Einträge geschönt

Wikipedia-Einträge von SPÖ und ÖVP manipuliert

Web
30.08.2007 12:07
Nach Leserbriefen und Internet-Postings haben die Parteien eine weitere Spielwiese entdeckt: Funktionäre von SPÖ und ÖVP sind offenbar bereits seit Jahren im Internet-Lexikon "Wikipedia" unterwegs, um dort jene Einträge, die die eigene Partei betreffen, zu schönen und die Konkurrenz entsprechend schlecht aussehen zu lassen.

So wurden von Servern der SPÖ aus kritische Passagen aus dem Porträt von Parteichef Alfred Gusenbauer gestrichen, die ÖVP textete eifrig an der eigenen Parteigeschichte mit und ließ im Präsidentschaftswahlkampf 2004 kritische Links aus dem Wikipedia-Eintrag ihrer Kandidatin Benita Ferrero-Waldner verschwinden.

Möglich sind derartige Manipulationen, weil Wikipedia auf einem auf den ersten Blick bestechenden Grundprinzip basiert: Jeder kann mitmachen. Wer in einem Artikel Fehler entdeckt, wer es besser oder einfach mehr weiß, der kann Korrekturen anbringen oder Artikel ergänzen. Genau das macht das System aber auch fehleranfällig.

Wie sich nun herausstellt, sind nämlich bei weitem nicht alle Autoren der Wahrheit verpflichtet: Von der israelischen Regierung bis hin zum Software-Konzern Microsoft haben Behörden, Unternehmen und Politiker zu ihren eigenen Gunsten in die Online-Enzyklopädie eingegriffen - eben auch die österreichischen Großparteien.

Wikipedia-Scanner fördert Manipulationen zu Tage
Enthüllt wurden die Manipulationen mit Hilfe eines vom amerikanischen Informatikstudenten Virgil Griffith entwickelten Recherche-Werkzeugs, dem "Wikipedia-Scanner" (Krone.at berichtete, siehe Infobox). Da alle Änderungen an den Wikipedia-Artikeln automatisch - inklusive IP-Adresse der Autoren - protokolliert werden, braucht der Scanner nur die beispielsweise einer Partei oder Firma zuzurechnenden IP-Adressen zu sammeln und anschließend die Artikel herauszusuchen, die von diesen Adressen aus bearbeitet wurden.

Kritische Passagen aus Kanzler-Porträt gestrichen
Ergebnis: Ausgehend von einer der SPÖ zuzurechnenden Adresse wurde bereits 2005 versucht, kritische Passagen aus dem Wikipedia-Porträt von Kanzler Alfred Gusenbauer zu streichen ("Auch in den auf die Nationalratswahl 2002 folgenden Jahren konnte Gusenbauer nur bedingt positiv auffallen"). Als das misslang, wurde folgende Ergänzung über den damaligen Oppositionsführer hinzugefügt: "Seit der Nationalratswahl 2002 befindet sich die SPÖ im permanenten Aufwind, hat alle Wahlen gewonnen und liegt konstant in allen Umfragen vor der ÖVP."

Von der selben IP-Adresse aus bearbeitet wurden auch die Porträts roter Politiker - etwa von Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter oder Bildungssprecher Josef Broukal - und bereits verstorbener Parteigranden - von Otto Bauer bis Bruno Kreisky. Und noch im März 2007 fühlte man sich bemüßigt, via Wikipedia klarzustellen, dass die Abschaffung der Studiengebühren nur "Aufgrund des Widerstandes der zweiten Regierungspartei, der ÖVP" gescheitert war.

Die Konkurrenz schläft nicht...
Doch auch die ÖVP nutzt das Internet-Lexikon bereits seit längerem für ihre Zwecke. Als während des Präsidentschaftswahlkampfes 2004 im Wikipedia-Porträt der VP-Kandidatin Benita Ferrero-Waldner Links zu kritischen und satirischen Homepages auftauchten, wurden diese kurzerhand gelöscht - und zwar von einer auf die VP-Tochterfirma Alpha Medien Service registrierten Adresse aus. Die selbe Adresse fügte dann dem Wikipedia-Eintrag des SP-Kandidaten Heinz Fischer einen Hinweis auf eine Homepage hinzu, die den Ferrero-Waldner-Konkurrenten als "Roten Heinzi" persiflierte.

Besonders häufig bearbeitet wurde von dieser Adresse aus auch der Wikipedia-Eintrag über die ÖVP selbst - zuletzt im November 2006. Themen: "Die Ära Schüssel Koalition mit der FP", "Die Renaissance der VP unter Alois Mock" und "Literaturtipps" von Autoren wie Andreas Khol, Reinhold Lopatka und Wolfgang Schüssel.

SPÖ und ÖVP bestreiten Wikipedia-Manipulation
SPÖ und ÖVP bestreiten unterdessen, dass die Eingriffe in das Internet-Lexikon im Auftrag der jeweiligen Parteizentralen erfolgt sein könnten. "Auf keinen Fall ist das von der Bundesgeschäftsstelle aus gesteuert", versicherte SP-Sprecherin Catherina Straub. Ähnlich ihr VP-Kollege Gerald Fleischmann: "Es gibt keine Anweisung, den politischen Mitbewerber mit solchen Mitteln schlecht zu machen - weder früher noch heute."

Dass Partei-Mitarbeiter Wikipedia-Beiträge manipuliert haben könnten, wollen freilich weder SPÖ noch ÖVP ausschließen. "Unser Haus nützt das Internet im Alltag, daher kann man nicht ausschließen, dass in unserem Haus so etwas geschehen ist", sagt Fleischmann. Und: "Wie wir in Zukunft damit umgehen, werden wir jetzt prüfen."

"Wir sind ja nicht die Oberzensoren im Web"
Seitens der SPÖ bestätigt Straub zwar, dass die fragliche IP-Adresse der SP-Zentrale zuzurechnen ist. An den entsprechenden Servern würden jedoch nicht nur die Mitarbeiter der Parteizentrale hängen, sondern auch Funktionäre in den Ländern und in den Nebenorganisationen. Es sei natürlich nicht auszuschließen, dass einzelne Mitarbeiter Teil der Wikipedia-Community seien und dort Einträge bearbeiten. Aber um eine konzertierte Aktion handle es sich dabei nicht, betonte die SP-Sprecherin: "Von uns aus passiert das nicht. Wir sind ja nicht die Oberzensoren im Web."

Glaubwürdigkeitsschaden für Parteien
Wikipedia-Sprecher Matthias Schindler rät politischen Parteien grundsätzlich davon ab, ihre eigenen Wikipedia-Artikel zu bearbeiten. "Auch ohne bösen Willen zu unterstellen ist es für viele Menschen schwer, sachlich über sich selbst zu berichten", so Schindler. "Was wir Parteien und allen beteiligten Personen seit Jahren sagen: Sie sind nicht anonym im Netz. Ihre Änderungen fallen auf sie zurück, und das ist im Zweifelsfall ein viel größerer Glaubwürdigkeitsschaden für eine Person oder eine Partei", warnt Schindler.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem für Wikipedia selbst sieht Schindler nicht und verweist darauf, dass offensichtlich manipulierte Einträge häufig schnell wieder von anderen Usern gelöscht würden. Die "Verweildauer des Unfugs" im Online-Lexikon sei daher erfahrungsgemäß relativ gering. Außerdem sei ein "blindes Vertrauen" in Wikipedia ohnehin nicht sinnvoll. Jede Art von Enzyklopädie könne nämlich nur "ein erster Startpunkt einer Recherche" sein. "Um Wikipedia nützlich zu finden, muss ich Wikipedia nicht vertrauen", betont Schindler.

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