Live im Konzerthaus

Tori Amos: Zuflucht im geheimen Klanggarten

Musik
02.10.2017 00:59

Sonntagabend gab die kultige US-Songwriterin Tori Amos im Wiener Konzerthaus ihren zweiten Österreich-Gig innerhalb von nur zwei Wochen. Vor fast ausverkauftem Haus brillierte die 54-Jährige ohne Effekte, aber mit viel spielerischer Passion. Die Polit- und Gesellschaftskritik brachte Amos lieber subtil als mit dem Holzhammer an.

(Bild: kmm)

Kreativgeister kennen das Problem. Die Ideen sprudeln nur so aus einem raus und plötzlich wird man abrupt gebremst. Die Muse flattert fröhlich davon, zurück bleibt ein verhärmtes Stück Fleisch mit Gewebe, das plötzlich keinen klaren Gedanken mehr auf Papier, keinen Ton auf Konserve oder keinen Pinselstrich auf eine Leinwand bringt. Der kultigen US-Songwriterin Tori Amos ging es ähnlich. Nach dem guten, aber nicht übermäßig starken Album "Unrepentant Geraldines" fiel die 54-Jährige in ein kreatives Loch und kämpfte mit den vielen vorhandenen Gedanken, die aber niemals ein Ganzes ergaben. So durchschritt sie im Sommer 2016 die Wälder der Smoky Mountains zwischen North Carolina und Tennessee, um sich selbst und ihre Wurzeln der Vergangenheit zu finden. Dann kamen die US-Wahlen, Donald Trump und ein Schlaganfall bei ihrer geliebten Mutter Mary Ellen, die seither ein Pflegefall ist - und alles veränderte sich.

Reise in die Vergangenheit
"Ich war noch verdammt jung, als mein Vater Seite an Seite von Tausenden Menschen neben Dr. Martin Luther King marschierte und Teil der Bürgerrechtsbewegung war", erinnert sich Amos im Interview mit der "Krone" zurück, "sein bester Freund war ein afroamerikanischer Priester. Er war auf der Suche nach Gemeinschaft und Frieden. Heute können Menschen oft nicht einmal mehr normal miteinander reden, Diskussionen enden in Streitereien und wir sind ständig mit verbaler Brutalität konfrontiert. Und unser Präsident, dessen Namen ich gar nicht aussprechen will, ist Teil einer Bewegung, die all die furchtbaren Dinge wieder heraufbeschwört, die seit gut 20 Jahren längst vorbei sind." Die plötzliche, ungeplante Negativität lässt sich live nicht leugnen. Als Amos Sonntagabend das fast ausverkaufte Wiener Konzerthaus betritt, wird ihr galantes Abendkleid von einem Backdrop mit Waldbrand verstärkt. Ein mannigfaltiges Zeichen für so vieles, das derzeit daneben geht. In Amos' Fall eine Mischung aus der Vernichtung der Welt und den brennenden Schmerz, den das Leid ihrer Mutter hinterließ.

Die sympathische Wahl-Britin hat ihren Sinn für Humor aber nicht verloren und merkt schon beim verhaspelten Opener "i i e e e" charmant an, dass der Auftakt wohl in die Binsen ging. Mit viel Interaktion hält sich die Songwriting-Größe aber nicht auf, das gut 100-minütige Programm beinhaltet viel Musik, sehr viel Stimmkraft und noch mehr Melancholie. "Meine Konzerte sind mir deshalb so wichtig, weil ich dort im kleinen Rahmen für eine gemeinschaftliche Stimmung sorgen kann. Diese Stimmung soll schützend und sicher für die Menschen wirken, die hier glauben können an was immer sie wollen. Hier geht es nicht um 'die und wir', nicht um eine Separation, sondern um Zusammenhalt." Dieser Zusammenhalt bedarf nicht vieler Worte, wenn die Musik ohnehin besser zu sprechen vermag. Mit "Little Earthquakes" schlägt sie schon ganz zu Beginn die Brücke zu ihrem Karrierebeginn vor 25 Jahren, "Space Dog" und "Carry" setzen der Intensität noch eins drauf. Ständig changiert sie hastig zwischen Bösendorfer-Flügel und Electro-Piano und ist bei den Mikrofon-Wechseln mit den Gedanken oft schneller als mit der Motorik. Passiert eben, wenn man Passion so offenkundig in den Raum stellt.

Liebe zu Wien
In Wien fühlt sich Amos wohl, das betont sie zumindest außerhalb ihrer Konzerte gerne. 1991, ein Jahr vor der großen Karriereexplosion, reiste sie erstmals unbekannt per Zug in die Alpenrepublik. Die Wiener Innenstadt, Mozart's Geburtshaus in Salzburg und den Geruch der Musikhistorie, der sich wie ein unsichtbarer Schleier über die Innenstadt Wiens legt, haben sie nachhaltig geprägt. "Selbst als ich vor etwa eineinhalb Wochen im Linzer Brucknerhaus spielte, ließ ich mich an meinem freien Tag nach Wien fahren und mir von einem studierten Historiker die Stadt erklären. Die Inspiration für meine Musik kommt dann meist auf Wegen, mit denen du nie rechnen würdest." Von ihrem mehr als gelungenen neuen Album spielt Amos überraschenderweise nur zwei Songs. Die kraftvolle Ballade "Reindeer King" und das zu Recht mit einem Extraapplaus versehene "Climb" - zwei gute Beispiele für späte Karrieresternstunden. Nicht viele Künstler vermögen auf ihrem 15. Studioalbum derart qualitätsvolles Material zu offerieren.

Bühneneffekte hat Amos nicht nötig, dafür sind Songs und Inszenierung zu prägnant. Auch wenn im Mittelteil des Konzerts ein kleiner Hänger unvermeidbar ist und der Spannungsbogen nicht über die volle Distanz hält, trifft die Botschaft von Frieden und Gemeinschaft ins Schwarze. Launig als "Fake Muse Network" kündigt sie die beiden gelungenen Coversongs "New Age" (The Velvet Underground) und "A Case Of You" (Joni Mitchell) an, bei "1000 Oceans" und "Tear In Your Hand" bahnt sich wieder die Gänsehaut ihren Weg an die Oberfläche. Die Natur ist nach wie vor Amos‘ wichtigstes Anliegen. "Der US-Präsident ist nur das Gesicht im Vordergrund, aber die Fäden ziehen die Wirtschaftsbosse dahinter. Anfang der 1980er-Jahre haben sie herausgefunden, dass man nicht an der politischen Front stehen muss, um die Welt in Atem zu halten. Meine Fans haben mich dazu inspiriert, mit meiner Musik nicht mehr zu reagieren, sondern zu agieren. Ich bin nun quasi der Native Invader, der geborene Eindringling, indem ich mit meiner Kunst in diese Strukturen einbreche und die einfachen Menschen da draußen darauf aufmerksam mache. Meine Musik ist keine Waffe, sie ist punktiert und soll die Leute ansprechen. Sie ist proaktiv und nicht reaktiv."

Subtile Kritik
Amos macht nicht den Fehler des Predigens, sondern lässt den Hörer in ihre Welt eintauchen. Mit ihrem formidablen Stimmvolumen und der punktgenauen Akzentuierung zwischen den beiden Tasteninstrumenten, beschwört sie scheinbar mühelos eine Welle der Gutherzigkeit herauf. Zwischendurch schlichtet sie ihre Notenblätter, genießt das Bad in der begeisterten Menge und ist - ganz ihrem Naturell entsprechend - dann doch wieder froh, wenn sie sich zwischen zwei Songs möglichst wenig Zeit zum Atmen lässt. Den Hall-Effekt in der Stimme hätte sie nicht nötig, er gibt ihr aber augenscheinlich zusätzliche Sicherheit. Ihre Kritik an Politikern, Systemen und all ihren Verfehlungen bringt sie lieber subtil als mit dem Holzhammer an. Den Dreschflegel schwingen sollen andere, Amos schwebt elfenhaft über derartige Rustikalitäten. Das grandiose und ausgedehnte "A Sorta Fairytale" beendet den malerischen Abend im Zeichen der Gemeinsamkeit. "Meine Songs sind nicht dafür gemacht, um zerstörerisch zu wirken", erzählt sie uns noch wenige Stunden vor dem Auftritt, "sie sindein geheimer Klanggarten, in dem jeder Zuflucht findet, der will." Und bei Gott, wir wollen, Tori!

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