Algorithmen vs. Hirn

Puppenspieler Facebook: Krieg dem freien Willen?

Wissenschaft
30.09.2017 06:00

Das Internet hat die Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die historisch einmalige Lage versetzt, dass Milliarden ungehinderten Zugang zum geballten Wissen unserer Spezies haben. Das erschließt ganz neue Möglichkeiten, Wissen zu gewinnen und sich weiter zu entwickeln, möchte man meinen. Doch es könnte auch anders kommen: Der US-Schriftsteller Franklin Foer warnt, dass wir durch Facebook und seine digitalen Geschwister vielleicht sogar verlernen, selbstständig zu denken.

Facebook ist heute für viele Menschen ihre zentrale Nachrichtenquelle. Die Medienunternehmen haben sich dieser Vorliebe angepasst und verbreiten ihre Meldungen längst nicht mehr nur auf Papier, am TV- oder Computerbildschirm oder über das Radio, sondern eben auch via Facebook. Im Videosektor ist Netflix auf einem ähnlichen Weg. Wer sich von einer TV-Serie berieseln lassen will, besucht heute immer öfter den Streaming-Riesen, statt durch das TV-Programm zu zappen. Dabei weiß Netflix auf Basis des Sehverhaltens, was wir sehen wollen.

Der wahre Herrscher im Social Web sind Algorithmen
Doch Facebook und Netflix könnten eine ernste Gefahr für unsere Fähigkeit sein, frei zu denken. Diese Warnung spricht der US-Autor Franklin Foer in einem Essay für den britischen "Guardian" aus. Er glaubt, dass die momentane technologische Entwicklung vor allem den Technologiekonzernen Macht und Wissen verleihe, nicht aber den Menschen, die deren Tools nutzen.

Der wahre Herrscher im Social Web seien nämlich nicht die Nutzer, sondern die Algorithmen der Konzerne, die dort ihre Tools anbieten. Foer stellt die Frage: Sind wir selbst es, die bestimmen, was wir auf Facebook oder Netflix zu sehen bekommen? Oder sind es doch eher die Unternehmen, die uns in eine Richtung führen, von der sie auf Basis ihrer Daten glauben, sie sei gut für uns?

Facebook bestimmt, was wir auf Facebook sehen
Tatsache ist: Was wir auf Facebook zu sehen bekommen, bestimmt Facebook. Foer: "In Wahrheit ist Facebook ein Gewirr von Regeln und Prozeduren, um Informationen zu sortieren. Regeln, die von der Firma zum Wohle der Firma aufgestellt werden." Zum Wohle der Firma ist es im Falle Facebook, wenn die Nutzer viel Zeit auf Facebook verbringen und entsprechend viel Werbung sehen. Ein Geschäftsmodell, das viele Internetfirmen mit Facebook teilen.

Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen Internetfirmen Daten. Viele Daten. Am besten alle Daten, die man über eine Person sammeln kann - "radikale Transparenz des Individuums", wie man es bei Facebook nennt. Viele dieser Daten liefern die User selber. Wer öffentlich seine politischen Präferenzen, seine Religion oder seine sexuellen Vorlieben teilt, braucht sich hinterher nicht wundern, wenn er die passende Reklame dazu zu sehen bekommt. Den Rest machen die Algorithmen: Was jemand "liked", sagt viel über ihn aus. Und auch das soziale Umfeld liefert Facebooks Statistikern Hinweise auf die Psyche des Einzelnen.

All diese Daten verwendet Facebook, um jedem Nutzer seinen eigenen, auf ihn zugeschnittenen "Newsfeed" zu zeigen. Nachrichten, die zu den Likes passen oder im Freundeskreis kursieren, landen eher darin als Informationen, von denen Facebooks Algorithmen glauben, sie würden den User eh nicht interessieren. Die Folge: "Echokammern", in denen die eigene Meinung immer wieder bestätigt wird und man irgendwann den Eindruck gewinnt, alles was nicht zum eigenen Weltbild passt, müsse eine Lüge sein. Die Folge: Eine polarisierte Gesellschaft, in der ein vorbehaltloser Diskurs zunehmend erschwert wird.

Facebooks Algorithmen können die Welt verändern
Doch die Macht der Algorithmen reicht weiter: Foer äußert die Befürchtung, dass Facebook und andere IT-Riesen ihre Macht nutzen könnten, um die öffentliche Meinung zu formen und die Welt nach ihren Vorstellungen zu verändern. Ein Indiz für diese Befürchtung sieht Foer in Facebook-Chef Mark Zuckerberg selbst. Seinen Mitarbeitern soll er einmal erklärt haben: "Ich glaube, man kann jedes System da draußen nehmen und es viel, viel besser machen als es heute ist." Zuckerberg gehe es also darum, mithilfe der Wissenschaft und Ingenieurskunst nicht nur die IT, sondern auch die Gesellschaft radikal umzubauen.

Facebook führt im großen Stil Sozialexperimente durch
Dass dieses Motto längst gelebt wird, zeigt Facebooks Abteilung für soziale Experimente. Ihr Leiter Cameron Marlow hat über den Datenschatz, mit dem er und seine Forscher arbeiten, gesagt: "Zum ersten Mal haben wir ein Mikroskop, das uns nicht nur das Sozialverhalten auf einer so feinen Stufe beobachten lässt, wie wir das nie zuvor konnten, aber auch die Möglichkeit, Experimente mit Millionen Nutzern zu machen." Wie weit diese Experimente gehen können, hat sich vor drei Jahren gezeigt, als Facebook erfolgreich die Gemütslage von Nutzern mithilfe der im Newsfeed angezeigten Inhalte veränderte.

Dass Facebook auch fähig ist, das Verhalten zu verändern, hat man im Juli 2012 bewiesen. In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin "Nature" rühmt sich das soziale Netzwerk, dass es gelungen sei, direkten Einfluss auf das politische Verhalten seiner Nutzer zu nehmen - im konkreten Fall in positiver Weise, indem man diese dazu gebracht habe, sich verstärkt als Organspender anzubieten. Trotzdem: Keine andere Firma auf der Welt hat je so offen erklärt, sie könne die demokratischen Prozesse in der Gesellschaft verändern. Und möglicherweise sollte eine einzelne Firma auch gar nicht diese Macht haben.

Letztlich ist eine Firma nämlich keine demokratische Organisation, erklärt Foer. Facebook ist nicht das virtuelle Forum, als das es sich präsentiert. Es ist ein von Gewinnstreben geprägtes Unternehmen, das unter der Kontrolle Weniger steht. Und diese Personen haben die Macht, ihre Anschauungen im großen Stil mithilfe ihrer Schöpfung in die Gesellschaft zu drücken.

"Facebook ist mehr wie eine Regierung als eine Firma"
Dass man bereit ist, das zu tun, hat Zuckerberg selbst bestätigt: "Die Leute an diesen Punkt zu bringen, an dem es mehr Offenheit gibt, ist eine Herausforderung. Aber ich glaube, wir schaffen es." Dabei kommt es Facebook zugute, dass es von den Nutzern nicht als Firma gesehen wird. Zuckerberg sagte einst: "In vielerlei Hinsicht ist Facebook mehr wie eine Regierung als wie ein traditionelles Unternehmen. Wir haben diese Riesengemeinschaft von Menschen und können mehr als andere Technologiefirmen wirklich Grundsätze definieren."

Und hier schließt sich der Kreis: Für Foer ist Zuckerberg mit seinem Glauben an die Kraft der Hacker-Szene ein Technokrat, der weniger an die Erneuerungskraft der Demokratie als die Macht einzelner Vordenker glaubt. "Es hat immer die Gefahr gegeben, dass Ingenieursgeister ihre Wurzeln, leblose Dinge zu bauen, hinter sich lassen und stattdessen damit anfangen, eine perfekte soziale Welt zu erdenken", schreibt er.

Da wäre es denkbar, die Facebook-Gemeinde so nach Zuckerbergs Wünschen zu manipulieren, dass sie am Ende nicht mehr für die eigenen Vorstellungen Partei ergreift, sondern für das, was Facebook-Algorithmen ihr eintrichtern. Das Instrument Internet, das die Menschheit durch freies Wissen demokratisieren hätte können, würde damit zum Mittel der Unterdrückung des freien Willens.

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