Debatte um Rücknahme

100 IS-Kämpfer aus Österreich in Kriegsgebieten

Österreich
18.02.2019 19:39

Knapp 100 aus Österreich stammende „Foreign Fighters“ halten sich derzeit in Kriegsgebieten auf. Rund 30 Prozent von ihnen besitzen auch die österreichische Staatsbürgerschaft, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) am Montag mitteilte. US-Präsident Donald Trump hatte europäische Staaten am Wochenende aufgefordert, in Syrien gefangen genommene IS-Kämpfer aufzunehmen und vor Gericht zu stellen. Ansonsten würden sie freigelassen, drohte Trump.

Allerdings sind die Kämpfer nicht in US-Gewahrsam, sondern in der Gewalt kurdischer Einheiten, die weite Landstriche im Norden Syriens kontrollieren. Ein hochrangiger Vertreter der syrischen Kurden, Abdulkarim Omar, nannte die Gefangenen eine große Bürde. Ihr Zahl steige schnell. Die Häftlinge seien „Zeitbomben“. Zugleich appellierte Omar an die Heimatstaaten, sich für ihre Staatsbürger verantwortlich zu zeigen.

Trumps IS-Forderung: Kneissl verweist auf konsularische Schutzpflicht
Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) reagierte auf Trumps Forderung zurückhaltend. Es sei in den Überlegungen jeder einzelnen Regierung, in klarer Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden zu handeln, dies gelte auch für Österreich, so Kneissl in Brüssel. „Jede einzelne Biografie“ müsse klar geprüft werden. Derzeit gebe es prioritäre Fälle, etwa jener, wo es um ein zweijähriges Kind gehe. „Hier greifen Überlegungen der konsularischen Schutzpflicht“, meinte die Ministerin, die sich zudem für einen engeren nachrichtendienstlichen Austausch der EU-Staaten über IS-Kämpfer aussprach.

Auch Kanzler Kurz zurückhaltend
Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der am Mittwoch von Trump im Weißen Haus empfangen wird, reagierte zurückhaltend auf die Forderugn des US-Präsidenten. „Ich sehe das wie Frankreich, Dänemark und die Briten. Nämlich, dass der Schutz unserer eigenen Bevölkerung oberste Priorität hat, insbesondere vor Personen, die sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben“, sagte Kurz der „Kleinen Zeitung“. Terrorexperte Peter Neumann warnte am Sonntag in der „ZiB 2“ davor, dass man nicht alle IS-Kämpfer auf einmal zurückholen dürfe. Laut dem Experten sei es wichtig, die „einfachen Fälle“ zuerst zurück ins Land zu holen.

Frankreich, Dänemark und Großbritannien wollen keine IS-Kämpfer zurücknehmen
Frankreich, Dänemark und Großbritannien hatten der Forderung von Trump ein Absage erteilt, IS-Kämpfer, die in Syrien von der Anti-IS-Allianz gefangen genommen wurden, zurückzunehmen, um ihnen in ihrer Heimat den Prozess zu machen. Frankreich stuft die Dschihadisten als „Feinde“ ein und macht nur in Einzelfällen für Minderjährige Ausnahmen. Kurz stellte klar, dass es „insgesamt nur wenige Fälle“ gebe. „Wir werden mit den zuständigen Ressorts gemeinsam jeden Einzelfall prüfen“, sagte er. Die Prüfung der Fälle werde gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden vorgenommen. Er verwies aber auch darauf, dass eine solche Prüfung in Krisengebieten nur eingeschränkt möglich sei. Auch für Deutschland sei Trumps Forderung “schwer realisierbar“.

Wiener IS-Kämpferin in kurdischer Haft
Aus Österreich halten sich derzeit knapp 100 „Foreign Fighters“ in Kriegsgebieten auf. Unter ihnen ist auch eine junge Frau aus Wien, die vor vier Jahren nach Syrien ausreiste, um sich dem IS anzuschließen. Momentan befindet sich die Frau mit ihrem eineinhalbjährigen Sohn in kurdischer Haft und will zurück nach Österreich. Ein Sprecher des Außenministeriums bestätigte den Fall und betonte, dass derzeit die „praktischen Möglichkeiten einer Rückholung“ geprüft würden.

Insgesamt sind dem Verfassungsschutz mit Anfang des Jahres 320 „aus Österreich stammende Personen“ bekannt, die sich aktiv am Dschihad in Syrien oder im Irak beteiligen oder beteiligen wollten. Rund 60 von ihnen sind bisher in Syrien ider im Irak ums Leben gekommen, etwa 60 Personen konnten bis Anfang 2019 an einer Ausreise gehindert werden. 90 „Foreign Fighters“ seien bis Anfang 2019 wieder nach Österreich zurückgekehrt. Von den insgesamt 320 Personen besitzen etwa 30 Prozent die österreichische Staatsbürgerschaft, 40 Prozent seien aus der Russischen Föderation, der Rest verteilt sich auf andere Länder.

„Gegen alle Rückkehrer werden Verfahren eingeleitet“
„Gegen alle Rückkehrer wurden und werden Ermittlungsverfahren nach Paragraf 278b StGB wegen terroristischer Vereinigung eingeleitet und Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Über die weiteren Schritte entscheiden die Justizbehörden“, teilte das Innenministerium mit. Für die „Foreign Terrorist Fighters“ gebe es in der Regel Festnahmeanordnungen und eine internationale Fahndung wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Völkerrechtsexperte: „Österreich muss Staatsbürger zurücknehmen“
Grundsätzlich ist Österreich rechtlich verpflichtet, österreichische Staatsbürger zurückzunehmen. Allerdings: Sobald jemand in den Militärdienst eines fremden Landes eintritt, verliert er die österreichische Staatsbürgerschaft und somit den konsularischen Schutz. Würde die Person mit Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft jedoch staatenlos werden, kann sie laut Gesetz auch nicht aberkannt werden. „Österreich ist verpflichtet, eigene Staatsbürger, die zurückkehren wollen, auch zurückzunehmen“, betonte Walter Obwexer, Völkerrechtsexperte der Universität Innsbruck, am Montag. Es sei ihnen Einreise und Aufenthalt zu gewähren, egal ob es sich um mutmaßliche oder tatsächliche IS-Kämpfer handeln sollte. Das resultiere aus der Staatsbürgerschaft.

Österreich habe nach Ansicht des Experten keine Möglichkeit, den Kämpfern die Staatsbürgerschaft aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation abzuerkennen. Die Position Frankreichs, das keine französischen IS-Kämpfer aus Syrien einreisen lassen will, widerspricht laut Obwexer der Europäischen Menschenrechtskonvention, sofern es sich um eigene Staatsbürger handle.

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