Abenteuerliche These

Gibt es ein Leben vor der Geburt, Herr Professor?

Wissenschaft
01.11.2017 13:26

Allerheiligen, Tag der Trauer und der großen Fragen. Wer sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir? Der renommierte Arzt und Theologe Professor Johannes Huber (71) über das Menschsein, das Davor und das Danach. Und was Kardinal König damit zu tun hat.

Ein Medizinkongress in Malta, der österreichische "Hormonpapst" und Reproduktionsmediziner ist dort Vortragender. Deshalb entsteht das "Krone"-Interview aus einem Austausch nächtlicher Mails und telefonischer Nachfragen an den Tagen darauf. Hubers neues Buch kam am vergangenen Wochenende in den Handel, er stellt darin eine für viele abenteuerlich klingende These auf. Dass es nicht nur ein Leben nach dem Tod, sondern auch eines vor der Geburt gibt.

"Krone":Herr Professor Huber, zu Allerheiligen gedenken viele Gläubige ihrer Verstorbenen. Sie auch?
Johannes Huber:Natürlich. Ich fahre wie jedes Jahr an diesem Tag nach Hainburg an der Donau, wo meine Eltern begraben sind. Dieses symbolische Ritual ist für mich immer auch eine Gelegenheit, meinen persönlichen christlichen Glauben zu aktualisieren. Das Gedenken an meine Eltern schließt alle Verstorbenen mit ein. Deswegen heißt das Fest ja auch Allerheiligen und Allerseelen - es inkludiert alle Menschen.

Was sagt Ihnen Ihr Glaube über den Tod?
Er geht davon aus, dass unser irdisches Leben nur ein episodenhaftes Exil ist. Von ihm aus gehen wir in eine andere Daseinsweise über.

Sie haben schon mit Ihrem ersten Buch für Aufsehen gesorgt. Es war ein Plädoyer für Schutzengel, für die Aura und das Karma. Nun gehen Sie noch einen Schritt weiter. Warum?
Weil alle Forschungen zeigen, dass Körper, Geist und Seele ein komplexes System bilden, das mit anderen komplexen, unsichtbaren Systemen korrespondiert. So entsteht ein neues, holistisches Menschenbild, das den Menschen in seiner Gesamtheit versteht: die Seele, das Vorher, das Nachher.

Über das Nachher wurde schon viel geschrieben. Aber gibt es wirklich auch ein Leben vor der Geburt?
Man kann das naturwissenschaftlich und theologisch sehen. Bewiesen ist jedenfalls, dass das Leben der Eltern die Kinder, lange bevor sie überhaupt gezeugt wurden, beeinflussen. So können zum Beispiel Stoffwechselprobleme bei Menschen entstehen, wenn die Väter lange vor der Geburt ein ungesundes Leben geführt haben. Unser "epigenetisches Vorleben" lässt sich gut dokumentieren und begründen. Es handelt sich dabei aber um kein personenhaftes Vorleben, sondern um eine holistische Einbindung des Menschen in jene genetischen und epigenetischen Protokolle, die schon vor seiner Zeugung da waren.

Was nehmen wir mit von unserem Leben vor der Geburt in dieses Leben?
Was uns die Eltern vorbereiten, mit ihrem Leben, mit ihrer Zuneigung und letzen Endes auch mit ihrer Prägung. Besonders wichtig ist, was die Mutter vor der Geburt während der Schwangerschaft dem Kind mitgibt. Möglicherweise gibt es auch so etwas wie ein Karma. Auch Liebe lässt sich vererben. Wir geben also nicht nur die Gene, sondern auch unsere Lebenseindrücke in einem gewissen Ausmaß an spätere Generationen weiter und tragen deshalb auch eine große Verantwortung. Hätte man das noch vor einigen Jahren gesagt, wäre man am wissenschaftlichen Scheiterhaufen gelandet. Heute hat es die Epigenetik klar bewiesen.

Wie muss man sich diese Physik des ewigen Lebens vorstellen?
Der österreichische Quantenphysiker Walter Thirring hat das sehr gut erklärt. Er meinte, dass das Universum aus energetischen Hintergrundfeldern bestehe, aus denen, wenn sich die Energie verdichtet, mitunter Materie hervortritt. Diese Materie führt einen unbeständigen Tanz auf, den wir Leben nennen, ehe sie wieder in den Hintergrund zurücktritt. Dass Energie nicht verloren geht, wird allgemein akzeptiert. Deshalb muss man nicht religiös sein, wenn man die Frage stellt: Von wo kommt diese Energie, aus der unser Körper wurde, und wo geht sie wieder hin? Eine Lieblingsfrage Kardinal Königs.

Sie waren viele Jahre sein Sekretär. Was hat Ihnen Kardinal König mitgegeben?
Er war ein wirklicher "Sir" unter den Bischöfen und Kardinälen: sprachgewandt, bescheiden trotz seines hohen Amtes und vor allem tolerant. Er hat stets die "Mitte" gesucht, in der Politik, in der Wirtschaft und auch im persönlichen Leben. Und er war der Überzeugung, dass die aus dem mechanistischen Weltbild des 18. und 19. Jahrhunderts resultierende Gottferne überwunden werden kann. Für mich sind viele seiner Eigenschaften unerreichbar, allerdings habe ich aufgesaugt, was ich konnte, und bin dabei auch in meinem medizinischen Beruf sehr bereichert worden.

Erinnern Sie sich noch an Ihre letzte Begegnung?
Ich weiß es wie heute. Es war im März und es hatte begonnen zu schneien. Der fast hundertjährige Kardinal sah zum Fenster hinaus. "Die Schneeflocken", sagte er leise. "Wie schön." Unser Gespräch endete damit, dass er mich bat, den Dialog zwischen Glauben und Naturwissenschaft weiterzuführen - für ihn war zwischen beiden kein Widerspruch.

Zum Gerücht, er wäre Ihr Vater, haben Sie schon beim letzten Interview Stellung genommen. Beschäftigt es Sie noch?
Es ist ein Phänomen, dass solche Gerüchte nicht sterben. Ich kann immer nur dasselbe darauf antworten: Es wäre für mich eine unglaubliche Auszeichnung, leider bin ich aber der Überzeugung, dass es - nochmals leider - nicht stimmt.

Sie sagen, dass dieses jüngste Buch das Vermächtnis Kardinal Königs ist. Inwiefern?
Der mittlere Teil ist tatsächlich eine Art Vermächtnis. Das Buch soll aufzeigen, dass es heute intellektuell redlich ist, wenn sich jemand für einen Gott entscheidet. Es plädiert für die gleiche intellektuelle Augenhöhe zwischen Gottnahen und Gottfernen.

Werden Sie angefeindet, seit Sie sich als Mediziner und Arzt auf dieses heikle Terrain begeben haben?
Das Netzwerk der Gottlosen ist größer und aggressiver als man glauben würde. Zu den Vorteilen des Alterns zählt es, dass man von Bösartigkeiten nicht mehr so berührt wird wie in jungen Jahren.

Besuchen Sie manchmal auch das Grab des Kardinals?
Immer wieder. Neben seinem Sarg in den Katakomben von St. Stefan steht die Osterkerze, die für ihn ein starkes Symbol des Weiterlebens war. Er hat es sich ausdrücklich bei seinem Grab gewünscht. Die christliche Verkündigung und auch ihre jetzigen Repräsentanten täten gut daran, diese Transzendenz - aus Angst vor dem Spott der Gottlosen - nicht unter den Tisch fallen zu lassen und stattdessen mit Charity und Sozialleistung glänzen zu wollen. Denn dass wir Menschen in dieser Welt nur im Exil sind und wieder dorthin zurückkehren, von wo wir gekommen sind, bleibt das innerste Herz der biblischen Botschaft.

Zur Person: Geboren am 31. Mai 1946 in Bruck an der Leitha. Huber studiert Medizin und katholische Theologie. Von 1973 bis 1983 ist er persönlicher Sekretär von Kardinal Franz König. Bis 2011 leitet er die klinische Abteilung für gynäkologische Endokrinologie am Wiener AKH, heute ist er emeritiert. Viele Jahre war der Mediziner auch Vorsitzender der österreichischen Bioethik-Kommission. Verheiratet seit 1977 mit Helga, seine Tochter Claudia (39) ist ebenfalls Medizinerin.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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