Live in Wiesen

alt-J: Missverstandene Indie-Revoluzzer

Musik
13.07.2017 16:18

Mit "Relaxer" haben sich die britischen Indie-Querköpfe alt-J ein weiteres Mal aus dem Kokon der Sicherheit geschält, um ihrer progressiven Kreativität freien Lauf zu lassen. Keyboarder Gus Unger-Hamilton erklärte uns im Interview unter anderem, dass ihn österreichische Musik nachhaltig prägte. Am 20. Juli sind alt-J live am Out Of The Woods in Wiesen zu sehen.

(Bild: kmm)

Wie legt man das dritte Album an, wenn die ganze Indie-Welt genau hinsieht und nichts als schiere Perfektion erwartet? Die britischen Szenehelden alt-J haben dieses Problem hausgemacht, denn mit dem 2014er Geniestreich "This Is All Yours" hat sich das Trio nicht nur in die oberen Chartregionen, sondern auch in die großen Hallen und auf die besten Plätze diverser Festivals gespielt. Eine derartige Heiligsprechung, wie sie alt-J seitens etablierter Medien zuteilwurde, erfuhr in diesem Jahrtausend maximal noch das kanadische Alternative-Kollektiv Arcade Fire. Doch wo eben Genannte mit fein austarierten, fast schon hymnischen Klängen für ein wohliges Gefühl sorgen, gehen die Briten von alt-J lieber den entgegengesetzten Weg. Instinktiv gegen alle Erwartungen gebürstet, Selbstwiederholung als Todsünde, Progressivität nicht nur als bloßes Wort verstanden, sondern als Aufforderung zur konstanten Weiterentwicklung.

Niemals stehenbleiben
Als diesen Frühling das heiß ersehnte dritte Album "Relaxer" nach ersten Online-Snippets endlich auf den Markt kam, passierte bereits Bekanntes. Wie können die sich nur so verändern? Ich will meinen Blockflötensound zurück! Meinen sie die Disco-Referenzen ernst? Dass gerade kontroverse Bands diejenigen sind, die Musik auf das nächste Level hieven und den viel zitierten "Test Of Time" überstehen, das wird auch nach mehr als 60 Jahren der Populärmusikkultur noch viel zu spät verstanden. "Als Künstler willst du nicht stehenbleiben, sondern musst dich stets weiterentwickeln", erklärt uns Keyboarder Gus Unger-Hamilton im Interview, "es kann gut sein, dass sich manche Menschen mit den Songs schwer tun, aber als geschlossenes Album sollte 'Relaxer' unsere Hörer zufriedenstellen können." Im Prinzip drehen sich die Diskussionen im Kreis, denn auch der heute längst zum Heiligtum gekürte Vorgänger wurde akribisch seziert und nur zeitverzögert als Meisterwerk akzeptiert.

Klar, alt-J brachten Ecken und Kanten in eine Genre zurück, dass sich selbst zu oft im warmen Sessel der Geborgenheit wähnte. Die Szenenerds erdreisteten sich zudem zuzugeben, dass man Liveshows eher als Belastung denn als Freude empfand. Das Feilen und Basteln im Studio sei ihnen wesentlich wichtiger, aber alles andere wäre nun einmal unumgänglich. Nun stehen Joe Newman, Unger-Hamilton und Co. aber nicht alleine da, mit ihrer ambivalenten Beziehung zur Außenprojektion der Kunst. Auch die allseits gefeierten The xx haben so ihre Probleme damit, die eigene Kreativität im würdigen Rahmen zu präsentieren. Von einer Unlust, live zu spielen, sind alt-J aber weit entfernt. "Wir hatten anfangs unsere Probleme damit, aber heute sind wir dabei im Reinen. Es liegt vorwiegend daran, dass wir besser und sicherer spielen und in größeren Hallen nicht mehr so exakt beäugt werden. Je mehr du spielst, umso Sicherheit zieht in deine Kunst ein."

Experimentierfreudigkeit
"Relaxer" ist alt-J anno 2017. Ein Album mit Widerhaken, dass nicht bei einer schönen Tasse Kaffee auf der Couch im frisch gelüfteten Wohnzimmer durch die Gehörgänge rauscht, sondern mühsam erarbeitet werden muss. Auch wenn die Gesamtspielzeit deutlich kürzer ist als zuletzt, sind die einzelnen Songs wesentlich komplexer, vielschichtiger und detailverliebter. "Wir stecken nicht in unserer Vergangenheit fest, sondern setzen auf Veränderung. Wir bringen immer neue Ideen und Sounds und wollen so interessant wie möglich klingen." Die einzelnen Songs mäandern geschickt zwischen sanften Folk-Arrangements, juveniler Alternative-Attitüde und den heute so unverzichtbaren, elektronischen Sound-Einsprengseln. alt-J lässt man sogar durchgehen, dass sie den mehrere hundert Jahre alten Folk-Klassiker "House Of The Rising Sun", der durch die Version von Woody Guthrie weltberühmt wurde, derart mutig durch den elektropoppigen Fleischwolf drehen, dass nur mehr die Grundfragmente aus dem gefallenen Soundgebilde hervorblitzen.

Neben allerlei fernöstlichen Zitaten und einem interessanten, ebenfalls an asiatische Videospiele gemahnenden Albumcover, haben alt-J für den aufwühlenden Albumcloser "Pleader" auf Sakrales gesetzt. Die wuchtigen Chöre haben die Briten in der Ely Cathedral in Cambridge aufgenommen, um eine klangliche Opulenz ins Gesamtbild einzubauen. "Der Song an sich ist nicht religiös, aber er dreht sich darum, wie die Leute im 18. Jahrhundert gelebt haben. Die Aufnahmen in der Kirche haben uns ein einzigartiges Gefühl beschert." Mehr denn je ließen sich alt-J auf ihrem dritten Album von klassischer Musik beeinflussen. So finden sich neben Jazzkünstlern wie Philip Glass oder Steve Reich auch legendäre Komponisten wie Joseph Haydn oder Wolfgang Amadeus Mozart im übertragenen Sinne auf "Relaxer". "Österreichische Musik hat einen sehr großen Einfluss auf mich", erklärt Unger-Hamilton, "als Musiker sollte man sich auch von den unterschiedlichsten Epochen bewegen lassen, denn gute Musik gab es vor 500 Jahren und gibt es auch jetzt."

Live beim Out Of The Woods
Dass "Relaxer" die Charts nicht mehr ganz so souverän aufrollen konnte wie sein Vorgänger, dass sollte man nicht allzu ernst nehmen, denn auch dieses Werk ist prädestiniert dafür, erst nach einer gewissen Zeit vollständig verstanden zu werden. alt-J verstehen sich längst als Gesamtkunstwerk, das sich nicht nur der Magie der Musik hingibt, sondern auch Inspirationen aus Film, Literatur und Dramatik schöpft. Da ist es nur folgerichtig, dass man in Songs wie dem Opener "3WW" Shakespeare-Referenzen verinnerlicht. "Ich sehe unsere Songs weniger als ein Album, sondern vielmehr als einen Film mit Schauspielern, verschiedenen Akten, einem richtigen Drehbuch und dazu passenden Soundeffekten." In die krude Soundwelt der Briten kann man sich auch live fallen lassen. Am 20. Juli sind alt-J der erste Headliner des dreitägigen Out Of The Woods Festivals im burgenländischen Wiesen. Alle weiteren Infos und Karten erhalten Sie unter www.outofthewoods.at.

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