Stadt in Angst

Nigeria: Exodus aus Hochburg radikal-islamischer Sekte

Ausland
13.07.2011 14:01
An den Bushaltestellen von Maiduguri haben sich lange Schlangen gebildet, während andere Einwohner ihr Vieh aus der Stadt treiben und sich mit ihrem gesamten Hab und Gut auf den Weg machen. In der Stadt im Nordosten Nigerias geht die Angst um - Angst vor einer radikal-islamischen Sekte namens Boko Haram. Sie versucht, die Einführung der Scharia, des religiösen islamischen Rechts, und ein Verbot jeglicher westlicher Bildung in dem westafrikanischen Land durchzusetzen - mit extremer Gewalt.

Allein in den vergangenen Wochen haben Sektenmitglieder mehr als 40 Menschen getötet. Meist sind die Täter auf Motorrädern unterwegs und erschießen ihre Opfer (Bild), oder sie werfen Sprengsätze in Bierlokale, die größtenteils von Soldaten und Polizisten besucht werden. Da man nirgendwo mehr sicher ist, flüchten die Menschen nun in Scharen aus der Stadt - der britische Sender BBC sprach von einem "Exodus". Und diejenigen, die bleiben, trauen sich starr vor Furcht kaum noch aus ihren Häusern.

Eines der Probleme ist, dass die Mitglieder der Sekte als normale Bürger in der Hauptstadt des Bundesstaates Borno leben und keiner so genau weiß, ob sein Nachbar eventuell auch ein Militanter ist. "Du weißt nie, wer sie sind, sie könnten immer mitten unter uns sein", sagte ein Einwohner zu BBC. Das einzige, was sicher sei, ist, dass die 1,2-Millionen-Einwohner-Stadt Maiduguri Hauptsitz und Hochburg von Boko Haram ist.

"Westliche Bildung ist ein Sakrileg"
Boko Haram heißt in der lokalen Hausa-Sprache so viel wie "Westliche Bildung ist ein Sakrileg". Alles, was auch nur im Entferntesten mit dem Westen zu tun hat, wird von den Islamisten strikt abgelehnt. Dazu gehört etwa das Trinken von Alkohol, aber auch demokratisches Wahlrecht und sogar das Tragen von Hemden und Hosen. Wahlweise nennt sich die Sekte auch "Organisation der Anhänger der Lehren des Propheten Mohammed und des Jihad" oder "Nigerianische Taliban".

Die Behörden reagierten auf die Angriffe mit drastischen Maßnahmen, so etwa mit einer abendlichen Ausgangssperre, dem Verbot von Motorrädern auf den Straßen und zuletzt der Schließung der örtlichen Universität. Letztere erfolgte, nachdem es hartnäckige Gerüchte über einen bevorstehenden Angriff auf den Campus gegeben hatte. Dabei hätten in dieser Woche wichtige Prüfungen angestanden. "Du kannst weder lesen noch sonst irgendwas tun in so einer Situation", erklärte ein Hochschüler.

Die nigerianische Armee versucht derzeit mit allen Mitteln, die Gruppe ein für allemal zu zerstören. Doch so mancher Bürger hat mittlerweile mehr Angst vor den Soldaten als vor der Sekte, denn nach jedem Boko-Haram-Anschlag werden die Vergeltungsschläge des Militärs brutaler. Bürger berichten, die Soldaten hätten zuletzt wahllos auch auf Zivilisten geschossen: "Sie sind gekommen, haben 'Hände hoch!' gerufen und angefangen zu schießen", sagte ein Augenzeuge. "Sie denken, dass Menschen wie wir - Zivilisten - Mitglieder von Boko Haram verstecken." Ein Militärchef bestritt die Vorwürfe.

Aber auch die Sekte ist in Bezug auf die Wahl ihrer Opfer nicht zimperlich: "Wir möchten keine Zivilisten verletzen, aber wir schließen nicht aus, in Zukunft auch Selbstmordattentate zu verüben", zitierte die BBC einen Boko-Haram-Kämpfer. "Und wer der Polizei hilft, ist für uns selbst ein Polizist - also werden wir ihn massakrieren."

Von charismatischem Prediger gegründet
Gegründet wurde die Sekte im Jahr 2002 - drei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur in Nigeria - von dem charismatischen Prediger Mohammed Yusuf. Obwohl die große Mehrheit der nigerianischen Muslime seinen Ideen ablehnend gegenüberstand und ihm zum Teil auch den Zutritt zu den Moscheen verwehrte, sammelte Mohammed Yusuf besonders unter jungen Menschen zahlreiche Anhänger. 2004 machten die "nigerianischen Taliban" dann erstmals mit einem Trainingslager "Afghanistan" an der Grenze zum Nachbarland Niger auf sich aufmerksam.

Zu größeren Zusammenstößen und Unruhen kam es 2009, als ein Demonstrationsverbot gegen die Gruppe verhängt wurde. Allein in Maiduguri starben dabei Dutzende Menschen. Nigerianische Sicherheitskräfte hatten daraufhin den Hauptsitz von Boko Haram gestürmt und zerstört sowie Yusuf festgenommen. Kurze Zeit darauf wurde der damals 39-Jährige, der vier Ehefrauen und zwölf Kinder hatte, tot aufgefunden. Nach Polizeiangaben wurde Yusuf bei einem Fluchtversuch erschossen, Menschenrechtsorganisationen sprechen hingegen von einer außergerichtlichen Exekution. Mittlerweile hat sich seine Organisation neu formiert - und blutige Rache geschworen.

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