verziehen, neben dem damaligen steirischen Landeshauptmann Joschi Krainer und Diözesanbischof Johann Weber bei der Eröffnungsfeier seiner Kirche in Bärnbach. Was geht durch Ihren Kopf, wenn Sie das Bild betrachten?
Wasserblum: Dass ich ihm damals so nahe war wie vorher und nachher nie mehr. Das war spannend.

"Krone": War es nicht eher traurig?
Wasserblum: Traurig ist das falsche Wort (denkt lange nach). Na ja, vielleicht ist es doch das richtige Wort. Sicher war es traurig. Weil ich ihn eben nie richtig getroffen habe.

"Krone": Man könnte auch sagen, Hundertwasser wollte sein Kind nicht sehen.
Wasserblum: Ich weiss nur, dass er als Vater in meiner Geburtsurkunde steht. Und er hat auch regelmäßig Alimente für mich gezahlt. Ich habe ihm, als ich 17 war, einen letzten Brief geschrieben.

"Krone": Hat er geantwortet?
Wasserblum: Nein, und ich werde auch nie wissen, was er geantwortet hätte. Es tut immer noch weh, wenn ich daran denke. Mein Plan war es, die Matura fertig zu machen und ihn dann in Neuseeland aufzusuchen. Am 19. Februar 2000 – ein paar Monate vorher – habe ich im Radio gehört, dass er gestorben ist. Es fühlte sich an, als ob die ganze Welt zusammenstürzen würde.

"Krone": Was war Ihre erste Reaktion?
Wasserblum: Ich habe mich nackt ausgezogen und alle Bilder und Plakate von den Wänden gerissen. Dann habe ich geweint.

"Krone": "Ich freue mich schon darauf, selbst zu Humus zu werden, begraben nackt und ohne Sarg unter einem Baum", hat Ihr Vater einmal gesagt.
Wasserblum: Ich weiß... wahrscheinlich wollte ich mich unbewusst am liebsten zu ihm dazulegen.

"Krone": Glauben Sie eigentlich, dass es noch Geschwister geben könnte?
Wasserblum: Ich habe die große Hoffnung, dass ich nicht das einzige Kind von Friedensreich Hundertwasser bin. Auch mich kannte niemand, wieso soll es also nicht noch andere unbekannte Kinder geben? Sollte ich Halbgeschwister haben, möchte ich sie unbedingt treffen.

"Krone": Sie haben mit Ihrer Strafanzeige Klagsdrohung gegen den Manager ihres Vaters, der auch Vorsitzender der Hundertwasser-Stiftung ist, auf sich aufmerksam gemacht. Um wie viel Geld geht es da?
Wasserblum: Da geht es mir vordergründig gar nicht um Geld. Ich möchte einfach endlich, dass die Wahrheit herauskommt. In der Strafanzeige geht es konkret um wertvolle Immobilien in Venedig und Neuseeland, um die Verwertungsrechte, aber auch um Originalbilder.

"Krone": Aber Sie haben, nachdem Sie abgefertigt wurden mit 145.000 Euro und einem Bild Ihres Vaters, auf ihre Ansprüche gegen die Verlassenschaft verzichtet, einen Erbverzicht unterschrieben.
Wasserblum: Das ist korrekt, damals war ich 19. Aber später habe ich Dinge erfahren, die man mir damals nicht oder unrichtig gesagt hat. Zum Beispiel, dass mein Vater die letzten zwei Jahre nichts mehr gemalt hat. Nun habe ich ich herausgefunden, dass im Werksverzeichnis über 15 Bilder für diesen Zeitraum angegeben wurden. Mein Vater hat sehr sparsam gelebt und sein Geld sehr bewusst ausgegeben, für seine Kunst oder für ökologische Projekte, die ihm wichtig waren. Ich will einfach sichergehen, dass mit seinem Nachlass ebenso bewusst umgegangen wird, wie er das meiner Meinung nach gerne gesehen hätte.

"Krone": Sie zweifeln daran?
Wasserblum: Es ist für mich aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar, wieso die Stiftung Geldprobleme haben sollte.

"Krone": Beim Erben geht es ja selten nur ums Geld. Worum geht's bei Ihnen?
Wasserblum: Ich bin nach einer kurzen Führung vom Grundstück meines Vaters in Neuseeland verwiesen worden. Ich darf nicht nach Venedig, wo er gearbeitet hat, ich darf nicht einmal in sein Archiv, ich darf seine Tagebücher nicht lesen! Ich werde totgeschwiegen. Das tut alles sehr weh. Ich habe ekommen.

"Krone": Wer unterstützt Sie in Ihrem Bemühen, das Leben des Vaters zu rekonstruieren?
Wasserblum: Ich habe vor zwei Jahren langsam begonnen, Menschen zu treffen, die ihn kannten. Jeder von ihnen hat mir neue Geschichten und Aspekte erzählt. Immer wenn ich denke, jetzt weiß ich alles über meinen Vater, kommt wieder so ein kleines, liebenswertes Detail. Zum Beispiel habe ich erst unlängst erfahren, dass hier oben auf dem Dach des Kunsthauses ein Kaninchen gelebt hat.

"Krone": Warum haben Sie erst vor zwei Jahren so intensiv zu recherchieren begonnen?
Wasserblum: Vorher hatte ich riesengroße Angst. Es musste jemand kommen und mich anfangs an der Hand nehmen. Jetzt wächst mein Selbstbewusstsein langsam. Manche Gesprächspartner habe ich knapp vor deren Tod noch getroffen. Das alles hätte ich verpasst, wenn ich mich noch länger verkrochen hätte.

"Krone": Was lebt von Friedensreich Hundertwasser in seiner Tochter weiter?
Wasserblum: Oh, da ist so vieles (strahlt über das ganze Gesicht). Obwohl ich ihn als Vater nie erlebt habe, beeinflusst er maßgeblich mein Leben - vor allem mit seiner Wertschätzung vor der Natur und seiner Neugier. Ich bin wie er ein Mensch, der die Natur und den Frieden liebt und der danach strebt, Zusammenhänge zu begreifen und sichtbar zu machen - besonders die Natur betreffend. Auch sein Gedanke von der abfallfreien Gesellschaft beschäftigt mich in allem, was ich tue. Mein Vater hat ja sogar, wenn er einen Käse gekauft hat, die Verpackung aufgegessen. Ich freue mich, wenn ich eine neue Funktion für etwas finde, das in den Müll soll. Aus der Innenseite von alten Tetrapacks mache ich zum Beispiel Bilderrahmen, die Plastikförmchen von Bonbonnieren zum Beispiel verwende ich für Eiswürfel, und die Tür einer alten Waschmaschine dient mir jetzt als Obstschüssel. Vielleicht mache ich das noch irgendwann zu meinem Beruf.

"Krone": Waren Sie schlussendlich in Neuseeland, wo Ihr Vater zuletzt gelebt hat und wo er auch gestorben ist?
Wasserblum: Ja, vor zwei Jahren war ich in Kawakawa. Ich war überwältigt, wie intensiv man ihn noch überall spüren konnte. Jeder der knapp 2.000 Einwohner hat ihn gekannt. Gemeinsam mit den lokalen Maori wurden dort vor Kurzem (zu seinem 13. Todestag) die ersten Bäume für einen Hundertwasser-Park gepflanzt. Derzeit bin ich in Wien verwurzelt, aber immer wenn es regnet, muss ich an Neuseeland denken.

"Krone": Was würden Sie Ihrem Vater noch gerne sagen?
Wasserblum: Danke, dafür dass er in so vielen Projekten gezeigt hat, was alles möglich ist! Dass ich sein künstlerisches und ökologisches Lebenswerk, egal wie die Justiz entscheidet, weiterführen werde. Ich will einen klaren Kopf und ein offenes Herz behalten, um nie das Wichtigste zu übersehen. Ich möchte das ja schon bestehende weltumspannende Netz mit- und weiterknüpfen, um die Philosophie meines Vaters wieder mehr ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Ich bin dafür, dass jeder Stadtmensch einen Zugang zu einem Dachgarten hat! Wenn man auf einem Dach, das auch eine Wiese ist, steht, kommt man auf ganz andere Gedanken – wie auf einem Berg. Diese Weitsicht ist, glaube ich, sehr wichtig in unserer schnelllebigen Welt. Ich möchte ihm aber noch andere Dinge sagen...

"Krone": Welche?
Wasserblum: Zum Beispiel, dass ich nun in meiner Wohnung in einer Kiste kompostiere! Und dass er etwas sehr Schönes verpasst hat... Mit mir im Stockdunklen durch den blühenden Garten meiner Mutter zu pirschen und dann am Rücken in der großen Wiese liegend die Sterne zu betrachten.

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