Audienz bei Manson

M. Manson: Vom Schocker zum verliebten Philosoph

Musik
20.06.2007 16:58
Marilyn Manson gibt keine Interviews mehr – er gewährt Audienzen und hält darin weitestgehend Monologe. Vier Jahre und eine Scheidung mussten Fans seit „The Golden Age Of Grotesque“ warten, bis der Schocker unter den Rockern wieder ins Studio ging. Herausgekommen ist mit „Eat Me Drink Me“ das gewöhnlichste und zugleich persönlichste Album des äußerlich gleich gebliebenen aber innerlich umgestülpten Glamrock-Stars. Oder wie es Brian Warner im Krone.at-Interview selbst beschreibt: „Das da bin ich, zu mir selbst zurückgekehrt.“
(Bild: kmm)

Das Metropolitan Hotel in London hat so gar nichts mansoneskes. Vielleicht hat er die Tages-Suite auch deswegen bis auf ein Sofa, einen Couchtisch, vier Hocker und eine dimmbare Stehlampe ausräumen lassen. Die Klimaanlage ist runtergedreht, das Licht reicht gerade einmal, um die vorher gemachten Gesprächsnotizen lesen zu können. Die Tür geht auf, Brian Warner schlurft in Ledermontur, Plateaustiefeln und mit einem halbleeren Glas giftgrünen Absinths in der Hand hinter seiner Assistentin ins Zimmer.

Er trägt Lippenstift, das weiße Makeup im Gesicht hat er weggelassen, es macht aber kaum einen Unterschied. Hätte sein Auftritt keine so merkwürdig fröstelnde Wirkung, würde ihn die übergroße goldene Pilotenbrille mit den pinkfarbenen Gläsern und dem violetten Glaskristall an der Brücke zur Lachnummer degradieren.

„Ich schrieb Songs so, wie man Briefe schreibt“
„Eat Me Drink Me“ ist im Unterschied zu früheren Werken Mansons kein Album, das politische oder soziale Themen oder gar Kontroversen anspricht. Der universalkritische Außenseiter, wie man ihn aus Michael Moores Doku „Bowling For Columbine“ kennt, dringt zur Gänze nicht durch. Die Platte ist ein Konzept-Album und ihr Konzept ist Marilyn Manson - ausschließlich Marilyn Manson.

„Aus Angst maßlos zu wirken, habe ich es bisher vermieden über mich selbst zu schreiben. Ich schrieb nie über meine Gefühle – auch wenn es so aussah. Ich schrieb auch nie Songs in Momenten, in denen ich emotional war. Ich schrieb sie so, wie man Briefe schreibt.“ Und zwar adressiert an jemand anderen, mit einer Unterschrift und einer gewissen Distanz. „Diese Platte entstand aus der Möglichkeit meines eigenen Todes, dem Tod einer langen Romanze und der Geburt einer neuen Beziehung“, sagt Marilyn Manson weiter und erklärt damit schon nach den ersten fünf Minuten Monolog, warum im Booklet von „Eat Me Drink Me“ die größte Danksagung an jemanden namens „Evan“ geht.

Evan ist nicht irgendwer. Evan ist Evan Rachel Wood, Brian Warners und auch Marylin Mansons neue Freundin und trat offiziell Anfang des Jahres die Erbschaft von Edelstripperin Dita von Teese, Mansons nunmehrige Ex-Frau, an. Evan Rachel Wood ist neunzehn, Schauspielerin in Independentfilmen und hält sich mit Nebenrollen in Serien wie CSI oder Profiler über Wasser. Sie sprach auch eine Nebenrolle im letzten Asterix-Zeichentrickfilm. Manson ist übrigens achtunddreißig Jahre alt. Evan Rachel Wood ist übrigens die blutjunge Schönheit auf Seite zwei des Booklets.

„...dass ich gut bin, wenn ich einfach ich bin und darin gut bin“
Für die Single „Heart Shaped Glasses“ ließ sich Manson von seiner blutjungen Liebesdienerin inspirieren. Auch ein Novum, wenn man bedenkt dass der Meister sich bei Studioaufnahmen stets abkapselte und andere Menschen zwischenzeitlich aus seinem Leben verbannte. „Ich schrieb ‚Heart Shaped Glasses’ während sie neben mir ein Buch las und diese Sonnenbrillen aufsetzte, um mich aufzuheitern. Ich sah mit einem Mal so viel von mir selbst in ihr. Allein die Ironie mich - im übertragenen Sinne - selbst in diesen herzförmigen Brillengläsern sehen zu können. Diese zweite Bedeutung beschrieb aber genau das, was ich zu dieser Zeit zu fühlen begann.“

Um das einmal zu übersetzen: Marilyn Manson spürte, dass er verliebt war. Und, Teufel noch mal, er hatte im selben Moment auch einen Song darüber geschrieben – wie gewöhnlich! „Und das ist der Punkt, an dem sich die Handlung des Films ändert“, sagt Manson, „und ich habe mein Leben immer wie einen Film gelebt“. „Ich wollte aber nie etwas machen, das sich normal anfühlt. Ich dachte, das sei zu einfach. Stattdessen kam ich dahinter, dass ich richtig gut zeigen kann, dass ich gut bin, wenn ich einfach ich bin und darin gut bin.“ 

„Ich schrieb einen Song am Weihnachtstag. Ich begann am Morgen und vollendete ihn bis zum Abend. Und so entstand die ganze Platte. Das Album ist unmittelbar, aber auch sehr auf den Moment fixiert. Es ist fast wie eine musikalische Version von Cinema variété“, philosophiert Manson weiter. Ganz zu Beginn erzählte er kurz, dass er früher beim Songschreiben nur an Vampire, Kannibalen, Christus („nicht Jesus!“) und Alice im Wunderland gedacht hat. Aber irgendwie spielt das jetzt keine Rolle mehr, Marilyn Manson ist in Geständnis-Laune und man muss sie ihm nicht einmal herauslocken: „Ich war immer davon überzeugt, dass es mir egal ist, was die Menschen von mir denken. Doch irgendwie hat es mich doch berührt, mich menschlicher gemacht – das zeige ich auf diesem Album.“

„Die einzige Schwäche in meinem Leben ist die Romantik“
Bei all dem Emotionsgedudel fragt man sich, ob „Eat Me Drink Me“ in sich tatsächlich eine musikalische Verarbeitung von Mansons After-Dita-Depression und einher mit einer radikalen Persönlichkeitsveränderung geht. Betrachtet man das Werk ohne seine Erklärungen im Hinterkopf, sie könnte man sich auch fragen, ob er es zwischenzeitlich einfach nur Leid wurde, dauernd die harte Sau markieren zu müssen und in einem Anflug von Panik, fast wie in einer Midlife-Crisis, das Ruder herumreißen wollte. Die Platte ist gespickt mit abgedroschenen Füllphrasen wie „If you’re Bonnie / I’ll be your Clyde“ oder einem Refrain, der den Satz „You broke my heart“ ohne strafrechtlich bedenklichen Zusammenhang rezitiert – auch musikalisch wirkt sie über weite Strecken… na ja, normal eben.

Offene Akkordfolgen, wie sie sonst höchstens mindertalentierte Punkrockbands benutzen - wenn auch bei ihm mit dem notwendigen Feinschliff im Sound. Dazu gibt’s gerade, unverschnörkelte Takte und doch fette Gitarrenriffs, die durch ihrer Bescheidenheit jede Aufmerksamkeit auf den Text lenken. Auf „Putting Holes In Happiness“ beschreibt Manson die ausgezeichnete Wirkung, die Sex mit seiner neuen Freundin auf sein Ego hat. „She had dirty word witchcraft / I was deep in the end of her skin“ oder „You wear your ruins well / please run with me to hell“. „The Red Carpet Grave“ ist, wie am Titel unschwer zu erkennen, die Abrechnung mit Dita von Teese und der Premieren-Welt, in die sie vor ihm und seinen in den letzten Jahren drastisch zugenommenen Alkohol-Exzessen flüchtete.

In „Just A Car Crash Away“ gibt er sich der Vorstellung hin, wie zauberhaft schmerzvoll und zugleich wahre Liebe es wäre, wenn der Partner stirbt. „Are You The Rabbit“ schildert eine von Ecstasy und Extase verklärte Bettszene, in der Manson von den „Titten des Teufels“ halluziniert. Einsam und verlassen inmitten der tiefschürfenden Lyrik seiner anderen Songs steht dagegen „They Say That Hell’s Not Hot“ als profaner Witz über emotionalen Selbstmord auf Raten.

Und dennoch ist es astreiner Rock, keine Frage. Aber fast zu astrein und in seiner durchsichtigen Verpackung fast schon zu sauber für jemanden, der ausgestopfte Affen in seiner Wohnung hortet, auf Strangulierspielchen steht und gerade dabei ist, seiner Obsession auf Alice im Wunderland und seiner Verehrung für Lewis Carroll, dem Autor und Dichter, mit einem Filmprojekt namens „Phantasmagoria“ einen filmischen Grabstein für die Ewigkeit zu setzen.

„Die einzige Schwäche in meinem Leben ist die Romantik. Viele Leute missinterpretieren das Album als traurig, weil Romantik immer schmerzt. Aber dieses Album stellt mich dar als eine Person, die aus einer Tragödie wiederauferstanden ist. Es ist nicht so, dass ich eine vergangene Beziehung bedauere, sonder vielmehr finde ich mich selbst wieder mit einem neuen Verständnis von Romantik, das ich bisher nie hatte“, sagt Manson und bringt etwas Licht in die Sache. Blut und andere Körpersäfte, Liebe in Form des einander Essens und der Ekel vor der Welt, die Manson und Seinesgleichen durch ihr kollektives Schamgefühl und ihre Angepasstheit per se ausgrenzt – Mansons Begriff von Romantik ist tatsächlich ein anderer.

„Ich war in Interviews oft direkter als in meinen Songs“
Veränderung hin oder her. Dass „Eat Me Drink Me“ jetzt der wahre Manson sei und alles davor ab sofort zum Schrott gehöre, will Marilyn Manson nicht behaupten. Dass die Platte doch ein klein wenig Vergangenheitsbewältigung darstellt, streitet er im keinerlei Gefühle hatte, die mir Sorgen bereitet hätten. Ich hatte keine Angst – ich hatte einfach nichts, für das ich leben wollte. […] Ich wusste, das Einzige was mir jetzt dabei helfen könnte, mich wieder wie eine Person zu fühlen, war jemand anderen etwas fühlen zu lassen.“ Ob er damit Evan Rachel Woods meint oder die Käufer und Hörer seiner neuen Platte, lässt Manson offen.

Besser gesagt, er überfährt die Zwischenfrage mit einem neuerlichen Verfall ins laute Artikulieren seiner Gedankenströme: „Ich schrieb nie Songs für jemanden. Ich benutzte sie stets als Schild gegen die Welt. Jetzt war das einfach ich, der gerade über seine Freundin schreibt! Und zwar aus dem Grund, weil ich keinen anderen Weg fand, mich auszudrücken. Als ich dann sah, dass ich damit in jemandem eine Reaktion erzeugen konnte, begann ich wieder zu fühlen. Noch dazu fühlte ich jetzt die offensichtlichen Dinge, die mich zu dem Menschen machen, der ich bin. Ich tat was normal, natürlich war – das, was ich bisher immer gemieden hatte.“

Die Erschließung dieser neuen Perspektive, die „Eat Me Drink Me“ auf den Künstler Marilyn Manson und die Person Brian Warner bietet, kam auch mit Mansons Filmprojekt „Phantasmagoria“, das nach der Unterbrechung für das Album demnächst fertig werden soll. „Ich dachte, dass ich mich beim Filmemachen besser hinter meiner Kreation verstecken könnte. Du kannst als Schauspieler alles sein, nur nicht du selbst. Ich wollte damit erreichen, dass die Menschen besser verstehen und meine Arbeit den größten Teil der Wirkung einnimmt. Aber dann kam ich dahinter, dass ich das auch ohne Umwege mit der Musik kann; wenn ich sie nicht als Schild benutze sondern als ich selbst Dinge kommuniziere. Ich war in Interviews oft direkter als in meinen Songs, und das gab mir zu denken. Als ich dann ‚Just A Car Crash Away’ sang und dabei wieder zu fühlen begann, war ich zur selben Zeit wütend und froh. Ich entschied, dass es besser ist, die Leute mit meiner Musik zu mir einzuladen und sie mit dem zu verführen, was ich darin kreiere, anstatt sie damit zu bekämpfen.“

„Die Hölle ist ein ganz komfortabler Ort für mich“
Eine weitere innerliche Veränderung, die Manson während und vor „Eat Me Drink Me“ durchmachte, ist die absichtliche Verschmelzung seiner beiden Persönlichkeiten. Die von Brian Hugh Warner und der Kunstfigur Marilyn Manson, die sich im übrigen – wie auch die Namen aller anderen und ehemaligen Bandmitglieder – aus dem Schema Diva/Massenmörder zusammensetzt. In seinem Fall sind es Marilyn Monroe und Charles Manson. „Es gibt definitiv zwei Seiten von mir. Für mich sind das aber bloß Worte und Namen. Ein einfacherer Weg, das zu verstehen, ist auf und abseits der Bühne. Nicht weil ich jemand anders werden muss, um auf die Bühne gehen zu können, sondern weil ich auf der Bühne etwas darstellte, dass im Grunde Intimität für mir gänzlich fremde Personen bedeutet. Abseits der Bühne teile ich diese Intimität mit jemandem, den ich liebe… das heißt, wenn ich nicht gerade allein bin. Und ich mag es nicht, allein zu sein, deswegen wurde ich ja auch Performer.“

Jetzt, da er auch mit seinem Publikum mehr oder weniger intim werden wollte bzw. die Trennung nach diesem Zuwendungsschema störte, schlug Manson ein neues Konzept an: „Ich unternahm nie die Anstrengungen, die ich unternehmen hätte sollen, um das was ich mache und das was ich bin, zu ein und demselben zu machen. Es ist derselbe Grund, dass man Lederhosen trägt, weil man sie nicht waschen muss. Es war praktisch, so wie es war. Aber warum sollte ich größeren Aufwand für die Kommunikation mit Fremden betreiben, als für jemanden, den ich liebe? Es hat gedauert, bis mir klar wurde, dass es keinen Grund dafür gibt, mein lächerliches und zudem völlig krankes Leben zu verändern. Es gefällt mir und es ist nicht mein Problem, wenn es andere Leute nicht mögen. Als ich also versuchte, den Fuß aus der Hölle zu bekommen, wurde mir bewusst, dass die Hölle für mich eigentlich ein ganz komfortabler Ort ist – wenn du wie ich jemand bist, der den Teufel romantisch findet…“

Und jetzt kommt Marilyn Manson nach 29 Minuten Monolog zum Finish, das jetzt auch den Titel „Eat Me Drink Me“ vollends erklärt: „Ich habe dieses Album als ich selbst gemacht und damit aufgehört, die Welt permanent davon überzeugen zu wollen, dass was ich denke mein eigener Kram ist, aber du mit deiner Meinung genauso richtig liegst wie ich. Diese Dinge wurden mir egal – ich wollte nur noch ich selbst sein.“

Christoph Andert


"Eat Me Drink Me" gibt's demnächst live in Österreich. Und zwar am Novarock-Festival in Nickelsdorf (15. - 17. Juni)!

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