„Überwachungswelle“

Schweige- und Schießbefehl: Autokraten und Corona

Ausland
04.04.2020 12:14

Besonders die autoritären Anführer verstehen es in Krisenzeiten, ihre Macht weiter ausbauen - zulasten der Freiheit der Bürger, wie Menschenrechtler und Oppositionelle beklagen: Nur wenige Tage brauchte Russlands Präsident Wladimir Putin, um Gesetze für eine härtere politische Gangart in Russland in Kraft zu setzen. Und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der einen guten Draht zu Putin hat, kann per Notstandsgesetz samt umfassender Vollmachten regieren. Das autoritär geführte Turkmenistan in Zentralasien will Medienberichten zufolge das Coronavirus aus dem täglichen Sprachgebrauch verdrängen - notfalls auch mit Staatsgewalt.

Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdymuchammedow ließ das Wort bereits aus Informationsbroschüren streichen, berichteten unabhängige lokale Medien in der Hauptstadt Aschchabad. Selbst wer die Pandemie in Privatgesprächen erwähne, könne festgenommen werden.

Vorsichtsmaßnahmen gibt es trotz Schweigegebots dennoch: An Bahnhöfen und Bushaltestellen wird angeblich die Temperatur gemessen, an gut besuchten Orten und in Bankfilialen werden Feuchttücher ausgeteilt und Menschen dazu angehalten, Desinfektionsspray in den Mund sprühen. Schulen und Kindergärten bleiben jedoch geöffnet. Auch Veranstaltungen finden weiter statt. Turkmenistan gehört zu den wenigen Ländern, die bisher keine Covid-19-Infektion offiziell bestätigt haben.

Mehr digitale Überwachung
Kaum ein Instrument gewinnt in dieser Zeit des Kampfes gegen die Coronavirus-Pandemie so rasch an Gewicht wie die Nutzung digitaler Technologien. „Die Welle der Überwachung, die wir sehen, ist wirklich so nie da gewesen. Sie übertrifft sogar die Reaktionen der Regierungen weltweit auf 9/11“, sagt der Experte Edin Omanovic von der Menschenrechtsorganisation Privacy International.

Schon nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA verschärften viele Staaten Gesetze für den Kampf gegen islamistische Terroristen. Omanovic sieht nun wie damals die Gefahr, dass die vielerorts erlassenen Gesetze und der Einsatz neuer Technologien die Freiheiten dauerhaft bedrohen.

Tracking über Mobiltelefone
Die russische Hauptstadt Moskau nutzt seit einigen Tagen unter anderem Überwachungskameras und Tracking über Mobiltelefone, um Menschen, die in Corona-Quarantäne sind, auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Die ersten Strafen ergingen bereits am Freitag. Als „Tyrannei“ bezeichnet der prominente Oppositionelle Dmitri Gudkow die neuen russischen Gesetze. „Das Coronavirus beschleunigt den Prozess für den Übergang zur Diktatur“, meint er. Quarantäne sei wichtig, aber hier werde Machtmissbrauch betrieben. „Sie tun es, weil sie es können.“

Notstandsgesetz und Ausnahmezustand
In Russland unterzeichnete Putin auch ein Gesetz, das der Regierung Sondervollmachten für einen Ausnahmezustand gibt. Sollte sich die Pandemie ausweiten, ist es demnach nur eine Frage der Zeit, bis die Daumenschrauben für die Russen noch fester angezogen werden.

In Ungarn kann der rechtsnationale Regierungschef per Notstandsgesetz schon jetzt am Parlament vorbei und zeitlich unbefristet auf dem Verordnungsweg regieren. Neue Strafbestimmungen drohen Journalisten mit dem Gefängnis, wenn sie durchaus wahre Tatsachen so wiedergeben, dass sie größere Menschengruppen „beunruhigen“.

Schon bisher hat Orban mit der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit im Parlament den Großteil der Medien gleichgeschaltet, die Unabhängigkeit der Justiz beschädigt und die Wissenschafts- und Lehrfreiheit eingeschränkt. Weitere Repressionen gelten als möglich. „Das neue Gesetz und die damit einhergehende unbefristete Ermächtigung sind gefährliche Waffen“, kritisierte das ungarische Helsinki-Komitee.

Verschärfung von Strafen
Verbreitet sind auch schärfere Strafen. Im schlimmsten Fall drohen in Russland bei Verstößen gegen die Corona-Quarantäne jetzt hohe Geld- oder sogar Haftstrafen. Und auch von den Behörden als Fake News eingestufte Informationen im Internet ziehen nun noch härtere Sanktionen nach sich.

„Wenn jemand Ärger macht: Erschießt ihn“
Vor allem aber der Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, sorgte mit drastischen Worten international für Aufsehen, als er „Ordnung“ einforderte für die im Kampf gegen die Corona-Pandemie verhängten Ausgangsbeschränkungen. „Meine Anweisungen an die Polizei und das Militär, wenn jemand Ärger macht und ihre Leben in Gefahr sind: Erschießt ihn“, sagte der Staatschef in einer am Mittwochabend ausgestrahlten Fernsehansprache.

Pandemie als Chefsache
Für die Staatschefs geht es in Krisenzeiten vor allem ums politische Überleben. In China schien es nach dem Ausbruch des Virus so, als könnte die Krise für Staatschef Xi Jinping gefährlich werden. Es kam zum Aufschrei im Land, als klar wurde, dass Ärzte in der Millionenmetropole Wuhan schon im Dezember vor dem Virus gewarnt hatten, aber zum Schweigen gezwungen wurden. Doch Xi, der mächtigste Führer seit Staatsgründer Mao Tse-Tung, konnte das Blatt wenden.

Lokale Politiker als Sündenböcke
Den Kampf gegen die Pandemie machte Xi zur Chefsache, präsentierte schnelle Erfolge. Rigoros wurden lokale Politiker in der besonders betroffenen Provinz Hubei entlassen und zu Sündenböcken gemacht. Seit Wochen verkünden die Behörden nun, dass es kaum noch lokale Infektionen gebe. Während Teile der Welt im Chaos versinken, kehrt China langsam zur Normalität zurück. Die Staatspropaganda präsentiert Xi als Staatschef, der den Krieg gegen das Coronavirus gewonnen hat.

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