Systemkamera

EOS R: Canons erste Vollformat-DSLM im Test

Elektronik
24.03.2019 09:00

Mit der EOS R hat Canon nach langem Zögern den Einstieg in den Markt für spiegellose Systemkameras mit Vollformatsensor gewagt. Die Reaktionen in der Foto-Community fielen vergleichsweise verhalten aus. Zurecht? Digital-Redakteur Sebastian Räuchle hat die - wie Canon verspricht - „neue Standards“ setzende Kamera getestet.

Eine Kamera ist für den Fotografen ein Werkzeug und sollte sich als solches im besten Falle blind bedienen lassen. Bei der EOS R will mir das auch nach zwei Wochen nicht recht gelingen. Das mag daran liegen, dass ich als Nikon-Nutzer anderes gewohnt bin, doch selbst langjährigen Canon-Nutzern dürften sich viele Entscheidungen die Bedienung betreffend nicht auf Anhieb erschließen.

Da wäre zunächst, dass sich der Ein-/Aus-Schalter auf der linken Gehäuseoberseite befindet, sodass zumindest bei Rechtshändern für die Inbetriebnahme zwei Hände nötig sind. Eher unglücklich gelöst ist zudem die Auswahl der Modi, die erst nach Druck auf den entsprechenden „Mode“-Button und Blick aufs Top-Display möglich ist - sofern man eben nicht alles per Touch über das Display auf der Rückseite steuern möchte. Zumindest eine Schnellauswahl der gängigsten Modi per Wählrad wäre wünschenswert gewesen.

Kein Joystick
Schmerzlich vermisst wird auch der Joystick zur Auswahl des Fokuspunktes. Warum Canon diesen bei vielen seiner Spiegelreflexkameras bietet, bei der EOS R jedoch darauf verzichtet, ist nicht nachvollziehbar. Zwar funktioniert das Fokussieren per Touch tadellos, mit Handschuhen - spätestens im nächsten Winter wieder ein Thema - wünscht man sich jedoch schnell den Joystick herbei.

Und wenn wir schon bei Wünschen sind: Tasten zur Belichtungskorrektur und eine günstigere Positionierung der AF/ON-Taste für alle Backbutton-Fokus-Nutzer würden die Bedienbarkeit weiter erhöhen. So muss für viele Einstellungen der Umweg über das - immerhin übersichtlich gestaltete - Menü gewählt werden.

Fokus auf Touch
Noch nicht ganz sicher bin ich mir, was ich von der futuristischen Touch-Bar alias Multifunktionsleiste halten soll, die Canon statt eines zweiten Drehreglers verbaut. Sie funktioniert prinzipiell tadellos, und dass sich ihr - wie der Name bereits andeutet - verschiedene Funktionen (z.B. ISO, Weißabgleich) zuordnen lassen, ist ebenfalls praktisch. 
Für Irritationen sorgte anfangs allerdings die standardmäßig aktivierte Sicherheitssperre, die sich erst durch längeres Draufdrücken auf die Leiste aufheben lässt. Wer es beim Fotografieren eilig hat, sollte die Sperre daher besser deaktivieren.

Gewicht und Ergonomie
In Sachen Ergonomie hat Canon dagegen seine Hausaufgaben gemacht. Dank des komfortablen und ausreichend großen Griffes liegt die (ohne Objektiv) rund 580 Gramm schwere EOS R angenehm in der Hand und lässt zwischen Griff und Objektiv noch ausreichend Platz für größere Finger. Die Balance stimmt dabei selbst mit angesetzter 24-105-mm-Linse noch.

Anders schaut es freilich aus, wenn die EOS R mit älteren Objektiven und dem dafür nötigen Adapter verwendet wird. Dann wird die ganze Konstruktion schnell kopflastig - ein Problem, dass allerdings alle Systemkameras mit Adapter teilen.

Display und Sucher
Sehr gut gefallen haben auch das 3,2 Zoll große und mit ca. 2,1 Millionen Pixeln hochauflösende LC-Display, dass sich im Gegensatz zu Nikons Z-Serie für Selfie-Fans auch nach vorne schwenken lässt, und der große OLED-Sucher mit angenehmer Vergrößerung (0,76x) und nahezu vollständiger Bildfeldabdeckung.

Letzterer ist allerdings etwas träger als die Konkurrenz, zudem wäre eine Taste wünschenswert gewesen, um die automatische Umschaltung zwischen Sucher und Display bei Bedarf zu deaktivieren. So bleibt es leider nicht aus, dass man häufig unbeabsichtigt zwischen Sucher und Display wechselt.

Sensor und Bildqualität
Unter dem spritzwassergeschützten Magnesiumgehäuse verbaut Canon eine aktualisierte Version seines bereits von der EOS 5D Mark IV bekannten 30-Megapixel-Bildsensors mit geringfügig höherer ISO-Empfindlichkeit von ISO 100 bis 40.000 (5D: 32.000), erweiterbar auf ISO 50-102.400.

Dass sich mit dem Sensor nach wie vor hervorragende Ergebnisse erzielen lassen, steht außer Frage. Insbesondere das Farbmanagement mit den etwa gegenüber Nikon wärmeren Farbtönen weiß zu gefallen. Ganz zeitgemäß sind ISO-Rauschverhalten und Dynamikumfang mit Blick auf die Konkurrenzprodukte allerdings nicht mehr. Gerade bei schlechten Lichtverhältnissen haben die mehr Reserven vorzuweisen.

Mittels lichtstarker Objektive und Belichtungsreihen lassen sich derlei Schwächen jedoch leicht kompensieren. Und wer seine Fotos vornehmlich im Web veröffentlicht, braucht sich um etwaiges Rauschen auch nicht zu sorgen.

Serienbildgeschwindigkeit
Für die nötige Geschwindigkeit bei der Bildverarbeitung sorgt im Gegensatz zur EOS 5D Mark IV nicht mehr Canons Digic-6-Prozessor, sondern die aktuelle achte Version, die erstmals mit der EOS M50 eingeführt wurde. Diese ermöglicht Serienbildaufnahmen mit bis zu acht Bildern pro Sekunde (aber nur max. fünf Bilder mit AF-Nachführung) und Videos in hochauflösendem 4K mit bis zu 30 Bildern pro Sekunde sowie Zeitlupen mit bis zu 120 Bildern pro Sekunde. Letztere allerdings nur in HD-Qualität und nicht etwa Full-HD wie bei Nikons Z-Serie.

Videos
Auch beim Filmen in 4K gilt es gegenüber u.a. Nikons Z6 Abstriche zu machen. Denn während dort der gesamte Sensor ausgelesen wird, muss man sich bei der EOS R mit einem Ausschnitt (Crop-Faktor 1,8) zufriedengeben, wodurch der eigentliche Vorteil des Vollformats verloren geht. Verzichten müssen Nutzer beim Filmen zudem auf einen Bildstabilisator im Gehäuse.

Autofokus
Der Autofokus mit seinen 5655 Autofokuspunkten, die 88 Prozent des horizontalen und 100 Prozent des vertikalen Bildes abdecken, arbeitete im Test zuverlässig, nicht zuletzt dank Gesichtserkennung. Auch eine Augenerkennung spendiert Canon der EOS R. Diese funktioniert jedoch nur im Single- und nicht im kontinuierlichen Autofokus, was deutlich praktischer gewesen wäre.

Akku
Die Akkukapazität gibt Canon mit rund 370 Aufnahmen an. Wie schon bei Nikons Z6 gilt auch hier, dass in der Praxis ohne allzu großen Live-View-Einsatz deutlich mehr Auslösungen möglich sind. Sonys Alpha7 III kommt nach offiziellem CIPA-Standard allerdings auf bis zu 710 Aufnahmen. Wer viel knipst, sollte dementsprechend in Ersatzakkus oder einen Batteriegriff für die EOS R investieren.

Speicherkarte
Auszahlen könnte sich auch die Investition in eine zweite Speicherkarte, denn wie Nikons Z-System bietet auch die Canon EOS R nur einen Slot für SD-Speicherkarten. Ob es mehr als einen braucht, sei dahingestellt, das Thema wird jedenfalls kontrovers diskutiert.

Ökosystem
Wo schon von den Kosten die Rede ist: Wer die EOS R kauft, entscheidet sich damit auch automatisch für das neue RF-Bajonett. Im Gegensatz zu Nikon hat Canon hier, meiner Meinung nach, zum Start die deutlich spannenderen, weil lichtstärkeren Objektive im Angebot. Bis Ende 2019 sollen nach bisherigem Zeitplan zehn Objektive für das neue System zur Verfügung stehen, die vom Ultraweitwinkel- bis mittleren Tele-Bereich alles abdecken. Lichtstärke ist allerdings auch immer gleichbedeutend mit hohen Kosten. So veranschlagt Canon für seine 50-mm-Festbrennweite mit Blende F/1.2 etwa rund 2520 Euro. Die ältere EF-Variante gibt es aktuell bereits für rund 1370 Euro, die Variante mit Blende F/1.4 für rund 340 Euro und die mit F/1.8 sogar für nur rund 120 Euro.

Für wen ist die Canon EOS R gedacht?
Angesichts derartiger Preise stellt sich zwangsweise die Frage, für wen die EOS R eigentlich gedacht ist. Mit einem Einstiegspreis von rund 2500 Euro für Gehäuse und Objektivadapter liegt die EOS R gut 300 Euro über der ohnehin schon nicht billigen Alpha 7 III von Sony und Nikons Z6, die in puncto Bedienung und Video jedoch klar vor der EOS R liegt.

Die EOS R dürfte es jedoch auch aus einem anderen Grund schwer haben: Offiziell hat Canon bereits ein Profi-Modell mit RF-Mount in Aussicht gestellt, mit der EOS RP scharrt zudem bereits eine mit 1500 Euro deutlich günstigere Vollformat-DSLM in den Startlöchern. Die EOS R könnte damit zum ungeliebten Mittelkind werden.

Fazit: Ganz nachvollziehen lässt sich die teils harsche Kritik an Canons EOS R nicht, denn qualitativ hervorragende Bilder und Videos lassen sich auch mit ihr ohne Weiteres machen. Setzt man das Gebotene allerdings in Relation zum Mitbewerb, beschleicht einen das Gefühl, der Hersteller hält seine Innovationen absichtlich zurück bzw. hebt diese für ein besseres Modell auf. Hauptkritikpunkt ist aber das ungewohnte, nicht schlüssige Bedienkonzept, das bereits existierenden Nutzern den Umstieg erschweren dürfte. Ein klassisches Moduswählrad, ein zweiter Drehregler statt Touch-Leiste und vor allem ein Joystick hätten der EOS sichtlich gutgestanden. Tipp: Vor dem Kauf daher unbedingt in die Hand nehmen und ausprobieren.

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