Taliban-Vormarsch

Der Krieg in Afghanistan kehrt zurück

Ausland
09.12.2017 07:26

Vor einem Vierteljahr hatte US-Präsident Donald Trump geschworen, die Islamisten in Afghanistan zu zerquetschen. Dann kamen mehr US-Soldaten, viel mehr Luftangriffe, viel mehr tote Zivilisten - und heute ist die Situation schlimmer denn je. 2017 ist der afghanische Krieg auf die Weltbühne zurückgekehrt. Die Regierung in Kabul steht immens unter Druck.

Mohammad Haschim Nursai ist eines der letzten Opfer der Mordserie. Nursai war Gouverneur eines Bezirks in der Provinz Nimrus. Ende November zündeten die Taliban eine Mine, als er vorüberfuhr. Richter, Regierungsbeamte, sogar Mullahs sterben. Gleichzeitig mehren sich die Gefechte in Afghanistan - und diese "immer weniger im Guerrila-Stil", sagen westliche Militärs.

Mehr Gefechte werden begleitet von mehr Anschlägen. Einer der größten war die Lastwagenbombe vor der deutschen Botschaft im Mai mit rund 150 Toten. Allein die Hauptstadt Kabul hat 2017 20 schwere Anschläge gesehen.

Ewiges Blutvergießen geriet in Vergessenheit
Drei Jahre nach dem Ende des NATO-Kampfeinsatzes und sechs Jahre nach den ersten Truppenreduzierungen hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan so verschlechtert, dass die Militärs wieder in das Krisenland zurückkehren (müssen). Die USA und einige NATO-Länder schicken jetzt wieder Tausende zusätzliche Soldaten in das ewige Blutvergießen. Die USA entsenden mehr Spezialkräfte und CIA-Agenten, die Taliban jagen sollen. Aus anderen Staaten kommen mehr Ausbildner für die überforderten afghanischen Streitkräfte. Die sterben zu Tausenden.

Viele Menschen haben schon vor Jahren aufgehört, auf Afghanistan zu schauen - das wohl typische Schicksal lange simmernder Konflikte. In diesem Jahr haben sie eine drastische Eskalation verpasst. Auf dem neuen Welt-Friedens-Index des anerkannten Instituts für Wirtschaft und Frieden (IEP) steht Afghanistan nun gleich hinter Syrien am Ende des Rankings. Die Taliban kontrollieren oder beeinflussen wieder 13 Prozent des Landes und kämpfen um weitere 30 Prozent.

"Militärisch ist dieser Konflikt nicht zu gewinnen"
Mit Inbrunst vorgetragene Lehren eines 16 Jahre dauernden Militäreinsatzes wurden 2017 mit einer Leichtigkeit gekippt. Eine solche Lehre, die zur Rechtfertigung der Truppenabzüge von 2011 an immer wieder betont wurde, war: "Militärisch ist dieser Konflikt nicht zu gewinnen." Aber als US-Präsident Trump im August die neue Afghanistan-Strategie der USA vorstellte, kündigte er großspurig an, "den IS auszumerzen, Al-Kaida zu zerquetschen und die Taliban daran zu hindern, das Land zu übernehmen". "Wir machen keinen Staatsaufbau mehr. Wir töten Terroristen", sagte er.

Trump schickt immer mehr Soldaten
3000 zusätzliche US-Soldaten sind angeblich schon im Land. Die Zahl der Luftangriffe geht drastisch in die Höhe - mehr als 2400 waren es bis November. Im vergangenen Jahr waren es knapp 1000 gewesen.

Doch ein Vierteljahr nach Trumps Rede ist die Situation erst einmal schlimmer als je zuvor. Im Oktober starben in einer Serie von Offensiven in nur vier Tagen mehr als 200 Polizisten, Soldaten und Zivilisten, als vor Gouverneursbüros oder Militärbasen Autobomben hochgingen, die Kämpfern der Taliban den Weg freimachten. Schon im Juni, als mehr Truppen nur eine Idee waren, hatte Taliban-Chef Haibatullah Akhundzada gesagt: "Wenn ihr denkt, dass ihr unsere Entschlossenheit brecht mit einem Truppenaufbau, dann macht ihr einen Fehler."

Zahl der zivilen Opfer wächst
Mit mehr Gewalt auf beiden Seiten wächst auch die Zahl der zivilen Opfer - und zivile Opfer hatten schon in der Vergangenheit viele Menschen in die Arme der Taliban getrieben. Indem Trump den Soldaten in der Kriegsführung mehr Spielraum gibt, wächst das Risiko, dass Zivilisten sterben, deutlich.

Nur, was ist die Alternative? Eine andere, oft wiederholte Lehre aus 16 Jahren in Afghanistan ist, dass "nur eine politische Lösung den Frieden bringen" kann - sprich Verhandlungen mit den Taliban. Der deutsche Afghanistan-Experte Thomas Ruttig findet, das sei noch nicht ausreichend versucht worden. Ja, Friedensgespräche seien auf keiner Seite derzeit populär. "Aber so ist das eben in diesen Konflikten - es ist mühsame Kleinarbeit", sagt Ruttig. "Man weiß nie, wann es einen Durchbruch gibt. Man muss es weiterversuchen."

Westler machten sich durch Fehler unbeliebt
Als die ausländischen Soldaten vor einem Jahrzehnt an den Hindukusch kamen, wurden sie von den meisten Afghanen noch mit offenen Armen empfangen. Viele von ihnen waren sehr froh über das Ende des Taliban-Regimes. Sie hofften auf eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand, wie es die westlichen Truppenstellernationen vollmundig versprachen. Seither starben Tausende Aufständische und Soldaten, Polizeibeamte und Zivilisten. Aus der Gastfreundschaft der Afghanen ist vielerorts Wut auf die Fremden geworden. Auch einstmals optimistische Militärs halten den Einsatz für gescheitert.

Zwar ist auch viel erreicht worden: Millionen Kinder gehen zur Schule, Straßen wurden geteert, Häuser gebaut. Frauen haben - trotz des Widerstands konservativer Kräfte - weitaus mehr Rechte als damals unter den Taliban. Doch jeder Skandal der internationalen Truppen, jedes zivile Opfer bei einem NATO-Bombardement, jede Demütigung durch ausländische Soldaten entfremdete die Afghanen von den Westlern, die angetreten waren, ihnen zu helfen.

Experte: "Mission gescheitert"
Selbst Experten wie der niederländische NATO-Berater Rob de Wijk erwarten inzwischen ein Scheitern am Hindukusch. "Der Krieg ist für das westliche Bündnis verloren", sagte der Leiter des renommierten Zentrums für Strategische Studien in Den Haag. "Mission gescheitert."

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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