Konfusion in London

WikiLeaks-Boss Assange ist frei – und bleibt in Haft

Ausland
14.12.2010 19:15
Verwirrspiel um den mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontierten WikiLeaks-Gründer Julian Assange: Zunächst hob ein Richter am Dienstag in London die Haft für den Australier auf - gegen eine Kaution von 240.000 Pfund (283.000 Euro). Doch freigelassen wurde der 39-Jährige nicht. Denn die schwedische Justiz, die das Verfahren gegen Assange eingeleitet hatte und auf dessen Auslieferung wartet, legte gegen die Entscheidung umgehend Einspruch ein.

Vor dem Gerichtsgebäude hatten Hunderte Anhänger des Australiers die Entscheidung zur Freilassung zunächst bejubelt. Doch ob Assange in den nächsten Tagen tatsächlich auf freien Fuß kommt, war keine zwei Stunden nach dem Richterspruch schon wieder völlig unklar. Denn die schwedische Staatsanwaltschaft, die das Verfahren gegen Assange führt und dessen Auslieferung beantragt hatte, kündigte an, gegen die Entscheidung berufen zu wollen. Während der Nachfrist, die 48 Stunden beträgt, bleibt der Australier auf jeden Fall in Haft. Die Berufung wertet Assanges Anwalt Mark Stephens als Beweis für eine politische Motivation der schwedischen Justiz. "Das ist keine Anklage mehr, sondern eine Verfolgung", sagte er.

Die Freilassung Assanges hätte sich allerdings ohnehin noch verzögert. Denn zunächst hätten 200.000 Pfund der geforderten Kautionssumme in bar hinterlegt werden müssen. Bissig - mit Blick auf den Boykott WikiLeaks' durch große US-Kreditkartenfirmen - fügte Stephens hinzu: "Leider werden weder Visa- noch Mastercard akzeptiert."

Der Rechtsbeistand hatte bei der Anhörung erklärt, sein Mandant sei bereit, seinen Pass abzugeben, eine elektronische Fußfessel zu tragen und sich an einer der Polizei bekannten Adresse aufzuhalten - voraussichtlich in der Wohnung des Anwalts.

Zehn Prominente kamen für die Kaution auf
Die Kaution - sollte sie erforderlich sein - wird von zehn prominenten Freunden Assanges aufgebracht, darunter Jemima Khan (36, Ex-Freundin von Hugh Grant), Regisseur Ken Loach (74, "Looking for Eric") und Dokumentarfilmer Michael Moore (56, "Bowling for Columbine").

Assange war vor einer Woche aufgrund eines internationalen Haftbefehls in London verhaftet worden, nachdem er sich der Polizei freiwillig gestellt hatte. Vergangene Woche hatte ein Richter noch entschieden, dass Assange in Auslieferungshaft bleiben muss, da Fluchtgefahr bestehe. Assange und sein Anwalt dementierten dies. Sie argumentierten, bei dem Haftbefehl aus Schweden handle es sich um eine aus den USA gesteuerte Aktion.

USA basteln Anklage
"Die Sexsache (in Schweden) ist doch nur ein vorgeschobener Tatvorwurf wegen eines Delikts, das die Inhaftierung des Verdächtigen ermöglicht, während die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem eigentlichen, schwereren Verbrechen andauern", sagte Anwalt Stephens am Wochenende. In Schweden geht man indes davon aus, dass Assange "Opfer" eines übereifrigen Staranwalts und unglücklicher Umstände wurde (siehe "Wie es zum Krimi um Assange kam").

Tatsächlich könnten die USA aber, wo seit dem Beginn der "Cablegate"-Aktion eine ganze Armee an Juristen fieberhaft nach geeigneten Gesetzesparagrafen für den "Fall Assange" sucht, in den nächsten Tagen oder sogar Stunden Anklage erheben. Befindet sich Assange dann noch in Haft - vor allem in Schweden -, könnte er per Auslieferungsabkommen vor einem US-Gericht landen.

Mutter von Assange überbringt Statement aus der Haft
Assange hatte noch am Dienstag in einer aus dem Gefängnis an seine Mutter diktierten Stellungnahme die Kreditkartenunternehmen Visa und Mastercard sowie Paypal scharf kritisiert, die auf Druck der US-Regierung Zahlungen an WikiLeaks nicht mehr weitergeleitet hatten. "Wir wissen jetzt, dass Visa, Mastercard und Paypal Instrumente der US-Außenpolitik sind", erklärte der WikiLeaks-Gründer. Er werde aber weiterhin an seinen Überzeugungen und Idealen festhalten. "Diese Umstände werden nicht an ihnen rütteln. Diese Entwicklungen haben meine Entschlossenheit eher bestärkt und gezeigt, dass meine Überzeugung richtig ist", sagte der 39-jährige Australier.

Seine Mutter, Christine Assange, war nach London gereist, um ihrem Sohn beizustehen. "Als Mutter fordere ich die Welt auf, meinen mutigen Sohn zu unterstützen", sagte sie im australischen TV.

600.000 unterzeichneten Petition
Die Zahl der Unterstützer der umstrittenen Enthüllungsplattform WikiLeaks wächst indes weiter. Eine Online-Petition der Internetseite Avaaz.org wurde bis zum Montagnachmittag von fast 600.000 Menschen unterzeichnet. In der Petition wird dazu aufgerufen, "die demokratischen Prinzipien und die Gesetze zur freien Meinungsäußerung und zur Pressefreiheit zu respektieren". Zudem wird an die USA und weitere Regierungen appelliert, Repressionen gegen WikiLeaks und seine Partner "sofort zu beenden".

Am Wochenende demonstrierten auch Tausende Menschen in mehreren Ländern für die Freilassung von Assange. Die Festnahme des 39-Jährigen in London sei eine Verschwörung, um die Enthüllungsplattform mundtot zu machen, erklärten z.B. die Veranstalter einer Demonstration vor der britischen Botschaft in Madrid. Ähnliche Demonstrationen gab es in Assanges Heimat Australien sowie in mehreren Städten in Lateinamerika.

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