Polanskis Neuer

Winslet, Foster, Waltz und “Der Gott des Gemetzels”

Kino
23.11.2011 15:17
"Der Gott des Gemetzels" - so der Titel eines der international erfolgreichsten Theaterstücke der letzten Jahre, in dem sich zwei Elternpaare denkwürdig in die Haare kriegen. In der aktuellen Verfilmung unter der Regie von Roman Polanski greifen gleich drei Oscar-Preisträger, nämlich Kate Winslet, Jodie Foster und Christoph Waltz, zum verbalen Florett ohne Visier. Eine grandios unterhaltsame Gesellschaftskomödie über menschliche Schwächen!

Kinder messen sich. Lassen sich nichts gefallen. Ein Disput unter Buben also. Juvenile Aggression, die ihr Ventil sucht. Alles, was sich verpflastern lässt, ist halb so wild. Doch in diesem Fall werden einem elfjährigen Jungen von seinem gleichaltrigen Kontrahenten zwei Zähne ausgeschlagen. Und die Parole "Mut zur Lücke" ist keine Option!

Infernalisches Duell der Worte
Da sitzen sie nun einander gegenüber, die Eltern des Opfers und jene des Mini-Rambos - in höchst privatem Rahmen. Man zeigt sich kultiviert-echauffiert und ist gewillt, den Vorfall am runden Tisch zu klären. Doch schnell weicht die nach außen hin bemüht verständnisvolle Haltung einem infernalischen Duell der Worte, das alle Gesetze einer moderaten Streitkultur hinter sich lässt und bürgerlichen Anstand schrittweise massakriert.

Wie sich das anfänglich um Diplomatie bemühte Gespräch über Gewalt - jene der Kinder - und Verantwortlichkeiten Szene um Szene aufschaukelt, macht dieses Konversationsstück zum Geniestreich voll Esprit und bitterbösem Witz, der sowohl auf der Bühne als auch auf großer Leinwand funktioniert, schon überhaupt wenn Roman Polanski, auch er Oscar-prämiert ("Der Pianist"), die Fäden der Regie in Händen hält.

Worte wie Äxte
Wie er hier Heuchlertum, kaum gebändigten Starrsinn und bürgerlichen Narzissmus vorführt und eine an sich schon blamable Borniertheit ins Proletenhafte kippen lässt, mit Worten wie Äxte - und die verbale Selbstzerfleischung dieses Quartetts hämisch belauert, ist allein deshalb so unterhaltsam, weil sein Besetzungs-Coup schlichtweg genial ist.

Denn die vier Erwachsenen, die da in einer Wohnung in Brooklyn/New York nach und nach die Fassung verlieren, sind die Oscar-Preisträger Kate Winslet ("Titanic", "Der Vorleser"), Jodie Foster ("Panic Room", "Das Schweigen der Lämmer") und Christoph Waltz ("Inglourious Basterds", "Wasser für die Elefanten"), zu denen sich der nicht minder überzeugende Oscar-Kandidat John C. Reilly ("Chicago") gesellt.

Handy in der Blumenvase
Köstlich auch die von Ironie unterfütterte Situationskomik: Da wird ein Handy, Lieblingsutensil von Christoph Waltz, als gelackt-eloquenter Anwalt notorischer Wichtigtuer in dieser Runde, in einer Vase mit dottergelben Tulpen "ertränkt", da kommt Kate Winslet höchst undamenhaft und nach übermäßigem Alkoholkonsum just über einem Kokoschka-Kunstband der Magen hoch. Herrlich auch Jodie Foster, die die politisch engagierte Weltenretterin gibt und in ihrer Verbissenheit zur Karikatur ihrer selbst wird. Und Reilly, ihr Filmgatte, ist einfach nur wohlmeinend-jovial - bis auch er explodiert!

Und so bilden die Cowans - Winslet und Waltz - und die Longstreets - Foster und Reilly - ein perfid gemischtes Psycho-Doppel auf dem Centercourt monströser Spitzfindigkeiten, das ihresgleichen sucht! Innereheliche Schwelbrände tun ein Übriges und heizen die prekäre Situation - zum Gaudium des Kinopublikums - zusätzlich auf.

Preisgekröntes Theaterstück
Ein Elternabend, jenseits von Anstand und Wohlerzogenheit, so definiert Roman Polanski den Grundtenor des von Yasmina Reza verfassten Stückes, das er ab Jänner 2011 in Paris verfilmte. Es waren dies seine ersten Dreharbeiten seit seinem US-Justizdebakel, nachdem die Schweiz sich geweigert hatte, den wegen eines sexuellen Übergriffs auf eine Minderjährige im Jahr 1977 angeklagten Regisseur an die USA auszuliefern. 2008 feierte das Bühnenstück "Der Gott des Gemetzels" ("Le Dieu Du Carnage") am Wiener Burgtheater Premiere, ausverkaufte Häuser in Zürich, Paris, London und am Broadway zeugten ebenfalls von Erfolg. Yasmina Reza, 1959 in Paris geboren, eine der meistgespielten Theaterautorinnen, erhielt u. a. 2005 den Welt-Literaturpreis, 2009 wurde sie für "Carnage" mit dem Tony-Award ausgezeichnet.

Irgendwann steht er im Raum, der denkwürdige Satz - in der Polanski-Verfilmung dem Oscar-Preisträger Christoph Waltz in den Mund gelegt: "Ich glaube an den Gott des Gemetzels. Das ist der einzige Gott, der seit Anbeginn der Zeiten uneingeschränkt herrscht!" Polanski: "Jeder von uns hat einen Punkt, wo er sich aus der Reserve locken lässt. Die banale Zufälligkeit des Ereignisses ändert nichts an der Konsequenz. Irgendwann fallen die Masken, erlahmen die guten Manieren. Irritation und Gereiztheit lassen die Moral, dieses fragile Konstrukt, erbeben. Dahinter lauert Primitives. Und viel Ehrliches."

Zählt "Der Gott des Gemetzels" zum Kino der Exzesse, oder ist dies eine Komödie? Polanski: "Eine Gesellschaftskomödie - eine sehr menschliche obendrein." Der Regisseur als Sado-Humanist? Polanski: "Der Wahrheit auf den Grund zu gehen ist immer schmerzvoll."

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