Aus der Zeit gefallen

Die USA sind im Wandel – Donald Trump nicht

Ausland
12.07.2020 12:02

Corona und Polizeiskandale haben die USA verändert, nur den Mann an der Spitze nicht. Der Präsident igelt sich in einer Wagenburg ein. Donald Trumps größter Gegner heißt Donald Trump.

Corona kleinreden, Rassismus kleinreden, Ultranationalismus hochjubeln, das „alte Amerika“ beschwören: Donald Trump hat seine Wahlkampfstrategie festgelegt. Und die ist nichts anderes als die Flucht in eine rechtskonservative Wagenburg und der Schulterschluss mit Ewiggestrigen und (weißen) Modernisierungsverlierern.

Der Präsident ist aus der Zeit gefallen
Damit ist aber heute in den USA der 130.000 Corona-Toten (Zahl stark steigend) und der Massenempörung über den weithin sichtbaren Polizeiterror vorwiegend gegen Schwarze keine Mehrheit mehr zu machen. Nie zeigte es sich deutlicher als während seiner Auftritte in den vergangenen Tagen: Donald Trump ist aus der Zeit und in die Abwärtsspirale gefallen.

Amerika befindet sich nach dem Würgetod des George Floyd im Umbruch. „I can‘t breathe“ hat das Land verändert. „Papa hat die Welt verändert“ - das hatte Floyds sechsjährige Tochter Gianna schon kurz nach dem Tod ihres Vaters gesagt. Der Tod des Afroamerikaners hat tatsächlich Veränderungen angestoßen.

Im ganzen Land haben sich Menschen aller Hautfarben an Massenprotesten beteiligt, die eine Debatte über systematischen Rassismus und Polizeigewalt angestoßen haben. Im Sport, in der Politik, Wirtschaft und bei der Polizei hat sich mehr verändert als in vielen Jahren zuvor.

Das Umdenken in den Köpfen
Langjährigen Beobachtern zufolge, unter ihnen Ex-Präsident Barack Obama, hatten sich zuvor noch nie so viele Weiße an solchen Protesten beteiligt. Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass inzwischen eine Mehrheit der Amerikaner Rassismus für ein großes Problem hält und die Proteste dagegen unterstützt.

Plötzlich werden Statuen von Persönlichkeiten infrage gestellt, denen Sklavenhaltung oder die Unterdrückung von Schwarzen oder Ureinwohnern vorgeworfen wird. Viele junge Weiße hatten vorher keine Ahnung von der Bedeutung dieser Statuen. Ein Gedenktag zum Ende der Sklaverei soll nun in vielen Bundesstaaten ein Feiertag werden.

Polizeireformen auf den Weg gebracht
Mehrere Bundesstaaten und Städte brachten als Konsequenz Polizeireformen auf den Weg, um exzessive Gewaltanwendung zu unterbinden. Sie haben Polizisten zum Beispiel Würgegriffe und Halsfixierungen verboten.

Unternehmen wollen den Trend mitmachen
Amerikas größte Unternehmen haben seit Floyds Tod versprochen, zusammengenommen rund zwei Milliarden Dollar für den Kampf gegen Rassismus und Ungleichheit zu spenden. Darunter waren Banken, Tech-Firmen und Einzelhändler.

Hinzu kamen Versprechen von Prominenten und Sportlern, unter ihnen auch Basketball-Legende Michael Jordan, der 100 Millionen Dollar spenden will. Viele Firmen sagten zu, Angehörige von Minderheiten gezielt zu fördern.

Der deutsche Sportartikelhersteller Adidas will bei den Marken Adidas und Reebok in den USA künftig mindestens 30 Prozent aller neuen Stellen mit Schwarzen oder Latinos besetzen. „Wir müssen und werden besser sein“, hieß es. Luft nach oben gibt es reichlich: Obwohl Schwarze 13 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, haben nur vier der 500 umsatzstärksten Firmen einen afroamerikanischen Chef.

Der neue Trend in der amerikanischen Gesellschaft ist am besten dann sichtbar, wenn sich große Konzerne des Profits wegen an der Seite der Kunden sehen wollen.

Mobilisierung der Wähler
Floyds Tod hat wenige Monate vor der Präsidentenwahl auch die Politik verändert. Experten gehen davon aus, dass sich Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten infolge der Massenproteste verstärkt politisch engagieren werden - und dann im November auch tatsächlich abstimmen werden.

Eine höhere Wahlbeteiligung dieser Gruppen dürfte dem designierten demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden in die Hände spielen. Barack Obamas früherer Vizepräsident erfreut sich bei Minderheiten großer Beliebtheit: Bei Schwarzen und Latinos liegt Biden einer Umfrage vom Dienstag zufolge mit 74 bzw. 39 Prozentpunkten uneinholbar in Führung vor Trump. Zudem haben sich seit Floyds Tod Anzeichen vermehrt, dass Biden eine nicht-weiße Frau als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft auswählen könnte.

Trump tritt auf die Bremse
Vor allem einer tritt bei den Veränderungen auf die Bremse: Präsident Trump. Er hat das brutale Vorgehen gegen Floyd als Einzelfall verurteilt, erkennt jedoch weder Polizeigewalt gegen Schwarze noch systematischen Rassismus als großes Problem an.

Die Proteste nahm er als Kampfansage gegen sich wahr und drohte Demonstranten mit dem Einsatz „bösartiger Hunde“ und den Streitkräften - anstatt das Land zu einen. Eingriffe in die Erinnerungskultur verbittet er sich, wofür er Beifall von Ultrarechtsaußen bekommt.

„Unsere Helden sind keine Quelle der Schande“, donnerte Trump in einer Brandrede. „Wir müssen unsere Vergangenheit wertschätzen.“ Einer Umfrage der „New York Times“ zufolge lehnen 61 Prozent der Amerikaner Trumps Umgang mit dem Thema Rassismus ab.

Auch der Sport im Wandel
Der Sport hat in den USA großen Einfluss, sowohl die Stars einzelner Sportarten als auch deren Verbände, die bisher deutlich auf der rechtsnationalistischen Seite standen. Die National Football League (NFL) vollzog nach Floyds Tod eine scharfe Kehrtwende. NFL-Boss Roger Goodell gestand Fehler ein, positionierte sich so deutlich wie noch nie gegen Rassismus und „die systematische Unterdrückung schwarzer Menschen“. Er ermunterte alle, in friedlicher Form zu protestieren.

Das ist genau jener Goodell, der noch 2016 den schwarzen Quarterback Colin Kaepernick kritisierte, weil er sich aus Protest gegen Polizeigewalt während der Nationalhymne hingekniet hatte. Der US-Fußballverband kippte eine seiner Regeln und entschuldigte sich für das Verbot zu knien. Die Motorsportserie Nascar verbot die Kriegsflagge der Konföderierten bei ihren Rennen.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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