"Krone"-Interview

Zeal & Ardor: Im Bett mit dem Gospel-Teufel

Musik
09.10.2017 13:44

Black Metal, Gospel und Blues sind nicht kombinierbar? Falsch gedacht - der Schweizer Manuel Gagneux hat aus purer Langeweile alle Barrieren überwunden und mit seinem Projekt Zeal & Ardor das unmöglich scheinende möglich gemacht und einen Underground-Hype heraufbeschwören. Im Zuge des Waves Festivals in Wien gab der 28-Jährige sein Österreich-Debüt - und spracht mit uns über den Teufel im Gospel, wie die besten Karrieren entstehen und warum er sich noch immer von Fertig-Sandwiches ernährt.

(Bild: kmm)

Wie kann ich mit meiner Musik heute noch aufrütteln oder, noch besser, gar provozieren? Fragen wie diese stellen sich viele junge Klangtüftler, die ihre Kunst gerne effektbeladen in den Vordergrund stellen möchten. In Zeiten von Spotify und YouTube, von Schlafzimmerproduktionen und Pro-Tool-Programmen fällt es immer schwerer, herauszustechen und sich als Marke zu definieren. Der Black Metal, als satanische Revolution in den 80er-Jahren im verschneiten Norwegen forciert und über die folgenden Jahrzehnte hinweg weltweit etabliert, wird gerne als Blaupause für akustische Provokation herangezogen. Unverständliches Gekreische, gepaart mit düsteren Naturbildern, Corpsepaint und einer klirrend-monotonen Gitarre. Es war die Musik, vor der Eltern eindringlich gewarnt hätten, hätten sie davon gewusst.

Einfaches zu simpel
Irgendwann war aber auch hier alles erzählt. Teufelsanbetung? Geh bitte. Bewusst offensiv-gefährliches Spiel mit NS-Symbolik? Verwirrte Seelen oder Teenager in ihrer Findungsphase. Der Black Metal verlor seine Gefährlichkeit so wie einst auch der Blues, der Hard Rock oder der Heavy Metal. Doch dann kam Manuel Gagneux. 28 Jahre alt, aus Basel, mehrsprachig und sich im Kreis drehend. Gelangweilt von seiner Heimat zieht er im Dezember 2015 temporär in den Schmelztiegel New York, verdingt sich seinen Unterhalt bei einem Bekannten als Tontechniker und mit Auftritten in nebelverhangenen Spelunken. Als Birdmask hat der Schweizer schon früher Elektronik mit unterschiedlichsten Stilen gebastelt. Das Einfache war ihm schon immer zu simpel.

Als Gagneux wieder einmal in der Wohnung vor sich hindümpelt, fragt er auf der ruppigen Online-Plattform "4Chan" in die anonyme Runde, welche Musik die Leute denn gerne hören würden. "Nigger Music und Black Metal" ist die rüde Antwort, die ein halbes Jahr später einen Hype auslösen sollte. "Ich verspürte in erster Linie natürlich Wut über dieses Urteil", erzählt Gagneux im "Krone"-Interview, "aber das größte 'Fuck You' war, die Antwort mit einem Lied zu geben." Dem Schweizer gelingt das schier Unmögliche - er provoziert. Ein Schwarzer, der Gospel mit Black Metal und hemdsärmeligen Blues vermischt. Ein Sound, bei dem man nicht ganz genau weiß, ob er dem Höllenfeuer entstiegen oder vom Himmel gefallen ist. Die vielleicht schwärzeste Musik vermischt mit den flirrenden Klangcollagen skandinavischer Metal-Kälte. Die "Noisey"-Journalistin Kim Kelly entdeckt dieses einzigartige Soundgebräu, twittert den Insidertipp im Juni 2016 in den Orbit und tritt damit eine Lawine los.

Permanent unangepasst
Zeal & Ardor heißt das neue Projekt, mit dem der schüchterne Schweizer von Medienanfragen und Konzertveranstaltern bombardiert wird. Das Debütalbum "Devil Is Fine" folgt auf dem Fuß, ist nur eine knappe halbe Stunde lang, verstört und entzückt die Musikwelt aber mit dem Mut zu etwas noch nie zuvor Gehörtem. "Ich passe im Prinzip überall und nirgends rein", lacht er, "aber es ist schon cool, wenn sich die unterschiedlichsten Menschen bei meinen Konzerten treffen." Heute stehen Muddy-Waters-Shirts neben nietenbehangenen Lederjacken und lassen sich von der imposanten Stimme des Afro-Trägers paralysieren. Doch nicht alle erfreuen sich an den neuartigen Tönen. "Viele aus der Black-Metal-Szene haben mit mir nicht unbedingt die größte Freude. Die True-Kult-Fans beschimpfen mich und schicken mir auch Drohbriefe, aber ich finde das okay, denn Black Metal ist die extremste Musikrichtung, die es gibt."

Gagneux hält sich mit seiner kruden Stilmischung an die einzige Regel, die dieses Genre seit jeher auszeichnet: brich alle Regeln. "Derzeit ist der Black Metal fast schon klassisch von Regeln diktiert, was absolut nicht dem Geist der Musik entspricht. Ich bin nicht unbedingt stolz darauf, die Szene gerade wachzurütteln, aber es hat einen interessanten Beigeschmack." Zu seinen größten Idolen zählen Künstler wie Mayhem, Darkthrone und Burzum. Varg Vikernes, Mastermind der letztgenannten, ist bekennender Rassist. "Ich glaube an die Separation von Künstler zum Kunstwerk", führt Gagneux aus, "Roland Barthes hat bekanntermaßen über den Tod des Autors geschrieben und ich finde, dass es den Tod des Künstlers gibt. Varg mag vielleicht ein Arschloch sein, aber seine Kunst finde ich deshalb trotzdem gut. Würde ich das nicht zugeben, dann würde ich lügen."

Erfolg wider Willen
Textlich bewegt sich Zeal & Ardor auf "Devil Is Fine" irgendwo zwischen Okkultismus und der Versklavung im Amerika zu Zeiten des Bürgerkriegs. Eine bunte Gemengelage aus nur offensichtlich nicht zusammenhängenden Themen, denn eine gewisse Düsternis durchzieht alle Themenkomplexe. "Ich überlasse dem Hörer bewusst viele nicht ausgemalte Stellen, damit er etwas für sich Interessantes dazudichten kann." Gagneux ist sich bewusst, dass sein Erfolg derzeit einem Hype unterliegt, der auch wieder schnell vorbei sein kann. "Ich habe sechs Jahre lang erfolglos Musik gemacht und dann komme ich mit etwas völlig Progressivem daher und plötzlich klappt es", lacht er, "man kann eben nichts kalkulieren. An mir und meiner Band, die aus alten Freunden von mir besteht, merkt man schnell, dass wir das alles nicht zu ernst nehmen. In diesem Ausmaß wird das wohl eine kurze Sache sein, bis sich alles wieder normalisiert, dessen bin ich mir bewusst."

Derzeit wird das Kollektiv hin- und hergereicht. Touren in ganz Europa, ein gefeierter Gig beim Wiener Waves Festival, staunende Gesichter in den USA - das Unangepasste passt geografisch eben überall rein. "Es wäre dumm, diesen Aufwind nicht zu nutzen. Wir spielen auf großen Festivals und haben schöne Konzerte, momentan läuft es einfach. Wenn es nicht klappt, dann gehe ich eben wieder Tellerwaschen. Für mich hat sich im letzten Jahr nicht wirklich viel geändert. Ich trinke immer noch Red-Bull-Fälschungen und esse Fertig-Sandwiches." Das nächste Album ist bereits fertiggeschrieben, im Jänner starten die Aufnahmen und voraussichtlich später 2018 wird es veröffentlicht. "Ich werde musikalisch ähnlich vorgehen, inhaltlich aber eine andere Richtung einschlagen, möchte aber jetzt noch nicht spoilern." Und wo würde Gagneux sein Projekt am liebsten auf der Bühne sehen? "Irgendwo zwischen Mr. Bungle, den Death Grips, Portishead und Björk." So kunterbunt wie möglich.

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