Lost in Isolation

Vom Traumurlaub per Flugzeug ins Home-Office

Leben
24.03.2020 21:00

Eigentlich sollte ich mich jetzt gerade auf einem Segelboot befinden. Tag- und Nachtdienste auf einer Nonstop-Reise von der Inselwelt von Kap Verde bis zu den Kanaren machen.

1000 Seemeilen lang nur den Atlantik, das Boot, das Meer, die Wellen und den Wind genießen. Noch vor zwei Wochen habe ich geglaubt, dass dieser Traum möglich ist. Was soll ich sagen - hier bin ich nun, im Home-Office anstatt unter Palmen zu liegen ...

„Warum bist du überhaupt noch weggefahren?“
Zum Antritt meiner anfangs noch unbeschwerten Reise werde ich mit Fragen konfrontiert, wie: „Wirklich, du fährst jetzt noch weg?“ Dieses Abenteuer (das ist eine Überstellung über so eine Distanz mit einem Segelboot tatsächlich) war bereits wochenlang geplant. Kein einziger Coronavirus-Fall auf dem ganzen Insel-Archipel - warum sollte ich diesen Urlaub nicht antreten? Auch in Anbetracht dessen, dass man sich bei einem solchen Unterfangen ja quasi ohnehin in Quarantäne mit den weiteren Crewmitgliedern befindet.

Bei der Ankunft Mitte März auf der Insel Sao Vicente ist die Vorgehensweise der Behörden vorsichtiger als bei meiner Abreise aus Wien oder bei meinem Zwischenstopp in Lissabon. Am Airport von Mindelo wird die Temperatur gemessen und gefragt, ob man unter Husten leidet oder sich krank fühlt. Es wird einem ein Folder mit einer Rufnummer für den Fall der Fälle ausgehändigt. Die Flughafen-Mitarbeiter tragen Gesichtsmasken, jener bei der Visa-Vergabe sogar eine Schutzbrille.

Kaum ist die Kajüte bezogen, trudeln schon die ersten Anrufe und Nachrichten besorgter Menschen aus der Heimat ein. Es gibt nun eine allgemeine Reisewarnung, in Österreich werden Ausgangsbeschränkungen verhängt und die Menschen angehalten, wenn möglich von zu Hause aus zu arbeiten. Ganz anders die Situation auf Sao Vicente: Man darf sich frei bewegen, es werden Hände geschüttelt, auch die Supermarkt-Regale sind gut bestückt. Einheimische und Ausgewanderte können hier noch einen unbeschwerten Alltag genießen, während man in Österreich bereits aufgefordert wird, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Nur an den Hinweisen in Sanitäranlagen und an öffentlichen Gebäuden lässt sich auch auf Kap Verde eine wachsende Sorge vor der Epidemie erahnen. Noch ein paar Tage, dann legen wir ab. Vorbereitet, gesund, auf einem Boot isoliert - endlich für zwei Wochen keine Horror-Nachrichten mehr, kein Social Media, kein Handy. Ich kann es kaum erwarten.

Appell aus der Heimat: „Bitte komm heim!“
Denn die Nachrichtenlage ist düster. Während wir unter Palmen liegen, schotten sich immer mehr europäische Länder ab, Grenzen werden geschlossen. Es scheint ungewiss, ob die geplanten Zwischenstopps inklusive Crew-Wechsel auf den Kanaren und am europäischen Festland möglich sind. Es ist völlig unklar, ob das Boot überhaupt anlegen darf, ob die Mannschaft anschließend in Quarantäne muss oder das Proviantieren von Lebensmitteln möglich sein wird. Dazu kommt, dass wir - mit Ausnahme eines Satellitentelefons - von der Außenwelt abgeschnitten wären.

Der Skipper überlegt sich Alternativen, auch die Mannschaft tendiert dazu, die Reise durchziehen zu wollen. Doch als das Außenministerium alle Österreicher auffordert, so rasch wie möglich - und so lange es noch geht - heimzukehren, nehmen auch die besorgten Anrufe von Freunden und Familie zu. Der Appell „Bitte komm heim!“ zeigt schließlich Wirkung. Auch bei der Hotline des Außenministeriums wird uns Urlaubern geraten, nach Hause zu kommen: Daheim sei die medizinische Versorgung einfach besser, falls sich das Coronavirus auf dem Archipel auch ausbreiten sollte. Die Aussicht, dass der reguläre Flugverkehr in Europa über Wochen, wenn nicht Monate ausgesetzt werden und es keine Möglichkeit mehr zur Heimreise geben könnte, erleichtert zusätzlich die Entscheidung.

Verschärfte Vorsichtsmaßnahmen am Airport innerhalb einer Woche
Mit dieser Vorwarnung wird ein Rückflug gebucht. Beim Zwischenstopp in Lissabon merkt man, dass die Situation angespannter ist als noch vor einer Woche: Im Gastrobereich des Airports wird man darauf aufmerksam gemacht, man solle nur jeden zweiten Sitzplatz besetzen. Über die Lautsprecher wird zu mindestens einem Meter Abstand zu anderen Menschen geraten. Das Verkaufspersonal wird mit zusätzlichen Absperrungen vor dem Tresen geschützt, damit die Kundschaft nicht zu nahe kommen kann. Spender für Desinfektionsmittel befinden sich nicht nur zahlreich in den Sanitäranlagen, sondern auch viele Geschäfte haben diese an der Kassa aufgestellt. Als mir eine Dame in der Warteschlange in einem Café zu nahe kommt, wird sie höflich von der Mitarbeiterin aufgefordert, Abstand zu halten. Die Anzeigetafeln zeigen viele gestrichene Flüge an. Nach einer Nacht auf dem Flughafen bin ich froh, als das Flugzeug in Richtung Heimat abhebt.

Nach einer Fieberkontrolle und dem Hinweis aus dem Lautsprecher, man solle sich auf schnellstem Weg nach Hause begeben, verlasse ich den Flughafen Wien-Schwechat. Urlauber, die nur einen Tag nach mir ankommen, müssen bereits in Quarantäne. Auch ohne diesen Zwang versteht es sich natürlich von selbst, dass ich mich ersteinmal isoliere - auch wenn ich nicht in stark verseuchtem Gebiet unterwegs war.

Angst vor Urlaubern auf Kap Verde wächst
Der Frust über den Urlaubsabbruch ist mittlerweile verflogen und der Erleichterung gewichen - zurück bleibt der Eindruck, dass man auch in der Ferne durch die heimischen Medien sowie die Regierung bestens am Laufenden gehalten wurde. Mittlerweile gibt es auch schon die ersten Coronavirus-Fälle auf dem Inselarchipel Kap Verde - wenn auch nur im einstelligen Bereich. Dort gebliebene Urlauber erzählen, dass die Einheimischen gegenüber „Fremden“ ein wenig skeptischer werden, vor dem Jachthafen sind Polizisten stationiert. Der Bootsverkehr auch zwischen den Inseln wurde untersagt.

Tausende heimische Urlauber sind noch im Ausland gestrandet. Nur wenige Tage nachdem ich noch problemlos nach Hause einreisen konnte, ist die Heimkehr nun deutlich schwieriger. „Fast alles ausgebucht“, berichtet ein Freund, der derzeit in Thailand festsitzt, weil sein Rückflug gestrichen wurde, ohne dass die Fluglinie Bescheid gegeben hatte. Er muss noch mehrere Tage in Indonesien verweilen, bis er schließlich nach Amsterdam weiterfliegen kann. „Wenigstens mal in der EU“, so der Betroffene.

Lost in isolation: Der Großteil unserer Redaktion befindet sich derzeit zu Hause und muss sich - wie alle im Land - in einem völlig neuen Alltag zurechtfinden. Die Herausforderung, Job, Familie und Privatleben unter einen Hut zu bringen, hat eine neue Dimension erreicht. Unsere Erfahrungen und Gedanken zu dieser neuen Realität wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten: krone.at lost in isolation. Alle Artikel unserer Serie finden Sie hier!

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(Bild: kmm)



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