Hamburg schockiert

G20-Randale: “Nie so ein Ausmaß an Gewalt erlebt”

Ausland
08.07.2017 10:54

Hamburg im Ausnahmezustand: Geplünderte Geschäfte, brennende Barrikaden, Wasserwerfer und Tränengas - in der Hansestadt spielten sich Freitagabend und teilweise auch noch Samstagnacht Szenen wie im Bürgerkrieg ab, als die Proteste gegen den G20-Gipfel eskalierten. Die Hamburger Polizei zeigte sich schockiert. "Wir haben noch nie so ein Ausmaß an Hass und Gewalt erlebt", sagte Sprecher Timo Zill. Die Exekutive ging mit einem massiven Aufgebot und Spezialkräften gegen Hunderte Randalierer vor. Erst im Laufe der Nacht beruhigte sich die Lage.

Am Morgen danach wurden die Spuren der Gewalt sichtbar. Geplünderte Geschäfte, auf der Suche nach Wurfgeschossen herausgerissene Pflastersteine, überall Scherben - die zentrale Straße Schulterblatt im Hamburger Schanzenviertel gleicht einem Trümmerfeld. Mehrere Stunden lang tobte hier ein Mob.

"Das ist wie ein Kriegsgebiet, das ist einfach nur Wahnsinn", sagte ein Anwohner erschüttert, als er sich im Schulterblatt die Spuren der Zerstörung ansah. Der 42-Jährige lebt im links geprägten Schanzenviertel und ist von den 1.-Mai-Demos Krawalle vor dem von Autonomen besetzten Kulturzentrum "Rote Flora" eigentlich gewöhnt. Aber die Orgie purer Gewalt, die zuvor über Stunden die Straße zu einer rechtsfreien Zone machte, kann er einfach nicht begreifen: "Das Level der Gewalt will nicht in meinen Kopf gehen."

"Nur diese Bilder bleiben vom G20-Gipfel übrig"
Wie ihm geht es vielen Anrainern, die sich in der Früh nach den schwersten Ausschreitungen in Hamburg seit Jahrzehnten die Schneise der Verwüstung ansahen. Geschäfte im Schulterblatt wurden geplündert - allerdings nur die großer Ketten, kleine Geschäfte blieben verschont -, überall lagen herausgerissene Pflastersteine und Scherben, letzte kleine Flammen schlugen aus den von Linksautonomen in Brand gesteckten Barrikaden aus Mistkübeln, Fahrrädern und Gerüstplatten. "Diese Bilder bleiben von G20 übrig und verdrängen alles andere", sind die Hamburger überzeugt.

Gegen Mitternacht war die Polizei mit einem massiven Aufgebot gegen die nach ihren Angaben etwa 1500 Randalierer vorgerückt. Dort waren auch Geschäfte zerstört und geplündert worden. In der Altonaer Straße wurde ein Geschäft von 500 Randalieren geplündert und anschließend sogar angezündet.

Die Beamten forderten Unbeteiligte auf, sich zu entfernen. Mit gepanzerten Fahrzeugen wurden Barrikaden weggeschoben. Wasserwerfer waren im Einsatz. Die Polizei sprühte auch Tränengas. Über dem Viertel kreisten zwei Hubschrauber mit Suchscheinwerfern.

Polizei zeigte mit Sturmgewehren Präsenz
In diesem Zusammenhang bestätigte die Polizei den Einsatz von Spezialkräften. Die Gefährdung sei erheblich gewesen. Es habe Hinweise darauf gegeben, dass Angriffe mit Molotow-Cocktails, Steinschleudern und Wurfgegenständen vorbereitet worden seien. Am Pferdemarkt zogen Polizisten mit Sturmgewehren auf. Auch ein Warnschuss soll gefallen sein.

Im Laufe der Nacht beruhigte sich die Lage. Vereinzelt kam es in den frühen Morgenstunden noch zu Flaschenwürfen auf Polizeifahrzeuge. Der S-Bahn-Verkehr nahm wieder den Betrieb auf. Die Hamburger Polizei hoffte Samstag früh auf einen friedlicheren Verlauf.

Etwa drei Stunden lang war nach den Gewaltexzessen aufgeräumt worden. Polizisten und auch Bagger waren im Einsatz.

89 Personen nach Exzessen in Gewahrsam
Seit Beginn des Polizeieinsatzes am 22. Juni waren den Polizeiangaben zufolge 114 Menschen festgenommen worden. 89 Personen befinden sich in Gewahrsam. Allein in der Krawallnacht auf Samstag wurden 14 Menschen fest- und 63 in Gewahrsam genommen, wie am Samstagvormittag bekannt gegeben wurde. Polizeisprecher Zill sagte dem Sender N24, dass inzwischen auch einige Haftbefehle erlassen worden seien.

Über 200 Polizisten verletzt, teils "widerliche Angriffe"
213 Beamte wurden bei den Krawallen verletzt, darunter seien aber keine Schwerverletzten. Die Zahl werde aller Voraussicht nach allerdings noch steigen, weil sich manche erfahrungsgemäß erst später meldeten, erklärte ein Polizeisprecher.

Seitens der Polizei Berlin ist von teilweise "widerlichen Angriffen" die Rede, die "nichts mit Meinungsfreiheit zu tun" hätten. Auf Twitter teilte die Polizei Hamburg ein Foto eines durch eine Steinschleuder verletzten Polizisten.

Demonstranten mit eigenen Sanitätern
Zur Zahl der verletzten Demonstranten konnten bisher weder Polizei noch Feuerwehr Angaben machen. Ein Feuerwehrsprecher sagte, die Demonstranten hätten eigene Sanitäter dabei gehabt, sodass sie in vielen Fällen nicht auf fremde Hilfe angewiesen seien.

"Ermittlungsausschuss" sieht Schuld an Gewalt bei Polizei
Der sogenannte G20-Ermittlungsausschuss, der in Kontakt mit Demonstranten steht und sie unterstützt, wies der Polizei die Schuld an den gewalttätigen Auseinandersetzungen zu. Der anwaltliche Notdienst beklagte eine massive Behinderung durch Polizei und Justiz. Am Donnerstag sei ihnen der Zugang zu den Mandanten verwehrt worden, inzwischen seien in geringem Umfang Anbahnungsgespräche mit den Festgenommenen möglich.

Die deutsche Kanzlerin und G20-Gastgeberin Angela Merkel verurteilte die Gewalt. Proteste mit Angriffen auf Polizisten und Brandstiftungen seien "nicht zu akzeptieren". Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sagte: "Hochaggressive, gewalttätige Straftäter bringen Sicherheitskräfte in Bedrängnis und fordern unsere offene Gesellschaft in einer Weise heraus, die für niemanden akzeptabel sein kann." Justizminister Heiko Maas forderte konsequente Strafen.

Demonstranten wollten Abendveranstaltung stören
Die Krawalle beeinträchtigten am Freitag den Ablauf des G20-Partnerprogramms. Die Ehefrau von US-Präsident Donald Trump, Melania Trump, saß stundenlang in ihrer Unterkunft an der Außenalster fest. Demonstranten versuchten unter anderem über die Straßen und auf der Elbe in die Nähe der Elbphilharmonie zu gelangen, wo die G20-Teilnehmer und ausgewählte Gäste später am Abend Beethovens 9. Symphonie hörten. Die Polizei schnitt den rund 5000 Menschen den Weg ab. An den Landungsbrücken kam es zu Auseinandersetzungen, Böller krachten.  Auf der Elbe versuchten Aktivisten von Greenpeace, mit Booten in die Sicherheitszone einzudringen.

Den ganzen Tag gab es aber auch friedliche Kundgebungen Tausender Gipfelgegner.

Kritik an Veranstaltungsort
Angesichts der Eskalation gibt es auch Kritik daran, das Spitzentreffen der Wirtschaftsmächte in einer Millionenstadt wie Hamburg abzuhalten. CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble vereidigte die Wahl, es müssten Tausende Medienvertreter und Teilnehmer untergebracht werden - und das gehe "nur in einer großen Stadt, die die entsprechenden Kapazitäten hat".

EU-Vertreter: "Haben eine gemeinsame G-20-Erklärung"
Etwas untergegangen anhand der Gewalteskalationen sind die Gipfel-Beratungen selbst. Da wurde Samstagvormittag bekan Erklärung - nicht 19 zu 1, sondern mit allen 20", sagte ein EU-Vertreter am Samstagmorgen in Hamburg. Eine offene Frage gebe es lediglich noch beim Klimaschutz. Dagegen sei man sich beim Handel bereits völlig einig geworden.

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