Vermisstenfall Mirko

Mutter: „Werde wieder für ihn den Baum schmücken“

Wien
08.12.2019 14:55

1995 verschwand ein damals 16-jähriger Bub spurlos. Bis heute glauben seine Mutter und der Fahnder, der einst in dem Vermisstenfall ermittelt hat, dass Mirko noch lebt.

Kazimiera Gadek sitzt am Esstisch in ihrer hübschen Altbauwohnung in Wien-Mariahilf, vor ihr liegen alte Fotos, Dokumente und Zeitungsausschnitte. Die Bilder von früher; die Schulzeugnisse, die Geburtsurkunde, der Pass ihres Sohnes; die Medienberichte über sein Verschwinden – Belege ihrer Tragödie. Ihres Schmerzes, „der mein ständiger Begleiter ist“.

Seit dem 15. März 1995 – als ihr einziges Kind „plötzlich weg war“.

„Mein Bub lebt“
Der „Fall Mirko“: rätselhaft – bis heute. Und bis heute glaubt die Frau: „Mein Bub lebt.“ Dieser Meinung ist auch Christian Mader, Kriminalbeamter in Wien. Lange hat er einst die Vermisstenabteilung im Sicherheitsbüro geleitet und später – nach seiner Versetzung ins BKA, in eine andere Abteilung – den Verein „Österreich findet Euch“ gegründet: „Weil mich manche Abhängigkeitscausen einfach nicht los ließen.“ Eine davon – die von Mirko.

Nie haben seine Mutter und der Fahnder den Kontakt zueinander verloren, „immer wieder gingen wir gemeinsam die Fakten zu dem Drama durch“. Die Analysen von Psychologen, die Vorgeschichte dazu.

„Liebten unseren Sohn abgöttisch“
Was war das Davor? Der Bub wuchs in behüteten Verhältnissen auf. „Mein Mann und ich“, erzählt Kazimiera Gadek, „liebten unseren Sohn abgöttisch – und wir sind unendlich stolz auf ihn gewesen. Wegen seiner Hilfsbereitschaft, seiner Strebsamkeit, seines Sprachentalents, seines hohen Intelligenzquotienten.“ Begabungen, „die wir fördern wollten – darum bezahlten wir ihm eine teure Privatschule“.

Wo, so die nun 70-Jährige, das Unglück seinen Anfang genommen hätte: „Mirko schloss dort nämlich dicke Freundschaft mit einem Diplomatensohn, und in der Folge mit dessen Familie.“ Womit er sich von seinen Eltern zunehmend zu entfremden und von einem Dasein in der Fremde zu träumen begonnen habe.

Fest steht: Am Abend des 14. März, eine Woche vor seinem 17. Geburtstag, schrieb der Bursch – nach einem Telefonat mit besagtem Jungen – auf seinem PC den ersten Teil eines kurzen Abschiedsbriefs, am Tag darauf, im Unterricht, ein paar weitere Zeilen dazu.

„Einer von vielen Puzzlesteinen“
Die Diskette mit seinen angeblich letzten Worten deponierte er im Fach seines Schul-Schreibtischs, neben einer Zeichnung: ein Strichmäxchen springt in die Donau, von der Reichsbrücke. Trotz umfangreichster Suchaktionen – die Leiche wurde nie gefunden. „Einer von vielen Puzzlesteinen“, meint Christian Mader, „die in ihrer Gesamtheit ein klares Bild ergeben: Mirko hat sich nicht umgebracht, sondern freiwillig – mit der Hilfe von irgendwem – ins Ausland abgesetzt.“

Zitat Icon

Nicht, dass ich ein hartes Leben hatte – nein! Ich hatte ein großartiges Leben als einziger Sohn einer Familie der höheren Mittelschicht, gute Menschen, mit gutem Charakter. Du könntest dich jetzt fragen: „Warum zur Hölle hat sich dieser Idiot umgebracht?“ Alles, was ich dazu sagen möchte, ist, dass es nicht eines der üblichen Motive war, wie extremer Stress, eine hoffnungslose Situation etc. […] Und jetzt ist es Zeit, dass ich meine Schultasche mit Steinen fülle und von der Reichsbrücke springe …

Auszüge aus dem Abschiedsbrief, den Mirko in englischer Sprache verfasste und in der Privatschule hinterließ

Das Jetzt des mittlerweile 41-Jährigen? „Wahrscheinlich ist ihm längst gelungen, sich unter falschem Namen eine gesicherte Existenz aufzubauen.“ Warum kontaktierte er nie seine Eltern? Kazimiera Gadek: „Mein Mann starb 2015, danach übersiedelte ich. Doch bis dahin bekam ich regelmäßig auf meinem Festnetztelefon anonyme Anrufe.“ Von ihrem Buben? „Ich glaube, ja.“ Was sagte er? „Nichts.“

Hoffnung „wird bis zu meinem Tod in mir sein“
Trotzdem, die Hoffnung bleibt in ihr, „bis zu meinem Tod wird sie in mir sein“, dass Mirko zurückkommt. „Vielleicht am Heiligen Abend?“, fragt die Mutter, und Tränen laufen aus ihren Augen. Wie in den vergangenen 24 Jahren wird sie auch heuer eine Tanne aufputzen, „für meinen Sohn“ ...

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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