Nach Ural-Meteorit

Wiener Forscher: “Die Erde hat kein Schutzschild”

Wissenschaft
15.02.2013 21:30
Es sei nur ein "relativ kleines Ereignis" gewesen, das Freitag früh das russische Tscheljabinsk erschüttert hat, stapelt Impakt-Experte Christian Köberl tief. Der Direktor des Wiener Naturhistorischen Museums sagt aber auch, "dass wir selbstverständlich im dauernden Kugelhagel der Meteoriten und Asteroiden im Sonnensystem stehen. Die Erde hat kein Schutzschild", so Köberl. Die Menschheit werde zumindest in den nächsten 20 Jahren auch kein solches aufbauen können.

Als Impakt-Spezialist beschäftigt sich Köberl (Bild 2) mit den Einschlägen von Meteoriten und Asteroiden auf der Erde. Er stuft den Zwischenfall in Tscheljabinsk im russischen Uralgebiet als "großen Meteoriten, der in die Erdatmosphäre eindringt", ein. Der auf zahlreichen Amateurvideos und -fotos zu sehende Feuerball zeige die Explosion. Dort sei der Meteorit, den Köberl auf einen Durchmesser von etwa 20 Metern ("Schon hausgroß") schätzt, in mehrere Stücke zerbrochen, die weitergeflogen seien.

"Fliegende Garage"
Sein Kollege, "Science Buster" Werner Gruber (Bild 3), greift zu handfesteren Vergleichen. "Der Meteorit in der Größe einer fliegenden Garage trat in einem ganz flachen Winkel mit einer Geschwindigkeit von 11,2 Kilometern pro Sekunde in die Atmosphäre ein und zerplatzte. Dann hagelten rund 500 kleinere Brocken auf den Boden hinunter. Bei einem senkrechten Einschlag hätte es alles im Umkreis von 50 Kilometern verdampft", so der Chef des Wiener Planetariums.

Ein kosmisches Schauspiel wie jenes von Tscheljabinsk passiere laut Gruber öfter, als man meinen möchte. Vergleichbare Brocken wie die kleineren Überreste des Ural-Meteoriten würden rund 19.000-mal pro Jahr auf der Erdoberfläche einschlagen. Die meisten davon gingen im Ozean oder in menschenleerem Gebiet nieder.

Meteoriten, "die Wien auslöschen können"
Österreich werde im Schnitt einmal jährlich von einem "faustgroßen Brocken" erwischt. Es gebe jedoch auch Meteoriten, "die Wien auslöschen können". Etwa alle 10.000 bis 100.000 Jahre komme es zu globalen Katastrophen: dann nämlich, wenn die Einschlagsgeschwindigkeit eines Himmelsobjektes bei über 70 Kilometern pro Sekunde liege. "Dann wäre etwa ganz England durch einen Monstertsunami futsch", so Gruber.

Dass nach der Explosion in der Atmosphäre ein relativ großes Objekt übrig bleibt und auf der Erde einschlägt, wie nun in Russland geschehen, komme laut Köberl "mehrmals im Jahrhundert" vor. Die Gefährlichkeit solcher Ereignisse nehme zu, sagt Köberl, weil die Erdbevölkerung rasant wächst. Der Meteorit von Tscheljabinsk hätte noch vor 100 Jahren wesentlich geringere Auswirkungen gehabt als nun, wo mehr als 1.200 Menschen verletzt wurden – die meisten davon durch zersplitterte Fensterscheiben. Damals habe dort "noch kaum jemand gewohnt".

"Tunguska-Ereignis" immer noch ein Rätsel
Der letzte größere Zwischenfall geschah vor mittlerweile mehr als 100 Jahren ebenfalls in Russland. Das "Tunguska-Ereignis" von 1908 stellt die Wissenschaft weiterhin vor ein Rätsel. Damals war ein Himmelskörper, vermutlich ein Asteroid oder Komet, in der Atmosphäre explodiert. Ein Gebiet von 2.000 Quadratkilometern – nahezu die Fläche Vorarlbergs – rund um den Fluss "Steinige Tunguska" in einer abgeschiedenen Region Sibiriens wurde verwüstet. Das Objekt wird auf mindestens 50 Meter Durchmesser geschätzt. Laut Köberl findet ein solches Ereignis etwa "alle 1.000 bis 2.000 Jahre" statt.

Abwehrsystem nicht in Sicht
Einem globalen Meteoritenabwehrsystem, wie es der russische Vizeregierungschef Dmitri Rogosin unmittelbar nach dem Einschlag am Freitag forderte, erteilt Köberl eine klare Absage. Ein Objekt von der Größe des Ural-Meteoriten sei viel zu klein, um von den derzeit installierten Frühwarnsystemen und Suchprogrammen wahrgenommen werden zu können. Die heutigen Systeme gingen von Himmelskörpern aus, die größer als einen halben Kilometer sind. Auch diese werden meist erst geortet, wenn sie in der Nähe der Erde sind.

"Objekte in der Größenordnung wie der heutige Meteorit wird man auch in den nächsten 20 Jahren nicht entdecken können, weil man die dafür notwendigen Teleskope nicht finanzieren könnte. Von einer Abwehr ist man ohnedies noch viel weiter entfernt", so Köberl. Rogosin hatte eine internationale Initiative zur Errichtung eines Schutzsystems angeregt, mit dem nicht nur frühzeitig vor gefährlichen Objekten aus dem Weltall gewarnt, sondern diese auch zerstört werden könnten. Eine Kommission der russischen Rüstungsindustrie soll sich mit dieser Frage befassen, kündigte der für die Raumfahrt zuständige Politiker an.

Gruber kann "ruhig schlafen"
Sind Ereignisse wie jenes von Tscheljabinsk ein Grund zur Sorge? Gruber winkt ab: Es gebe zwar keinen Schutz, "aber die Gefahr eines Autounfalls ist statistisch weit höher, daher kann ich noch ruhig schlafen". Auch der Abstecher des Asteroiden 2012 DA14 in Erdnähe am Freitagabend verursachte den Wissenschaftlern kein größeres Kopfzerbrechen. Er raste wie vorausgesagt in etwa 28.000 Kilometern Entfernung an der Erde vorbei und richtete keinen Schaden an (siehe Infobox).

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