Herzensbrecherin

Alfa Romeo Giulia Super 2,2: Diva, Diva, Diva

Motor
15.07.2017 14:34

Mit einer Diva ist es so eine Sache. Auf der einen Seite macht sie uns verrückt vor Sehnsucht, auf der anderen Seite kann sie einen mit Allüren in den Wahnsinn treiben. Der Begriff Diva ist also beides: positiv und negativ besetzt, kommt ganz auf den Standpunkt an. Und auf das Selbstbewusstsein. Giulia (also die von Alfa Romeo) ist eine Diva - und sie scheint ihre kleinen Fehler regelrecht zu zelebrieren.

(Bild: kmm)

Die Fans der Marke Alfa Romeo haben sich jedenfalls geradezu verzehrt nach einer Mittelklasse-Limousine wie der Giulia, wie die Massen der Autogrammjäger (oder Selfie-Jäger, wie es heute heißt) am roten Teppich der Biennale. Und dann: Giulia! Na endlich!

Ihre Kurven wohlproportioniert, die Linien emotional, die Augen verführerisch (auch wenn es LED-Scheinwerfer weder für Geld noch gute Beziehungen gibt), der Körperbau grazil, aber nicht schmächtig, die Erscheinung elegant, ohne abseits des Scheinwerferlichts deplatziert zu wirken. Weiblich, zweifellos, aber dann doch zugleich auch männlich, muskulös, den Scudetto genannten Wappengrill wie einen Schild kämpferisch vor sich her tragend. Männlich sind auch die Lufteinlässe daneben, die "baffi" genannt werden, was auf Deutsch Schnauzbart, nicht Damenbart heißt. Außerdem sollte man wissen, dass die brandneue Architektur, auf der Giulia steht, Giorgio heißt.

Wir tragen dieser Gleichzeitigkeit Rechnung, indem wir sagen: DIE Giulia, aber DER Alfa Romeo. Und auch DER Alfa Romeo Giulia, niemals DIE Alfa Romeo Giulia. So viel Sprachgefühl muss sein, trotz überquellender Hormone.

Giulia und der kleine Diesel
Noch nie, wirklich noch nie haben sich so viele Menschen auf der Straße nach einem Testwagen mit 180-PS-Dieselmotor umgedreht wie im Fall des Alfa Romeo Giulia Super 2.2 Turbo Diesel. Die Ausstrahlung hängt nicht von der Motorisierung ab. Schließlich wissen wir auch nicht, wie viele Sit-ups Sophia Loren in ihrer besten Zeit geschafft hat. Was wir aber wissen, ist, dass ihre Stimme sanfter klingt als der etwas knurrige Selbstzünder. Das macht er wett mit schierer Kraft: In der Automatikversion stemmt der mittelstarke 2.143-ccm-Dieselmotor (es stehen auch noch 150 und 210 PS zur Wahl) ab 1750/min. 450 Nm auf die Kurbelwelle, beim Handschalter sind es nur 380 Nm. Das reicht für einen Standardsprint des 1445-kg-Autos in 7,1 s und 230 km/h Spitze.

Im Test liefen 7,2 l/100 km durch die Direkteinspritzdüsen, das ist mehr als beim kürzlich getesteten BMW 420d Gran Coupé mit Allradantrieb.

Viel Spaß, wenig Gefühl
Beim Fahrgestell, wenn ich mir die anzügliche Formulierung erlauben darf, macht Giulia ihre Sache richtig gut. Sie federt mit ihren optionalen Adaptivdämpfern kommod über die Unebenheiten des Lebens hinweg und lässt sich nach Betätigung des DNA-Schalters auch für eine härtere Gangart konditionieren. Mit Sperrdifferenzial und Heckantrieb kommt dann so viel Freude auf, dass sich die Italienerin in Sachen Straßenlage nicht hinter ihren Konkurrenten aus Bayern verstecken muss.

Für die Lenkung gilt das leider nicht, denn die ist zwar recht direkt, aber un po' gefühllos, geradezu synthetisch. Nichts mit großen Emotionen. Im Sportmodus steigt zwar der Lenkwiderstand, aber das stört eher, als dass es für Verbindlichkeit sorgt. Auch die Bremsen sind alles andere als perfekt: Sie sind kaum so zu dosieren, dass man geschmeidig zum Stillstand kommt.

Prinzipiell einen guten Job macht das Achtgang-Automatikgetriebe, auch wenn es beim Anhalten manchmal divenhaft nachzickt. Ungewöhnlich sind die angenehm kühlen Metall-Schaltpaddles hinterm Lenkrad: Sie drehen sich nicht mit und fallen wirklich riesig aus. Dadurch sind sie jederzeit gut erreichbar, aber auch oft im Weg.

Der Automatikwählhebel ist nicht der Weisheit letzter Schluss: Er gibt beim Einlegen einer Fahrstufe keine haptische Rückmeldung, zudem ist der P-Knopf so unpraktisch angebracht, dass man öfter mal versehentlich auch "P" schaltet, wenn man die Hand drauflegt.

Bedienung mit Diva-Filter
Damit sind wir auch schon bei der Bedienung, bei der Giulia noch mehr als anderswo die Diva raushängen lässt. Angefangen bei Basics wie dem Blinker: Dem fehlt eine Funktion, die wohl jedes andere Auto hat, nämlich blinken, solange der Fahrer den Hebel hält. Giulia hört grundsätzlich nach dreimal Blinken auf, wenn der Hebel nicht eingerastet ist.

Oder der Tempomat/Limiter: Am Lenkrad befinden sich ganz normal die Tempomat-Knöpfe - der Limiter hingegen muss mühsam über das Menü des Navitainments eingestellt werden.

Apropos Navi: Es schlägt teils unmögliche Routen vor (gerne mal über das Gelände einer Tankstelle), die Echtzeitverkehrsinformationen haben wenig mit der Realität zu tun, die Grafik ist nicht zeitgemäß, zu wenig weit herauszoombar und in der Zieleinstellung idiotisch. Es merkt sich von einem Ziel in Wien nur den Bezirk, sodass man bei der nächsten Suche in Wien die Stadt wieder neu eingeben muss - es sei denn, das Ziel liegt im selben Bezirk wie beim letzten Mal. Ich muss nicht betonen, dass die Logik des ganzen Systems etwas umständlich ist. Mein Eindruck: Sie haben sich bei Alfa Romeo am iDrive von BMW orientiert und eine Art Diva-Filter drübergelegt, damit es nicht zu einfach und selbsterklärend wird.

Da ist schon durchaus zu vernachlässigen, dass man die Sonnenblende nur mit der rechten Hand herunterklappen kann, weil man sich links die Fingernägel abbricht. Das gibt es aber anderswo auch, etwa im Bentley Bentayga.

Emotional ist der Innenraum
Es ist auch im Innenraum die Optik, die über vieles hinwegsehen lässt. Es geht nicht übertrieben elegant oder hochwertig zu, hier muss man von emotional sprechen. Einsteigen und sich wohlfühlen ist die Devise, dolce fahr (niente) sozusagen. Okay, das Display (8,8 Zoll, Serie 6,5 Zoll) in der Mittelkonsole ist klein, aber schön integriert, die Rundinstrumente ruhen unter klassischen Baldachinen, und dann ist da noch der Motor-Startknopf am Lenkrad! Magnifico! Aber bitte macht ihn beim Facelift rot!

Platz ist nicht so das Thema der Giulia, sie trägt ihr Kleid gern eng. Auf den Vordersitzen mangelt es noch nicht, an die hoch ansetzenden Seitenfenster gewöhnt man sich; aber es passt praktisch nichts in die Türfächer (von PET-Flaschen wollen wir gar nicht sprechen) und in Reihe zwei sollte man nicht zu groß sein - vor allem sollte man kleine Füße haben. Sagen wir Größe 34. Unter die blechern zufallende Kofferraumklappe passen 480 Liter.

Unterm Strich:
Wenn die Giulia nicht so schön, so emotional, so sexy wäre, würde ich die Finger von ihr lassen. Aber wem die deutsche Konkurrenz zu perfekt, zu glatt, zu deutsch ist, der wird sich mit den Launen der italienischen Diva anfreunden können. Bei 35.840 Euro fängt die Preisliste an (Diesel, 150 PS), die Giulia Super mit dem 180-PS-Diesel und Automatik ist ab 39.350 Euro zu haben, der Testwagen kostet inklusive Extras wie Adaptivfahrwerk, Parksensoren oder Harman-Kardon-Sound über 57.000 Euro. Autonomnotbremse und Tempomat sind Serie.

Keine Frage: Sie hat das Zeug zum Filmstar, mehr noch als ihr Vorgänger mit dem unglamourösen Namen 159, der es immerhin als Aston-Martin-Verfolger in den James-Bond-Streifen "Ein Quantum Trost" geschafft hat. Und als Quadrifoglio mit 510-PS-Motor ist sie ohnehin oscarverdächtig.

Warum?

  • Emotion über Funktion
  • So schaut einfach sonst niemand aus.

Warum nicht?

  • Kleine Fehler muss man mögen - oder eben nicht.

Oder vielleicht …

… Audi A4, BMW 3er, BMW 4er Gran Coupé, Jaguar XE, Lexus IS, Mercedes C-Klasse

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(Bild: kmm)



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