Beben auf Haiti

Hunderttausende Todesopfer befürchtet

Ausland
14.01.2010 14:18
Bei dem schwersten Erdbeben auf Haiti seit 200 Jahren könnten nach Schätzungen von Ministerpräsident Jean-Max Bellerive Hunderttausende Menschen ums Leben gekommen sein. "Port-au-Prince ist komplett eingeebnet", kommentierte etwa der UN-Konsul von Haiti die katastrophale Lage in der über eine Million Einwohner zählenden Hauptstadt.

"Ich hoffe, dass sich unsere schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiten und die Menschen konnten noch rechtzeitig fliehen", sagte der Ministerpräsident gegenüber dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN. Nach Angaben von Präsident René Préval ist zumindest von mehreren Zehntausenden Todesopfern auszugehen, doch sind konkrete Angaben zurzeit noch schwierig. "Ich habe von bis zu 50.000 (Toten) gehört, auch von 30.000. Es ist aber zu früh, um konkrete Zahlen zu nennen."

Das Rote Kreuz geht jedenfalls von mindestens drei Millionen Betroffenen - also rund einem Drittel der Gesamtbevölkerung - aus, die Hilfe brauchen werden.

Verheerendes Bild der Zerstörung
René Préval zeichnete in einem Interview ein verheerendes Bild der Zerstörung: "Das Parlament und das Gebäude der Finanzbehörde, aber auch Dutzende Schulen und Krankenhäuser sind einfach zusammengestürzt. Unter den Trümmern von vielen Schulen liegen vermutlich noch viele tote Kinder." Er habe über Leichen steigen müssen und die Schreie von Menschen gehört, die unter Trümmern begraben seien.

Augenzeugen berichteten von blutüberströmten Menschen, die in Panik auf die Straßen liefen. Unter den Trümmern seien Leichen zu sehen. "Die Menschen haben geschrien. Es herrscht das totale Chaos", berichtete ein Zeuge. "Das ist das Ende der Welt", sagte eine völlig geschockte junge Frau, die das Erdbeben von einem Hügel aus sah. Anrainer würden in den Trümmern mit bloßen Händen nach Verschütteten graben, Eingeschlossene verzweifelt um Hilfe rufen. Die Straßen seien mit Trümmern übersät und unpassierbar.

In der besonders hart betroffenen Hauptstadt Port-au-Prince kann nur noch ein argentinisches Behelfskrankenhaus Verletzte behandeln. "Alle anderen Krankenhäuser sind zusammengestürzt", sagte der Leiter des argentinischen Spitals für die UN-Friedensmission, Daniel Desimone, in einem Telefoninterview.

"Es ist eine Apokalypse"
Mehrere Staaten, die an der UN-Mission in Haiti beteiligt sind, meldeten Todesopfer unter ihren Soldaten - darunter China und Brasilien. Eine Augenzeugin berichtete der Deutschen Presseagentur: "Es ist eine Apokalypse. Nach meiner Schätzung sind 40 Prozent der Häuser und Gebäude in Port-au-Prince zerstört oder beschädigt." Die Menschen seien auf der Straße und würden warten. "Viele sind aggressiv. Es gibt viele Tote. Die wenigen Spitäler haben keine Medikamente mehr."

Erzbischof und UN-Chef unter den Toten
Auf das Gelände des Hauptquartiers der Vereinten Nationen in Haiti stürzte ein fünfstöckiges Nachbargebäude. Dabei kam auch der dortige Chef der UN-Mission, der Tunesier Hedi Annabi, ums Leben, wie der haitianische Präsident am Mittwoch berichtete. Am späten Mittwochnachmittag meldete der römische Pressedienst "misna" unter Berufung auf örtliche Kirchenmitarbeiter, dass auch Serge Miot, der Erzbischof der Hauptstadt Port-au-Prince, unter den Toten sei. Der Leichnam des 63-Jährigen sei in der erzbischöflichen Residenz gefunden worden.

Auch Österreicherin bei Erdbeben getötet
Am Donnerstag wurde bekannt, das sich auch eine gebürtige Österreicherin unter den Opfern des Erdbebens in Haiti befindet: Die 61-jährige Frau lebte seit vielen Jahren auf der Insel und war mit einem Haitianer verheiratet. Seit Mitte 2008 war sie als Mitarbeiterin des Deutschen Entwicklungsdienstes tätig, berichtete die Organisation in einer Aussendung. Die Frau hat nach dem Einsetzen des Bebens ihr Haus verlassen und sei von einer umstürzenden Mauer erschlagen worden. Eine weitere Österreicherin bangt nach wie vor um ihren brasilianischen Mann, der im Katastrophengebiet vermisst wird.

Augenzeugenbericht einer Linzerin: "Chaos und Verzweiflung"
Eine Linzerin, die in Haiti lebt, hat am Donnerstag ein erstes Lebenszeichen nach dem verheerenden Erdbeben geschickt. Regina Tauschek schilderte in einem E-Mail an Freunde und Verwandte, das der ORF Oberösterreich am Donnerstag veröffentlichte, die Lage vor Ort und sprach von "Chaos und Verzweiflung zigtausender Menschen, die durch die Straßen irren - auf der Suche nach überlebenden Angehörigen."

Die 43-Jährige ist für die Hilfsorganisation "Welthungerhilfe" tätig. Gegen 17.00 Uhr - als das Beben begann - war sie gerade im Büro. "Es begann nicht schleichend, wie die früheren Beben, die ich in Zentralasien und Indien erlebt habe, sondern gleich mit voller Kraft. Ich bin aufgesprungen und habe nur noch durchs Haus gebrüllt. Als ich die letzten Schritte in Richtung Garten machte, dachte ich nur noch: ich schaffe es", beschrieb Regina Tauschek die ersten Minuten nach der Katastrophe. "Auf der Straße herrscht völliges Chaos. Ich kämpfte mich zentimeterweise vorwärts. Verletzte und Tote wurden die Straße entlang geschleppt. Eine Frau mit abgerissenen Armen wurde an mir vorbeigetragen." Mit den Worten "Es gibt Momente im Leben, da gibt es keine Worte mehr, um die Situation zu beschreiben", endet das Schreiben.

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