Album „Electric Light“

James Bay: „Ich habe noch sehr viel zu lernen“

Musik
31.05.2018 07:00

Mit der Single „Hold Back The River“ verzauberte der Brite James Bay vor knapp vier Jahren die Frauenwelt dies- und jenseits des Atlantiks. Nach einer längst nötigen Pause kehrt der 27-Jährige radikalverändert ins Rampenlicht zurück: kurze Haare, Lederjacke und Synthie-basierte Pop-Songs statt wilder Mähne, Flanellhemd und Folk-Träumerei. Im Interview erzählt er uns, wie es zur Wandlung kam und warum das Album „Electric Light“ eine radikale Neuerfindung ist.

(Bild: kmm)

Gerade mal elf Jahre alt war ein kleiner Knirps namens James Bay, als er in einem Schrank seines Elternhauses eine nur fünfsaitig bespannte Gitarre fand und sich in Eric Claptons Früh-70er-Kultsong „Layla“ verliebte. In Open-Mic-Nächten an der Küstenstadt Brighton veredelte er Jahre später als Student sein Können, lernte nicht nur das Songschreiben und Performen, sondern entwickelte sich auch zu einer eigenen und eigenständigen musikalischen Persönlichkeit. Ein großer Teamplayer war Bay nie, doch mit seinem hageren, an einen jungen Johnny Depp oder Jack White erinnernden Äußeren, den elfengleichen langen Haaren und seinem hypnotisierenden Schlafzimmerblick wie geschaffen, um mit fragilen Texten und zarter Instrumentierung zum Herzensbrecher im Commonwealth zu gedeihen.

Star über Nacht
Da es auch in der eher unromantischen Gegenwart noch musikalische Herzensgeschichten gibt, wird Bay nach einem YouTube-Upload von einem Talentesucher eines Majorlabels entdeckt und gedeiht innerhalb kürzester Zeit zum Weltstar. Die EP und gleichnamige Single „Let It Go“ bringt ihn 2014 erstmals ins Rampenlicht, darauf folgt eine Tour mit Hozier und die im Schmacht-Schmelztiegel Nashville aufgenommene Erfolgsballade „Hold Back The River“, die in England auf Platz zwei der Single-Charts vorstößt, sich auch in der österreichischen Radiolandschaft breitmacht und weltweit mit zahlreichen Gold- und Platinauszeichnungen bedacht wird. Das im März 2015 veröffentlichte Debütalbum „Chaos And The Calm“ erreicht gar die Spitze in den britischen Albumcharts und macht Bay quasi über Nacht zum Weltstar und zum Traum aller Schwiegermütter. Wie viel Arbeit dahintersteckte, erzählt er uns im Interview.

„Schon bevor das Album überhaupt erschien war ich vier oder fünf Jahre lang fast durchgehend auf Tour. Mein Leben war sehr stark durchgetaktet und ich hatte stets wenig Schlaf. Viele der Songs auf dem Album haben die Zeit in meinem Leben perfekt reflektiert, aber als die nahezu endlose Tour zwischen 2016 und Anfang 2017 endlich zu Ende ging, konnte ich dieses Kapitel in meinem Leben endlich schließen.“ Schon während der endlosen Promotermine, Flüge, Busfahrten und Konzerte in allen möglichen Winkeln der Welt merkt Bay, dass er sich verändert. Das Image des idealen Schwiegersohns, der Mutter und Tochter gleichzeitig in Ohnmacht fallen lässt, ist ihm nicht direkt zuwider, spielt aber in der persönlichen Entwicklung des Künstlers keine große Rolle mehr. Schon während der Liveshows spürt er das intrinsisch motivierte, dringliche Verlangen, all die gewonnenen Eindrücke und Einflüsse passend umzusetzen.

Steter Rollenwechsel
„Bei all den Konzerten und TV-Sendungen hat sich aus mir eine Marke gebildet, die immer mit den langen Haaren, der Akustikgitarre und einem Hut in Verbindung gebracht wurde. Ich war einfach die ,Hold Back The River‘-Person, wurde in diese Ecke stigmatisiert. Was die meisten nicht wissen ist, dass das alles so geplant war.“ Von einer ausgeklügelten Taktik zu sprechen, würde wohl zu weit gehen, doch Bay hat schon sehr früh etwas ganz anderes im Sinn. „Früh überlegte ich mir, wer ich als nächstes sein könnte. Ich habe jetzt nicht vor, mich so extrem zu verändern wie David Bowie oder Daft Punk, die live nur als Roboter auftreten, aber Michael Jackson ist ein sehr gutes Vorbild. In den späten 70ern hat er ,Off The Wall‘ herausgebracht und war der Disco-Typ im Anzug, dann kam ,Thriller‘ mit dem roten Jackett, Handschuhen und Hut und schlussendlich überzeugte er auf ,Bad‘ im schwarzen Anzug und mit Stiefeln. Das waren drei Charaktere in einer Dekade und das auch noch voll beabsichtigt. So etwas macht Popmusik interessanter und hat mich definitiv inspiriert. Ich will den Fans eine Art multidimensionales Erlebnis bieten, in das sie eintauchen können.“

Gesagt getan - aus dem flanellhemdentragenden Schüchti ist ein selbstbewusster 27-Jähriger gedeiht, der sein stark verkürztes Haar gelt und sich lieber in die schwarze Lederjacke wirft. „Im Pop ging es doch schon immer um das Äußere“, reflektiert er die Wandlung ganz nüchtern, „denk etwa daran, als Bob Dylan plötzlich die E-Gitarre einstöpselte, Britney Spears sich die Haare rasierte oder One Direction plötzlich nur noch zu viert waren. Ich mag diese Art von Albernheit, dass sich manche mehr für meine Haare als für die Musik interessieren, aber am Ende wirst du nur an deiner Arbeit gemessen. Wenn deine Musik nicht gut ist, dann wird sich niemand für all die anderen Aspekte an dir interessieren. Das Fixiertsein auf das Äußere war aber schon immer Teil des Spiels und man sollte es möglichst schmunzelnd zur Kenntnis nehmen.“

Aufregend vertraut
Mit der optischen geht - wie versprochen - auch eine musikalische Veränderung einher. Als er im Winter seine erste Single „Wild Love“ präsentierte, reagierten alteingesessene Fans geradezu schockiert. Aus charmanten Lagerfeuer-Hymnen wurde plötzlich ein Synthiesizer-durchzogener Popsong, der in seinem Refrain mit House-Einflüssen nicht so weit von Justin Bieber entfernt ist. „Nichts wäre mehr spannend, wenn ich mir nicht große Veränderungen erlauben würde. Die Gitarre ist für mich wie ein zusätzlicher Körperteil, 99 Prozent meiner Zeit auf der Bühne werde ich mit ihr verbringen. Aber im Studio habe ich andere Möglichkeiten - und diese genutzt. Mich hat zunehmend der Welt der analogen Synthesizer und programmierter Schlagzeuge fasziniert. Am besten lässt sich ,Electric Light‘ mit ,aufregend vertraut‘ beschreiben. Das fühle ich jedenfalls, wenn ich das Album höre.“

Experimentiert hat Bay mit seinem guten Freund Jon Green, Grenzen gab es im Songwriting keine, was auf dem Album in voller Länge jedem Hörer schnell gewahr wird. So ist „Wasted On Each Other“ eine Pop-Synthie-Nummer mit 80er-Referenzen und erinnert „Pink Lemonade“ in seinen wilden Momenten gar an die Unberechenbarkeit der Strokes oder früher Arctic Monkeys, aber mit „Slide“ oder „Us“ findet er auch den perfekten Bogen zu den eher zurückgelehnten Folk-Rhythmen. Dazwischen aber immer wieder Autotune, Formatpop und Indie-Geschrammel. „Die Musik ist nicht perfekt und genau das wollte ich erreichen. Heute beschweren sich immer wieder Leute über den Sound der frühen Blondie- oder Bowie-Alben, auch das Schlagzeug von LCD Soundsystem wird bekrittelt, aber genau das macht die Werke einzigartig. Es muss echt und selbstgemacht sein und genau das kriegt man auch auf meinem Album.“

Gekommen um zu bleiben
Einen roten Faden sucht man auf „Electric Light“ vergeblich. Vielmehr hat man das untrügliche Gefühl, dass sich Bay nach der Last seines Erfolgs bewusst von allem bisher Dagewesenen abkehrt, um sich nicht allzu früh in seiner aufstrebenden und vielversprechenden Karriere in eine Nische dogmatisieren zu lassen. Es rumort im 27-Jährigen - und das letzte Wort über seine musikalische Zukunft ist noch lange nicht gesprochen. „Aus simplen Dingen entsteht nichts Großes. Es ist wesentlich aufregender Risiken einzugehen, als sich ständig nur im Kreis zu bewegen. Ich bin immer noch auf der Suche und habe irrsinnig viel zu lernen. Ich muss noch besser zuhören lernen und klügere Entscheidungen treffen, die auf meinen Instinkten beruhen. Ich bin jedenfalls nicht gekommen, um in zehn oder 20 Jahren von der Bildfläche zu verschwinden. Es gibt noch sehr viel zu tun.“

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