"Krone"-Interview

Cigarettes After Sex: Heilende Melancholie

Musik
06.11.2017 14:10

Mit ihrem elegischen Dreampop haben Cigarettes After Sex die Herzen ihrer Fans im Sturm erobert. Mastermind Greg Gonzalez schafft es scheinbar mühelos, träumerische Momente mit eindringlichen Soundkaskaden so zu verbinden, dass man die Fans in eine Art Trance befördert. Am 15. Mai kann man sich im Wiener Gasometer davon überzeugen. Wir haben zudem herausgefunden, dass eine Stiländerung möglich wäre und sogar eine Death-Metal-Band wie Cannibal Corpse im Gedankenkosmos des Sängers Platz findet.

(Bild: kmm)

"Krone": Greg, bist du der Meinung, dass Cigarettes After Sex eine Band ist, die perfekt in eine naturbelassene Landschaft passt?
Greg Gonzalez: Ich denke schon. Ich will mit unserer Musik auch das Gefühl von Natur und weiten Landschaften evozieren. Wir fühlen uns als Künstler, die mit den Elementen im Einklang sind und wollen das projizieren. Wenn du an einen Strand in der Nacht denkst oder einen dunklen Wald, dann wäre es schön, würdest du das mit unserer Musik in den Ohren tun. Es ist nicht so, dass ich beim Songschreiben nur an die Weite der freien Natur denke, aber es schwingt definitiv immer etwas Freies, Öffentliches in unseren Songs mit.

Beim Out Of The Woods Festival heuer seid ihr diesen Sommer um 16 Uhr aufgetreten. Ist es verstörend, eure intensive Musik am Tag präsentieren zu müssen?
Das macht keinen großen Unterschied, aber wir sind sicher eine nachtaktive Band. Der ganze Stil, die Songs, die Atmosphäre - wir machen Mitternachtsmusik. Natürlich sind solche Auftritte etwas seltsam, aber es ist wichtig, dass wir immer alles geben und auch zu solchen Zeiten gut spielen. Wenn wir tagsüber in der Sonne nicht in der Lage sind, unsere Leistung abzurufen, dann bräuchten wir abends gar nicht erst auf die Bühne zu gehen.

Brauchst du zum Songschreiben eine speziell dunkle, melancholische Atmosphäre?
Gar nicht mal so. Natürlich haben wir traurige Nummern, aber in Songs wie "Sweet" steckt auch sehr viel Positives. Wenn du die Texte liest, sind sie nicht immer finster, aber das ergibt sich durch den Sound. Unsere Traurigkeit entsteht nicht aus ihr selbst, sondern aus dem Glück der Vergangenheit. Ich denke man kann unsere Band sehr gut so zusammenfassen, dass wir die Musik erschaffen, die dann in deinem Kopf entsteht, wenn das Glück davongeflogen ist. Die furchtbare Gegenwart hat die schöne Vergangenheit überholt.

Das ist ein mitunter sehr nostalgischer Ansatz. Bist du jemand, der gerne in der Vergangenheit lebt und denkt?
Ich bin kein depressiver Geist. Schöne Dinge in der Vergangenheit müssen nicht immer private Erlebnisse, sondern können auch Gedanken an einen besonders schönen Wald sein. Wir versuchen eine triste Gegenwart in einer möglichst positiven Form zu reflektieren.

Denkst du beim Texteschreiben auch an gesellschaftskritische und politische Themen, die dich als US-Amerikaner vielleicht noch stärker beschäftigen als andere Menschen?
Prinzipiell nicht. Ich habe natürlich eine Meinung und meine Einstellung, aber ich schreibe eher über persönliche Erlebnisse und Beziehungen, die ich damit verarbeite. Als Texter ist es mir wichtig, dass ich etwas verfasse, das dauerhaften Bestand hat und sich gut anfühlt. Schreibe ich also über eine perfekte Welt, dann würde Politik gar nicht darin vorkommen. Sie würde dann nicht existieren. Die Politik besteht für gewöhnlich aus Uneinigkeit und Streit, Cigarattes After Sex stehen aber für Harmonie - im textlichen, als auch musikalischen Sinne. Wenn die ganze Welt auseinanderbricht, dann kannst du immer noch auf deine eigene Stärke und jene deiner Lieben bauen. Das ist die Kernaussage unseres Sounds.

Du bildest dir also eine Welt aus einem Eskapismus, in der man vor der Realität flüchten kann?
Das trifft es ziemlich gut.

Mit eurem heuer veröffentlichten Debütalbum konntet ihr eure Fanbase gewaltig erweitern. Ist das auch ein bisschen angsteinflößend, weil nun vielleicht auch Leute Zugang zu deiner Musik finden, die den Kern deiner Botschaft nicht gleich verstehen?
Die alten Fans verstehen genau, worum es uns geht und sie kennen im Prinzip auch alle alten Interviews. All jene, die es nicht gleich erfassen sind sehr interessiert, reden uns darauf an und fragen nach, was ich als sehr höflich und zuvorkommend empfinde. Viele können sich mit unseren Texten identifizieren und das finde ich sehr schön. Es ist auf jeden Fall angenehmer für mich, als ich müsste ich mich für jede Zeile nach außen hin rechtfertigen. (lacht)

Ist es dann schwierig, auf Festivals zu spielen? Dort kommen die Fans nicht immer zwingend für euch, sondern auch für andere Bands.
Das stimmt, da gibt es natürlich eine gewisse Kluft, aber ich mag diese Shows genauso. Auf Festivals gibt es viele Menschen, die noch nicht einmal den Namen gehört haben, was aber die große Herausforderung ist, weil man damit neue Fans gewinnen kann. Den "Kult" um unsere Band haben wir bei den Einzelshows, da sehen wir die treuen Anhänger, die scharenweise zu uns pilgern. Festivals sind für mich ein Abenteuer und wir geben genauso 100 Prozent wie überall anders.

Ist dein persönlicher musikalischer Background ganz anders als der Dreampop, den du mit Cigarettes After Sex kreierst?
Als ich Gitarrenspielen lernte, stand ich vor allem auf Queen und Michael Jackson. Ich mag aber auch Megadeth, Slayer oder Cannibal Corpse. Ich habe mich immer weiter entwickelt, kam dann zu Radiohead oder Avantgarde-Geschichten wie John Cage, Bob Dylan, Leonard Cohen und viele andere. Ich kenne keine Grenzen, höre mittlerweile auch viel Jazz-Musik und lerne mit jedem Tag dazu. Im groben Sinne kannst du mit mir wirklich über alle Arten von Musik reden.

Es ist schwer vorstellbar, dass du wirklich Cannibal Corpse hörst, wenn du Songs für Cigarettes After Sex schreibst.
(lacht) Das kann ich verstehen, ich habe mir sie erst gestern wieder angehört. Cigarettes After Sex ist meine Persönlichkeit und meine Identität, aber ich kann auch andere Persönlichkeiten in mir freilassen und deren Einflüsse nach außen bringen. Cannibal Corpse mag ich auch deshalb, weil sie absolut kranken, wahnsinnigen Death Metal machen, der dein Blut in Wallung bringt. Diese Verrücktheit macht so viel Spaß. Es spiegelt die Persönlichkeiten der Musiker genauso wider, wie Cigarettes After Sex meine eigene Persönlichkeit widerspiegelt. Wir beide machen ehrliche und authentische Musik und es geht uns allen im Endeffekt darum, in unserer jeweiligen musikalischen Welt so gut wie möglich zu sein. Wenn du dir ein Bandshirt kaufst, dann deshalb, weil du die Band magst. Das Motiv alleine reicht normalerweise nicht. Man muss heute einfach ehrlich, authentisch und aufrichtig sein, denn sonst glaubt dir keiner, was du machst. Die Leute fühlen ganz gut, ob du es wirklich ernst meinst oder nicht.

Wo ziehst du die Grenze, wenn du für Cigarettes After Sex komponierst?
Ich kenne da keine Grenzen. (lacht) Wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas zu weit gegangen bin, dann bin ich meistens richtig. Wenn ich sofort fühle, dass ein Song gut ist, dann ist etwas verdächtig. Das ist zu normal, das bin nicht ich. Ich bin niemand, der nach der schnellsten Lösung sucht und deshalb sind die für mich mächtigsten und spannendsten Dinge immer die, die am unbequemsten erscheinen. Ein Song wie "K" ist genau so in meinem Leben passiert und die Leute scheinen das zu verstehen. Das ist genau die Intention, die ich habe. Etwas nicht zu Einfaches zu kreieren, das sich trotzdem in den Köpfen der Menschen festsetzt. Man muss ehrlich sein, dann geht es auch gut.

Ein Song ist im Prinzip eine Polaroid-Aufnahme einer bestimmten Zeitspanne oder eines Moments in einem Leben.
Das trifft es ideal. Ich bin froh, dass ich immer schon Texte über Dinge schrieb, die tatsächlich passierten. So kann ich mich immer in diese Zeit zurückversetzen und mir diesen Moment für die wenigen Minuten auf der Bühne gewahr machen. Es ist so, als ob ich in alten Fotoalben suche. Natürlich ändert sich jeder mit den Jahren, aber ich kann mich in jeden einzelnen Song zurückversetzen. Ich muss auf Holz klopfen, dass ich noch keine Nummer geschrieben habe, zu der ich heute überhaupt keinen Zugang mehr habe.

Ich denke ihr schafft es sehr gut, die Menschen mit eurer Show für eine gewisse Zeit in eine andere Sphäre zu versetzen. Passiert dir das selbst auf der Bühne als vortragender Protagonist auch?
Ich fühle mich so, als ob ich unter Drogen gesetzt wäre. Wenn mich die Leute außerhalb der Bühne sehen und dann den Direktvergleich haben, dann werden sie wahrscheinlich auch glauben, dass ich unter Drogen wäre. (lacht) Ich kann das aber nicht ändern, denn ich kippe auf der Bühne in eine eigene Welt und kann dort tun, was ich will.

Es gibt viele Menschen, die euch als romantischste Band der Welt bezeichnen. Kannst du mit dieser Bezeichnung leben?
Tut das wirklich jemand? (lacht) Das ist ein wirklich großes Kompliment, das ich absolut mag.

Wie würdest du denn von außen gerne gesehen werden?
Ich hoffe, dass die Leute merken, dass wir alles geben und wirklich viel Kraft in einer ehrlichen und authentischen Art und Weise ausstrahlen. Es sollte auf der Bühne eine Art von Heilung stattfinden und die Menschen sollen einen Zugang zu sich selbst finden. Gut gemacht haben wir unsere Sache dann, wenn jeder das Gefühl hat, wir hätten mehr gemacht als nur unseren Job.

Wohin wird eure Reise jetzt gehen?
Das ist eine schwierige Frage. Wir wollen weiter die Musik machen, die wir mögen und lieben, aber werden uns nicht dagegen verwehren, als Band zu wachsen und die Publikumsschicht zu erweitern. Derzeit wollen wir einfach so weitermachen und vielleicht kommt einmal der Moment, wo wir uns verändern oder entwickeln werden. Vorerst einmal springt alle auf den Zug der Liebe auf und lasst euch grundlos in eine fremdartige Welt entführen. Viele Künstler wollen sich immer wieder selbst neu erfinden. Ich mag diesen Gedankengang und kann mich gut damit anfreunden - auch auf unsere eigene Zukunft beziehend.

Als Mensch der so viele Arten von Musik hört, kannst du mit diesem einen Projekt doch gar nicht ausgefüllt sein.
Ich würde irgendwann gerne einmal stärker im Filmsoundtrackbereich Fuß fassen. Sogar mit Cigarettes After Sex können wir einen Weg finden, in diese Branche reinzuschnuppern. Ich denke, das Fundament dafür ist gegeben. Je mehr ich mir Gedanken über Musikvideos mache oder sie sehe, umso mehr Lust verspüre ich, selbst welche zu machen. Sie sind eine eigene Kunstform und ich würde gerne mit anderen Regisseuren arbeiten und wirklich vom Start weg an etwas arbeiten, dass totale Eigenständigkeit erfährt. Es wäre auch schön, Songs und Videos von Null zu kreieren und beides gleichzeitig laufen zu lassen. Das ist eines unserer größten Ziele. Es ist eine seltsame Idee, die vielleicht auch gar nicht funktioniert, aber ich will sie nicht schon im Vorfeld begraben.

Cigarettes After Sex spielen das nächste Mal am 15. Mai im Wiener Gasometer. Alle weiteren Infos und Tickets finden Sie unter www.arcadia-live.com.

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