Drei Wochen in Haft

Blasphemie-Irrsinn um 14-jähriges Kind in Pakistan

Ausland
07.09.2012 15:43
Blasphemie-Anklagen sind aus westlicher Sicht immer fragwürdig. Doch der jüngste Fall in Pakistan ist an Absurdität kaum zu überbieten: Die minderjährige Christin Rimsha wird bezichtigt, den Koran geschändet zu haben. Sie ist geistig behindert und gerade 14 Jahre alt. Dennoch wird sie fast drei Wochen eingesperrt. Dann nimmt die Polizei einen Imam fest, der Rimsha angeschwärzt haben soll - und dafür eventuell selber den Koran geschändet hat. Der Fall ist ein Paradebeispiel, wie einfach Pakistans Blasphemiegesetz missbraucht werden kann.

Und die Causa kann noch nicht zu den Akten gelegt werden: Am Freitag hat ein Richter in Islamabad vorerst entschieden, dass Rimsha gegen die für pakistanische Verhältnisse sehr hohe Kaution von 8.500 Euro aus der Haft entlassen werden kann. Ein Urteil zum Vorwurf der Gotteslästerung wurde nicht gesprochen, die Anklage trotz der Verhaftung des Imams nicht fallen gelassen. Wann das Gericht über eine Schuldfrage entscheidet, ist unklar.

Wer beschuldigt wird, fürchtet um sein Leben
Blasphemie ist ein Vorwurf, der im mehrheitlich muslimischen Pakistan selbst bei einem Freispruch tödlich sein kann. Nach Angaben der katholischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NJCP) wurden seit Einführung des Blasphemiegesetzes unter Militärdiktator Muhammad Zia ul-Haq im Jahre 1986 mehr als 1.200 Anklagen wegen Gotteslästerung erhoben. Etwa die Hälfte der Beschuldigten gehörte religiösen Minderheiten an - obwohl Aleviten, Christen und Hindus weniger als fünf Prozent der Landesbevölkerung Pakistans stellen.

Zwar wurden nur wenige Angeklagte tatsächlich verurteilt. Auch wurde die Todesstrafe, die laut Gesetz bei der Schändung des Namens des Propheten Mohammed droht, nie vollstreckt. Die Verbrennung von Koranversen ahndet das Blasphemiegesetz mit bis zu lebenslanger Haft. NCJP zählte bisher allerdings rund 40 Fälle, bei denen Angeklagte nach einem Freispruch von Extremisten gelyncht wurden. Das Gesetz lädt zum Missbrauch geradezu ein. In Pakistan gibt es kaum eine einfachere Möglichkeit, missliebige Kontrahenten aus dem Verkehr zu ziehen, als ihnen Gotteslästerung anzuhängen. So könnte es auch in Rimshas Fall gewesen sein.

Perfide Tat, um Christen aus der Gegend zu vertreiben
Dem festgenommenen Imam wird vorgeworfen, verbrannte Koran-Seiten in die Tasche des geistig zurückgebliebenen Mädchens gesteckt zu haben, um Christen aus der Gegend zu vertreiben. Mitarbeiter des Geistlichen sagten den Ermittlern, dass dieser selbst den von Rimsha verbrannten Papieren Seiten aus dem Koran hinzugefügt habe. Damit hätte er den Koran geschändet und wäre im Sinne des Blasphemiegesetzes der Gotteslästerung schuldig.

Bei der Suche nach einem Motiv finden sich mehrere Möglichkeiten: Zwar lebt Rimsha in einem Slum, doch der liegt am Rand der Hauptstadt Islamabad - auf begehrtem Bauland. Tatsächlich flohen nach der Festnahme des Mädchens Christen aus dem Elendsviertel, um sich vor möglichen Racheakten von Muslimen zu schützen. Selbst der Vorsitzende des muslimischen Religionsrates, Allama Tahir Ashrafi, sagte: "Meines Wissens ist das kein Blasphemie-Fall, sondern ein Versuch, sich Land anzueignen, auf dem Christen ihre Häuser gebaut haben." Und es wäre nicht das erste Mal, dass Pakistans Land- und Immobilienmafia verdächtigt wird, mit Blasphemie-Vorwürfen ihre Ziele durchzusetzen.

Gott hat Gesetz gemacht - Änderung wäre Blasphemie
Trotz des offenkundigen Missbrauchs sorgt auch der Fall Rimsha nicht für politische Bestrebungen, das Gesetz zu ändern, von einer Aufhebung ganz zu schweigen. Der christliche Staatsminister für interreligiöse Harmonie, Akram Gill, sagt zwar: "Religiöse Minderheiten, darunter Christen, fühlen sich durch den grassierenden Missbrauch des Blasphemiegesetzes bedroht." Zugleich betont er aber, die Regierung habe keinerlei Pläne, das Gesetz zu ändern - es müsse vielmehr darum gehen, Toleranz zu fördern.

Toleranz ist allerdings kein Wesenszug, der Befürwortern des Gesetzes eigen ist. Die Extremisten bedienen sich eines Totschlagarguments: Weil das Gesetz ihrer Überzeugung nach von Gott selbst gemacht wurde, wäre jede Änderung Blasphemie - und damit eine Todsünde. Wie gefährlich Kritik an dem Gesetz ist, mussten im vergangenen Jahr zwei prominente Politiker erfahren: Der christliche Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti, und der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, wurden wegen ihrer Haltung ermordet. Taseers Mörder war einer seiner Leibwächter. Nicht nur Extremisten, sondern auch Teile der normalen Bevölkerung feierten den Attentäter danach als Helden.

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