In Thüringen

Jena, Gotha & Co: Goethe und Luther für Radfahrer

Reisen & Urlaub
20.08.2017 10:04

Wer in Thüringen die "Städtekette" entlangradelt, erlebt Perlen wie Erfurt oder Weimar. Die "grüne Mitte" Deutschlands ist Wiege von Reformation und großer Dichtung.

Martin Luther, der große Reformator, hielt sich hier versteckt: In einem kleinen, unscheinbaren Kämmerlein auf der Wartburg, hoch über der Kleinstadt Eisenach. 1521 kam er herauf, blieb als "Junker Jörg" und übersetzte das Neue Testament. Besucherscharen aus aller Herren Länder pilgern hierher. Im fünfhundersten Jubiläumsjahr der Reformation erlebt die Wartburg - die alte DDR-Grenze ist nicht weit von hier - gerade einen Rekord. Luther beeinflusste die deutsche Sprache ganz wesentlich. Redewendungen wie "mit Feuereifer dabei sein" gehen auf ihn zurück.

Wildes Treiben schon zur Zeit der Minnesänger
Wildes mittelalterliches Treiben fand hinter den dicken Mauern schon zur Zeit der Minnesänger statt. Walther von der Vogelweide soll sogar einmal geschrieben haben: "Wer ein Ohrenleiden hat, dem möchte ich empfehlen, der Grafschaft Thüringen fernzubleiben", blättert Guide Günter Krämer alte Kapitel auf. Ein Landgraf soll auf der Burg sogar einmal einen Löwen besiegt und ihn zu einem Hofknicks gezwungen haben, so die Legende.

Schloss Friedenstein
Radfahrer schwingen sich am westlichen Startpunkt des 230 Kilometer langen Weges auf den Sattel und erleben in Gotha ein erstes Etappenziel: Auch das 45.000-Einwohner-Städtchen ist ein Ort mit Geschichte. Verleger Justus Perthes verteilte hier die Farben auf Landkarten, Blau für Flüsse oder Braun für Berge. Beherrschender Schatz aus der Vergangenheit ist in Gotha die imposante Anlage von Schloss Friedenstein (Frühbarock). Die Räume sind noch im Originalzustand. Herzstück ist das Hoftheater aus dem 17. Jahrhundert. Nie wurde daran etwas verändert. Die Theatermaschine ist noch im Originalzustand und muss bei Aufführungen von 15 starken Männern bedient werden. Es quietscht und knarrt, ein leichter Bühnenfall ist für Schauspieler erschwerend. Und auch der Wind kommt noch aus der Maschine. Prasselnder Regen wird mit getrockneten Erbsen simuliert. "Früher", erzählt Marco Kartl, "wurde das Theater noch mit Paraffinkerzen beleuchtet." Es kam immer wieder zu Bränden.

Die frühe Sammler-Leidenschaft der Herzöge von Sachsen-Gotha wirkt bis heute nach. Zu DDR-Zeiten lag vieles im Dornröschenschlaf. Die Schätze im Museum: Von 800 Fächern bis zu einem rätselhaften Schädel aus Pompeji oder Napoleons vergessenem Hut. Die seltene und konservatorisch äußerst heikle Korksammlung von Antonio Chichi soll sogar Goethe schon betrachtet haben.

Wechmar
Klassik-Fans bremsen auf ihrer Radtour garantiert im kleinen Dorf Wechmar ab, Heimat des Ururgroßvaters von Johann Sebastian Bach, der musizierender Müller war: "Wir sind heute ein ganz verrücktes Nest", lacht Hans Hochberg vom örtlichen Förderverein. Die alte "Veit Bach Obermühle" war völlig verfallen. Dahinter entdeckte man eine Bohlenstube, die jetzt der ganze Stolz ist. Und im Museumshof wurde der weltweit größte Stammbaum der weitverzweigten Bachfamilie angelegt. "1500 Bachs aus aller Welt sind eingetragen", verrät Annett Bückinx, die gute Seele im Museum. Allein der berühmte Komponist Johann Sebastian hatte 20 Kinder.

Jede Perle an der "Städtekette" hat ihren eigenen Charakter
Gotha, ein Ort der Fürsten und Denker. Erfurt mit der bezaubernden mittelalterlichen Innenstadt und schließlich Jena, Uni-Zentrum mit viel Industrie-Geschichte. An Mohnblumen und verträumte Burgen wie die "Drei Gleichen" reiht sich viel Kunstvolles.

Zeitreise in Erfurt
Tipp für Radler und Städtebummler: Unbedingt Zeit für eine Zeitreise in Erfurt einplanen! Die Wende kam gerade noch rechtzeitig, denn es lagen im DDR-Regime schon Pläne in der Schublade, die das ganze Zentrum zerstört hätten. "Die Altstadt war in einem schlechten Zustand", erzählt Stadtführerin Sabine Hahnel, dass tristes Grau die beherrschende Farbe war. 212.000 Einwohner zählt die Hauptstadt Thüringens heute. Es gibt seit einigen Jahren wieder Zuzug. Reich hat die Stadt ursprünglich die Seidenfärberpflanze Waid gemacht.

Jetzt erstrahlt alles wieder neu: 500 Jahre alte Fachwerkhäuser wurden mit Gespür für Geschichte restauriert. Wenn Gaststätten ein vorgesehenes Loch in der Fassade mit Heu füllen, heißt das: Es gibt heute Bier! Dreh- und Angelpunkt ist die Krämerbrücke - mit 120 Meter Länge und 32 Häusern ist sie die längste komplett bebaute und bewohnte Brückenstraße in Europa. Die Häuser der Krämer waren schmal, später wurden sie zusammengelegt, "Zum Schwarzen Rad" neben dem "Eisernen Hut". Erfurt achtet darauf, dass das mittelalterliche Flair nicht verloren geht: Kleine Handwerksläden bieten hier ihre Raritäten an. Nur drei Häuser sind privat, alle anderen gehören der Stadt. Bettina Vick vom Delikatessen-Laden: "Es ist einfach schön, an so einem Ort arbeiten zu dürfen." Der selbst gemachte Eierlikör im Waffelbecher mundet besonders.

Luthers einschneidendes Erlebnis
Internationale Konzerne sind auf der Brücke nicht willkommen. Die Gera schlängelt sich durch die Innenstadt von Erfurt. Die Hälfte des Wassers wird umgeleitet, so ist der Kern hochwassersicher. Markant sind auch Mariendom und Severikirche. Dass Luther hier war, macht auch die Erfurter stolz. Er studierte vier Jahre in Erfurt, trat später in den Bettelorden der Augustiner-Eremiten ein. "Luther hatte mit 21 Jahren ein entscheidendes Erlebnis. Er geriet hier in ein schweres Gewitter", erzählt Hahnel. "Er hat damals versprochen, dass er Mönch wird." Erst 30 Jahre nach der Reformation, als der letzte Mönch starb, wurde das Kloster dann aufgelöst.

Und man erzählt sich gern vom jüdischen Schatz: Bei Grabungen entdeckte ein Baggerfahrer beim Bau einer Tiefgarage eine Schale - sie entpuppte sich als Teil eines Schatzes mit 28 Kilogramm Gold und Silber aus dem 14. Jahrhundert, verborgen unter einer Stiege, von Plünderern unentdeckt. Sogar ein jüdischer Hochzeitsring aus dem Mittelalter - einer von drei in ganz Europa - ist in der Alten Synagoge zu bestaunen. Ein Stück, das heute verwundert: "Das mittelalterliche Kosmetik-Set mit Zahnstocher aus Silber und Löffelchen fürs Ohrenschmalz", schmunzelt Sabine Hahnel.

Erlkönig und Wallenstein in Jena
Die großen Dichter und Denker wirken bis heute - in allen Varianten: Luther-Rosen aus Schokolade, ja sogar eine Delikatessensalami im Bibelformat. Bach auf Ansichtskarten. In Jena, der nächsten Station, soll Goethe zum "Erlkönig" inspiriert worden sein. Schiller schrieb hier den "Wallenstein" und zog sich oft gesundheitlich schwer angeschlagen in sein Gartenhäuschen zurück.

Die Reformation in und aus Weimar
Und in "Weimar hat die Reformation das Laufen gelernt", erzählen die Einheimischen. Ein Kultur-Parcours führt im Reformationsjahr durch die Stadt - mit Luther-Schatten an wichtigen Denkmälern. Schloss, deutsches Theater (hier wurde die Weimarer Republik ausgerufen), Goethe-Park und Bauhaus-Universität sollte man nicht missen. Empfehlenswert ist auch die Anna-Amalia-Bibliothek mit der berühmten Luther-Bibel aus 1534, die der Direktor 2004 bei einem Brand gerade noch rechtzeitig ins Freie rettete. Die UNESCO-Welterbe-Stadt pulsiert: Vom Kultursommer bis zum Zwiebelmarkt im Herbst gibt es viel Programm.

Sabine Salzmann, Kronen Zeitung

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