Stmk-Wahlreportage

„Die Bürger in den kleinen Orten sind nichts wert“

Steiermark
22.11.2019 14:30

Klima, sterbende Ortskerne, zu wenige Ärzte: Bei unserer „Krone“-Regionaltour in der Oststeiermark - von Fürstenfeld über Pinggau bis Weiz - zeigten sich neben Lichtblicken auch viele Schattenseiten. Der Frust über Entwicklungen ist bei manchen groß.

„Ist die Wirtschaft wirklich allmächtig?“, fragt Johann Fabian in die Herrenrunde. Die Antwort hier ist klar: Ja. Wir befinden uns in Altenmarkt bei Fürstenfeld, nur wenige Kilometer entfernt hat ein großes Unternehmen riesige Glashäuser gebaut, in dem nun vor allem Paradeiser angebaut werden. „Zig kleinen Bauern wurde die Lebensgrundlage entzogen“, so der streitbare Pensionist Fabian, der ein Plädoyer für die kleinstrukturierte Landwirtschaft hält.

„Produzieren wir morgen dann Eier in Riesenmengen und übermorgen Milch und Schweine? Soll das unser Klima retten?“, fragt der Oststeirer. „Die Politik will Greta Thunberg unterstützen, aber die Wirtschaft wird nicht eingebremst.“

Die S7 als „Dreckschleuder“
Auch die in Bau befindliche Fürstenfelder Schnellstraße S7 wird kritisch gesehen. „Eine Dreckschleuder“, so Fabian. Sie werde noch mehr Verkehr anziehen.

Neben Fabian sprechen wir auch mit Karl Weber, Ferdinand Schlager und Hans Dieter Spörk. Was die vier Herren eint: Sie hatten je einen von 1600 steirischen Arteser-Brunnen, der auf wertvolles Tiefengrundwasser zugreift, das Wasser steigt ohne Pumpe auf. Von den Behörden wurde ihnen nach jahrelangem Kampf eine Neubohrung aufgezwungen, die alleine bei Spörk 30.000 Euro gekostet hat.

„Bananenrepublik Österreich“
Der Ärger darüber ist nach wie vor groß: „Es wurde in rechtsgültige Bescheide eingegriffen. Hunderttausende Euro an privaten und öffentlichen Geldern wurden rausgeschmissen“, meint Spörk, der sogar von einer „Bananenrepublik Österreich“ spricht.

„Bürger in kleineren Orten sind nix wert“
Generell sehen die vier Oststeirer viele gesellschaftliche Entwicklungen kritisch, etwa das Schulwesen (Weber: „Lehrer haben alle Pflichten, aber keine Rechte - bei Schülern ist es umgekehrt“), die Ausdünnung des ländlichen Raums (Schlager: „Alles geht in Richtung der Zentren, die Bürger in kleineren Orten sind nix wert“), das Rauchverbot in der Gastronomie (Fabian: „Eine Einschränkung der persönlichen Freiheit“) und die Gemeindefusion mit der Stadt Fürstenfeld 2015.

Sorgen bereiten auch die demografische Entwicklung („Zu wenige Kinder“) und Fehler in der Zuwanderung („Lehrlinge werden abgeschoben, IS-Kämpfer durften rein“). Fast zwei Stunden dauert das Gespräch in Altenmarkt. Eine Versöhnung mit Politik und Behörden scheint hier nicht mehr möglich, eher steuert man auf einen finalen Bruch zu.

Seit 141 Jahren wird Kaffee geröstet
Wir verlassen Fürstenfeld und suchen eine andere Ecke der Oststeiermark auf: Passail im Bezirk Weiz. Hier werden seit 141 Jahren edle Kaffeebohnen von Hand geröstet und wandern in vier Sorten über den Ladentisch. Nein, wir befinden uns nicht in einem traditionsreichen Kaffeehaus im Herzen des oststeirischen Marktes, sondern im altehrwürdigen, aber trotzdem modern-innovativen Kaufhaus Reisinger.

Den Reisinger kennt hier jeder im Almenland, vom Schulbuben aus Fladnitz bis zur Bäuerin aus Weiz. Der Nahversorger ist eine Institution wie die Feuerwehr, das Gemeindeamt oder die Hausbank. Und jeder hat hier schon eingekauft, weil’s auch alles gibt: eben die duftende Kaffee-Hausmischung vom Bio-Bauern aus Nicaragua, die modische Markenkleidung, die trendige Almenland-Tracht, das frische Bauernbrot aus Passail oder einfach die Spielzeugpuppe für die kleine Tochter.

„Wir haben eine Verantwortung für die ganze Region“, sagt Andreas Reisinger, der das Geschäft vor 25 Jahren von seinem Vater übernommen hat. Und deshalb setzt der Kaufmann auf Bio-Produktvielfalt, Nachhaltigkeit und Regionalität. Neuerdings gibt es Passailer Buchweizen, Nudeln, Polenta und Co. zum Selbstbefüllen und -portionieren in mitgebrachten Gläsern oder bereitgestellten Papiertüten.

„Wir brauchen intakte Ortskerne“
„Verpackungsfreies Einkaufen“ heißt das Reisingersche Rezept gegen unnötigen Plastikmüll: „Der Preis der Waren darf deshalb für unsere Kunden aber nicht höher werden.“

In Wahlkampfzeiten hat der Geschäftsinhaber aber ein noch größeres Anliegen, und zwar an die Landespolitik in Graz: „Ortszentren wie Passail verdienen dieselbe Beachtung wie große Bezirksstädte. Wir brauchen funktionierende Ortskerne und eine Stärkung des Handels im Zentrum - hier geht es um soziale Verantwortung!“, appelliert Reisinger.

„Hier kennt jeder jeden“
100 Straßenkilometer östlich von Passail liegt Pinggau, wo wir uns mit einem jungen Zimmerer treffen. Fabian Luef ist 18 Jahre alt und hat seine Lehre bei einem Handwerksbetrieb im Ort absolviert. Er lebt gerne hier an der Grenze zum Burgenland, ist in ländlicher Idylle aufgewachsen, liebt Spaziergänge im Wald - und hat folglich auch keinerlei Tendenzen wegzuziehen, etwa nach Hartberg oder Graz: „Auch meine Schulkollegen sind im Ort geblieben. Hier kennt jeder jeden, in der Nachbarschaft hilft man sich auch gerne, beispielsweise, wenn jemand ein Haus baut.“

In den nächsten Jahren droht Ärztemangel
Bei allen Vorteilen, die ein Leben am Land mit sich bringt, gibt es natürlich auch Kehrseiten. Beim Fortgehen etwa schaut’s ziemlich traurig aus in Pinggau, und es droht demnächst auch ein akutes medizinisches Versorgungsdefizit: „In den nächsten Jahren gehen beide Ärzte in unserer näheren Umgebung in Pension, Nachfolger ist keiner in Sicht. Schon jetzt absolviert niemand mehr Hausbesuche, man kann nur die Rettung rufen, wenn man krank ist“, klagt Luef.

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