Happel ausverkauft!

Guns N’ Roses: Die Allerletzten ihrer Zunft

Musik
11.07.2017 01:54

24 lange Jahre nach ihrem letzten Happel-Besuch füllten die mit alten Legenden neu zusammengewürfelten US-Rocker Guns N' Roses das Nationalstadion bis auf den letzten Platz. Axl Rose, Slash und Co. boten eine wundervolle und qualitativ hochwertige Reise in ihre Vergangenheit, die 55.000 Menschen zum Kochen brachte.

(Bild: kmm)

Etwas mehr als 24 Jahre mussten die österreichischen Fans auf das wahre Comeback von Guns N' Roses warten. Naja, zumindest halb wahr, denn von der legendären "Gunners"-Urbesetzung fehlen anno 2017 Steven Adler und Izzy Stradlin, den Rest vom Schützenfest konnte Frontmann Axl Rose für seine "Not In This Lifetime"-Comebacktour gewinnen. Wie viel Selbstironie hinter dem ganzen Vorhaben steckt, verrät nicht zuletzt der Tourtitel.

Es ist im Endeffekt AC/DC-Chef Angus Young zu verdanken, dass diese Tour überhaupt zustande kam und etwa 55.000 Besucher im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion zwischen glückseliger Nostalgie oder herbeigesehnter Neuentdeckung pendelten. Der kleine Gitarrist in der markanten Schuluniform holte Axl 2016 ins Boot, um den geschassten Brian Johnson zu ersetzen. Die anfängliche Skepsis wich schnell ehrfürchtigem Respektsapplaus und so mancher wunderte sich letzten Sommer, wie der blonde Exzentriker Rose so urplötzlich zu alter Stärke zurückkehren konnte.

Große Läuterung
Wir rekapitulieren die drei letzten Guns N' Roses-Österreichshows mit abwechselnder Bandbesetzung. Beim Nova Rock 2006 erschreckte Axl mit offenkundiger Demotivation, in der Wiener Stadthalle 2010 kam er geschlagene zweieinhalb Stunden zu spät auf die Bühne, nur um sich gefühlt alle zwei Songs eine frische Sauerstoffladung im Backstagebereich abzuholen. 2012 waren Guns N' Roses am steirischen Schwarzlsee zu Gast. Axl, mittlerweile am Tiefpunkt seiner Kunst angelangt, duellierte sich stimmlich mit auf den Schwanz getretenen Katzen und kratzender Schultafelkreide. Dann die Läuterung und das grandiose Comeback - mit der Krönung Happel-Stadion, Juli 2017. Axl Rose, Slash und Bassist Duff McKagan in trauter Dreisamkeit, umschmeichelt von musikalischen Ausnahmekönnern wie Gitarrist Richard Fortus oder Drummer Frank Ferrer, denen das Rampenlicht aber nur selten gewährt wird.

Mit Songs wie "It's So Easy", "Mr. Brownstone" und "Welcome To The Jungle" eröffneten die Kalifornier ihre ganz persönliche Reise in die glorreiche Vergangenheit, wo das Gras grün und die Mädels noch schön waren. Vertonte Machismen mit viel Charme und Augenzwinkern, vorgetragen von gealterten Schürzenjägern, die selbst mit etwas mehr Bauchumfang und zahlreichen Ringen um den Augen noch immer mit einem leichten Fingerschnippen alles haben können, was sie wollen. Bombastische Feuerwerke verpulverten die Gunners schon zu Beginn, auf einer überdimensionalen Videoleinwand unterstützte man die Rockklassiker mit mal mehr, mal weniger gelungenen Visuals, die der einzige Exkurs in die Moderne bleiben sollte. Dort gab es alles aus der Klischee-Mottenkiste zu bestaunen: Waffen, Rosen, Totenschädel und kopulierende Skelette. Ein Trash-Horrorkabinett mit einem Spät-80er-Coolnessfaktor, das heute maximal noch Alice Cooper ähnlich auf die Reihe kriegt.

Grandiose Performance
Ganz zu Beginn brauchte Axl noch etwas Zeit, um seine Stimme warmlaufen zu lassen, doch mit Fortdauer des Konzerts bewies er souverän, dass er nach seinem Sensationscomeback wieder zur obersten Riege der A-Klasse zählt. Vor allem das Wings-Cover "Live And Let Die" oder das gänsehautverursachende Balladen-Lehrstück "November Rain" ließen sein Timbre perfekt zur Geltung kommen. Je schriller die Songs wurden, umso überlegener bewies der 55-Jährige seine Ausnahmeklasse am Mikrofon. Vom Gesamtsound im Stadion konnte man das nicht behaupten. Der brutale Klangmatsch der Anfangsphase besserte sich zwar zusehends, doch es sollte bis zum letzten Drittel der knapp dreistündigen Performance dauern, bis auch die hinteren Stehplätze mit einer adäquaten Klarheit für ihren Eintrittspreis von 120 Euro aufwärts belohnt wurden.

Dass die Instrumentalfraktion auf dieser Tour überhaupt physisch auf der Bühne stehen kann, ist eine Sensation für sich. Zylinderträger Slash bekam aufgrund seines exzessiven Lebensstils schon mit 35 einen Herzschrittmacher eingesetzt, McKagan platzte mit 30 die Bauchspeicheldrüse. Heute hält sich der eine mit ausufernden Gitarrensoli und einer neuen Freundin, der andere mit Marathonlaufen und einer intakten Familie fit. Das Hedonistisch-Gefährliche ist Guns N' Roses aber nur zum Teil abgekommen, denn wenn sich Axl durch "Rocket Queen" stöhnt, Slash mit Flitzefingern über das Griffbrett wetzt, um die Titelmelodie des "Paten" zu solieren und McKagan voller Inbrunst den Misfits-Song "Attitude" ins tobende Publikum wirft, dann fühlt sich nicht nur der "Use Your Illusion-Tour '92"-Shirt-Träger ins eigene Jugendzimmer zurückversetzt. Vor allem die Coversongs gelangen Guns N' Roses an diesem Abend herausragend. "Black Hole Sun" als Hommage an die verstorbene Soundgarden-Legende Chris Cornell war bewegend, das Bob-Dylan-Lehrstück "Knockin' On Heavens Door" ehrfurchtserbietend.

Der letzte Rockstar
Neue Songs gab es erwartungsgemäß nicht zu bestaunen, denn die Hitfabrik aus Hollywood lebt den Kult am besten mit den alten Klassikern. Ob Guns N' Roses nach dieser 350 Millionen Euro schweren Welttournee tatsächlich noch einmal Lust und Nerven auf eine Fortsetzung haben, bleibt vorerst unbeantwortet. Im Happel-Stadion bewiesen sie, dass ihnen der dritte Karrierefrühling gut zu Gesicht steht und man auch jenseits der 50 noch würdevoll die Spitze am Thron verteidigen kann.

Für 55.000 Menschen war der opulente Auftritt im immer wieder einsetzenden Regen Rückschau und Messe zugleich. Zeremonienmeister Axl Rose verteilte die Rock-Absolution und erwies sich schlussendlich als das, wofür Abermillionen von Menschen Guns N' Roses nach allen Tiefs immer noch verehren: Er ist der letzte echte Rockstar und seine Fackel droht noch lange nicht zu erlöschen. Ein Glück für alle loyalen Fans, Stadionkonzertveranstalter und auch ihn selbst, denn echte Typen wie er sind vom Aussterben bedroht.

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