Überwachungsstaat

Indien plant riesiges Gesichtserkennungsprogramm

Web
27.01.2020 09:01

Indien plant den Aufbau eines der größten Gesichtserkennungssysteme der Welt. Es soll zentral Bilddatenbanken von Behörden, aber auch Fotos aus Zeitungen und Fahndungsbilder zusammenführen und mit Aufnahmen von Überwachungskameras abgleichen, um Verbrecher, verschwundene Personen oder Leichen zu identifizieren. So zumindest steht es in einem offiziellen Ausschreibungsdokument.

Firmen, die das Projekt umsetzen wollen, können bis Ende Jänner ihre Offerten einreichen. Doch die Umsetzung wurde schon mehrfach verzögert. Der für das Projekt Verantwortliche Prasun Gupta von der zuständigen Behörde im Innenministerium erklärt, man sei sich mehrerer sensibler Fragen bewusst.

So warnen indische Datenschutzaktivisten und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, dass das geplante System die mit 1,3 Milliarden Einwohnern größte Demokratie der Welt zu einem Überwachungsstaat machen könnte.

„Es ist ein System, das an öffentlichen Plätzen massenweise Daten sammelt ohne einen spezifischen Verdacht“, sagt der Chef der indischen Organisation Internet Freedom Foundation, Apar Gupta. Es sei unklar, wie die Daten anschließend gespeichert und genutzt würden.

Rechtlicher Rahmen fehlt
Außerdem gibt es in Indien kein robustes Datenschutzgesetz und keinen rechtlichen Rahmen für das System, was das Recht auf Privatsphäre beeinträchtige, sagt Amnesty-International-Sprecherin Nazia Erum. Kürzlich erst nutzten indische Polizisten Gesichtserkennungstechnologie bei Protesten und Kritiker fürchteten, dass sie damit Profile von Demonstranten erstellten.

Datenschutzaktivist Gupta glaubt zudem, dass Indiens bereits sehr große biometrische Datenbank ins geplante System integriert werden könnte. Dort sind bei etlichen Bürgern neben Fingerabdrücken auch viele weitere Daten wie Steuerinformationen und Online-Käufe verknüpft. Eine Integration bestreitet die zuständige Behörde zwar, überzeugt damit aber nicht alle Kritiker - auch weil die Regierung regelmäßig das Internet abstellt, um Proteste zu verhindern.

Algorithmen noch sehr fehleranfällig
Andere argumentieren, dass Gesichtserkennungstechnologie teils noch recht fehleranfällig ist. Zwar arbeiten die Algorithmen bei perfekten Konditionen mit gutem Licht und Menschen, die frontal vor der Kamera stehen, sehr genau, wie Informatikprofessor Markus Dürmuth von der deutschen Universität Bochum sagt.

Das sei beispielsweise bei Gesichtsscannern, durch die man am Flughafen gehe, um schneller durch die Grenzkontrollen zu kommen, der Fall. Aber bei einem System wie in Indien, das an öffentlichen Orten Bildmaterial sammle, wo Menschen nicht bewusst gefilmt werden wollten und sie gar markante Brillen oder viel Make-up trügen, werde es für die Software schwieriger. Dann markierten Algorithmen viele Menschen als verdächtig, die gar nicht gesucht würden und fänden gleichzeitig etliche echte Gesuchte nicht.

Das sah man etwa bei Tests der Polizei am Berliner Bahnhof Südkreuz mit freiwilligen Testpersonen und in London mit gesuchten Verdächtigen. Außerdem haben Algorithmen mehr Mühe, Frauen und dunkelhäutige Menschen richtig zu erkennen als weiße Männer, wie Untersuchungen zeigen.

Neu-Delhi möchte führend in Sachen Videoüberwachung werden
Gesichtserkennungssysteme funktionieren grundsätzlich besser, je mehr Überwachungskameras installiert sind. Noch hat Neu-Delhi auf die Einwohner gerechnet rund zwölf Mal weniger Kameras als etwa die chinesische Millionenmetropole Shanghai und gleich viele wie Berlin, heißt es auf der Internetsicherheits-Seite Comparitech. Doch die indische Hauptstadt möchte aufrüsten und führendend in Sachen Videoüberwachung werden, wie ein Sprecher der Lokalregierung sagt. Das schaffe mehr Sicherheit - auch für Frauen. Immerhin wird im Land nach offiziellen Zahlen alle 15 Minuten eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt.

Und fragt man auf den Straßen in Neu-Delhi, finden viele die zusätzlichen Kameras gut. „Die Regierung kann so viele Kameras installieren, wie sie will“, sagt etwa Geschäftsbesitzer Bharat Bhushan. „Uns Inder interessiert Privatsphäre nicht, die Sicherheit unseres Lebens und unseres Besitzes sind wichtiger.“

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