"Krone"-Interview

The Cult: Ewige Verfechter des Tiefergehenden

Musik
05.07.2017 12:05

Mit ausufernder Begeisterung wurden die legendären Gothic-Rocker The Cult unlängst von gut 800 Fans in der Wiener Arena bejubelt. Ian Astbury, Billy Duffy und Co. gehören zur seltenen Spezies jener Rocker, an denen das Alter scheinbar spurlos vorübergeht und deren Leistung sich zu steigern scheint. Vor dem Auftritt gewährte uns Frontmann Ian Astbury Audienz, um 45 Minuten lang über das Leben und alle seine Besonderheiten zu sinnieren.

(Bild: kmm)

Mit Songs wie "Rain" oder "She Sells Sanctuary" spielten sich The Cult in den 80er-Jahren an die Spitze des Goth-Rocks. Das Album "Electric" holte den Hard Rock noch vor dem großen Durchbruch von Guns N' Roses aus dem Wachkoma und selbst die für Bands ihrer Güte kritischen 90er-Jahre überstanden die Briten mit Anstand und Verve. Die Magie von The Cult ergibt sich aus der Mischung der zwei Hauptkonstanten. Dort Gitarrist Billy Duffy, Experte für memorable Riffs und ins Ohr gehende Melodien, da Sänger Ian Astbury, charismatischer Neo-Jim Morrison mit einer Engelsstimme und teuflischem Image.

Wir trafen den Bandchef vor dem umjubelten Arena-Konzert, um mit ihm über das aktuelle Album "Hidden City", seine Erinnerungen an Wien, den Kult um seine Band und die Perspektiven für eine erfolgreiche Zukunft zu besprechen. Geworden ist es ein launiges Zwiegespräch über die Bedeutung von Graffittis in aufgelassenen Fabriken, den Aufmarsch spiritueller Technologie und die "Spotifyisierung" des Alltagslebens.

"Krone": Ian, das letzte Mal wart ihr vor fünf Jahren im Zuge des Seerock Festivals in Graz bei uns in Österreich zu Gast. Davor in unterschiedlichen Abständen immer wieder mal. Woran erinnerst du dich zurück, was gefällt dir an Österreich?
Ian Astbury: Ich habe mir Gustav Klimt auf mein Bein tätowieren lassen und habe vor vielen Jahren die Klimt-Ausstellung "Dream And Reality" gesehen. Die Ikonografie seiner Werke ist schon beeindruckend, aber den wahren Geist erkennst du dahinter. Er war ein unglaublich psychedelischer Künstler. Die österreichische Kunst rund um Klimt oder Schiele war prägend für viele Menschen. Die Arena hier sieht aus wie eine Ziegelfabrik. Es ist beeindruckend, wie viele Fabriken im Laufe der Jahre zu Konzertvenues mutierten. Ich liebe Graffittis und davon gibt es hier sehr viele. Ich betätige mich da selbst gerne, am liebsten mache ich das mit weißer Farbe, weil es einen neuen Touch bringt. Ich habe auch ein paar weiße Tätowierungen. Graffittis gibt es schon seit Anbeginn der biblischen Zeiten. Alle Höhlen waren voll damit und die Künstler von heute kleben alles mit ihren Stickern zu. (lacht)

Du bist sehr vielen unterschiedlichen Arten von Musik zugetan. War die klassische Musik der Wien-Historie ein Einfluss für dich?
Es gibt einen klaren Geist der Musik in dieser Stadt, das ist unumstößlich so. Irgendwann einmal war ich irgendwo in Österreich in einer Pension in der Mozartstraße untergebracht, das fand ich grandios. Jede Art von Musik hat seinen Ursprung in der Klassik. Speziell von Künstlern wie Mozart oder Haydn. Das ist ein eigenes wissenschaftliches Thema, und mein Job ist nicht, den Archäologen zu spielen, sondern eine gute Liveshow zu geben. Man muss tun und anpacken, egal ob live oder im Studio. Es gibt so viele brilliante Gehirne, die nur recherchieren und forschen, aber nie etwas machen. Ohne Menschen die agieren würde auf der Welt nichts weitergehen. Ich arbeite mit dem Tempo des Lebens und versuche, die richtige Geschwindigkeit zu finden. Wenn du älter wirst lernst du, Dinge einfach zu tun und sie nicht bis ins letzte Detail zu überdenken. Ansonsten würdest du in deinem Leben nicht von der Stelle kommen. Wie alt bist du?

32.
Warst du schon einmal in Asien?

Bislang noch nicht.
Das bringt alle Dinge des Lebens in die richtige Perspektive. Im Osten siehst du alles in deinem Leben völlig neu und verändert. Die Asiaten leben einfach und müssen sich nicht den ganzen Tag mit Informationen vollstopfen. Ich überlege mir oft, wie es in der Evolution der Menschen passieren konnte, dass wir uns immer weiter vom Treibenlassen wegbewegen konnten? Handwerk wird immer weniger wert, Dienstleistungen dominieren. Es geht heute nur mehr darum, alles zu wissen. Vor allem die britischen Journalisten fühlen sich beschämt, wenn sie etwas nicht wissen. Es ist okay, sagen zu können: "Ich weiß es nicht". Das ist das Normalste im Leben, aber wir verlernen es zusehends. Die Leute haben Angst davor, nicht auf alles eine Antwort zu haben. Die sozialen Netzwerke treiben dich dort hin, weil du von anderen sofort als Idiot dargestellt wirst. Im Leben hat aber niemand genug Zeit, um allwissend zu sein, das ist pure Heuchelei. John Lennon hat einmal gesagt, das Reisen wäre wie der Geschmack von Himbeermarmelade - du musst es probieren um zu wissen, wie es schmeckt. Man muss Dinge erleben, agieren, sich bewegen und die Welt erkunden. Die Arena wirkt wie ein Live-Mekka für diese Stadt.

Und die Menschen in ihrem Umkreis großteils sehr idealistisch.
Sind sie das? Ich habe sie nicht kennengelernt. Wenn du so viel reist wie ich, kannst du sehr viel über die Kultur der Menschen erzählen nach der Form, wie sie dich bei einem Veranstaltungsort begrüßen. Als wir einmal nach Japan reisten, kam ein Mönch zu mir und sagte: "Willkommen daheim". Heute habe ich in Wien absolut niemanden getroffen. Es ist aber nicht böse gemeint, sondern einfach nur ein Zeichen dafür, dass sich die Menschen mehr und mehr voneinander entfernen. Abkoppelung und Verfremdung gehen auf der gleichen Spur wie der Aufstieg der sozialen Netzwerke. Es herrscht eine Art von existenzieller Vereinsamung.

Spürst du das auch bei Livekonzerten? Dass die Nähe zwischen dem Publikum und dir nicht mehr so intensiv ist wie früher?
Eine Konzertumgebung ist sehr ehrlich und sehr intim. Wenn sich die Leute dort voneinander oder von der Musik entfernen, dann brauche ich nur mal laut aufstampfen, um die Aufmerksamkeit zurückzuholen. (lacht) Die Menschen sind spontan und geben sich einfach der Musik hin, das ist einer der seltenen Momente von Freiheit in diesen Zeiten. Normalerweise ist alles vorbereitet: dein nächstes Posting, das Bild, das du auf Instagram lädst, die Gedanken, die du teilen willst. Bei Konzerten ist die Welt meist noch in Ordnung.

Ist das ein gesellschaftliches Problem der Gegenwart, dass junge Menschen lieber über das nächste Instagram-Mittagessenfoto nachdenken als darüber, wie man etablierte Politsystem revolutionieren kann?
Das ist nicht mein Problem. Keith Richards sagte immer: "Der beste Weg um etwas zu erfahren, ist es herauszufinden". Zwischen deinen 20ern und den 30ern machst du die größte Veränderung deines Lebens durch. Normalerweise bist du irgendwann in einer fixen Beziehung, hast eine Familie und musst dir darüber Gedanken machen, wie du das Essen für mehrere Menschen am Tisch bezahlen sollst. Die Erwartungen an dich steigen und es ist schwieriger, ein individuelles Geschöpf zu sein. Es gibt Probleme über Probleme - möglicherweise ist das nicht der richtige Platz für Menschen wie mich. Die Wissenschaft und moderne Technologien ermöglichen es uns, medizinische Fortschritte zu machen, aber am Wichtigsten ist die spirituelle Technologie. Gerade in den USA passiert in diesem Bereich extrem viel. Die Leute dort beziehen sich viel mehr auf ihre indianischen Vorfahren und tauchen tiefer in die Weisheiten des Fernen Ostens ein. Sie haben immer mehr die Schnauze voll von materiellem Glück und sind verstärkt auf der Suche nach sich selbst.

Es ist eine kleine Version der 60er-Jahre, wo es die letzte große Bewegung gab, die auf ideelles Glück aus war. Das ist gar nicht lange her, wenn du die Menschheitsgeschichte zurückrechnest. All das hat mehr Gewicht als die Frage, wer die berühmteste Person im Internet ist. Ich will nicht leugnen, dass ich auch in sozialen Netzwerken bin und gerne Eindrücke mit anderen teile, aber ich suche immer noch das persönliche Gespräch. Ich verwende das Netz mit Maß und Ziel. Man kann mit Menschen auf der ganzen Welt auf einfachem Weg kommunizieren, aber das ist einer der wenigen Vorteile. Die Nachrichten finden hauptsächlich dort statt, denn speziell in den USA sind Printmedien quasi ausgestorben. Mittlerweile kommunizieren wir auch schon über Spotify-Playlists. Ich weiß aber nicht, wie populär diese Plattform in Europa ist.

Extrem populär, sie wurde zudem von Schweden erfunden.
Wir leben in einer Welt, wo sich Musikgeschmäcker nach Spotify-Playlists orientieren. Wenn das der neue Weg von Kommunikation unter Musikliebhabern ist, ist das für mich aber total okay, weil es ein großartiger und breiter ist, um das musikalische Wissen zu erweitern.

Dafür sterben die Konzeptalben - ausgenommen ein paar alter Legenden - immer mehr aus.
Das ist okay. Die Informationen kommen heute so schnell, dass keiner mehr Zeit dafür hat. Sogar ich tue mir mittlerweile schwer, ein ganzes Buch zu lesen, oder ein Album konzentriert am Stück zu hören.

Spätestens mit eurem letzten Album "Hidden City" habt ihr im Vorjahr eine neue, jüngere Generation an Hörern erreicht. Wie fühlt sich das an, dass der Kult um The Cult wieder höher ist als viele Jahre zuvor und ihr mittlerweile Lebensbegleiter für Väter und deren Söhne seid?
Das ist eine seltsame Frage, weil das im Prinzip jeder erlebt. Du beginnst als Fan jung und bist dann älter.

Es gibt aber ausreichend Beispiele von Bands, die überhaupt keinen Zugang zu jüngeren Menschen finden.
Das liegt daran, dass sie einen bestimmten Moment lebten und diesen nie mehr verließen. Viele haben Angst nach vorne zu gehen und sich zu verändern. Sie haben Angst, sich von der Musik stimulieren zu lassen - für mich zum Beispiel ist das essenziell. Ich war immer schon an unterschiedlichsten Kulturen und Musikstilen interessiert. Ich lasse mich beeinflussen, könnte aber niemals kopieren. Es wäre auch dämlich, ein Kendrick Lamar-Album nachzuahmen. Das wäre nicht authentisch, aber ich kann mich davon inspirieren lassen. Sieh dir nur David Bowie auf "Blackstar" an - dort verlor er einmal mehr die Scheuklappen.

Bowie war aber ohnehin das Chamäleon des Musikgeschäfts.
Das sagen alle, aber ich finde das nicht. Er hatte einfach ein Gespür dafür, im richtigen Moment die richtigen Schritte in der richtigen Umgebung zu setzen. Er blieb immer authentisch. Er war ein besonderes Individuum mit großer Intelligenz und der Gabe, mit vielen anderen Künstlern kollaborieren zu können. Ich habe das oft gemacht mit Boris oder der Doors Revivalband. Es ist so, als ob du auf eine andere Universität gehen würdest. Rick Rubin hat mit den Beastie Boys gearbeitet, die wiederum von Bands wie Kraftwerk beeinflusst waren, die sie genau beobachteten. Anfang der 90er-Jahre habe ich LL Cool Js Hip-Hop-Tracks geliebt, sie haben mich sehr stark beeinflusst und waren wichtig für die gesamte Musikkultur. 1994 klang anders als 2002, das wiederum anders klang als Musik heute. Es geht immer um Weiterentwicklung.

Ihr habt euren Sound im Laufe eurer Karriere selbst immer wieder neu definiert und adaptiert.
Es war keine bewusste Sache, denn Musik kommt dir immer spontan. Du isst ja auch nicht jeden Tag dasselbe. Die größten Einflüsse kommen mir in meiner Wahlheimat Los Angeles, einer multikulturellen Stadt. Dort kannst du alle Wege nur mit dem Auto abfahren und dementsprechend viel Musik kannst du hören. Die meiste Zeit höre ich Hip Hop, was auch daran liegt, dass es die Radiostationen fast durchgehend spielen. Ich kann im Auto neben Kendrick Lamar aber auch Sunn O))) genießen. Los Angeles ist wie ein großes Kino und wenn ich mit dem Auto fahre, habe ich den Soundtrack dazu.

Hip Hop hat es im Gegensatz zum Rock aber immer geschafft, innovativ und spannend zu bleiben. Beim Rock hat man heute das Gefühl, dass der Erfindergeist, die Bereitschaft, neue Territorien aufzustoßen, fehlt. Gene Simmons hat den Rock schon oft für tot erklärt - man muss aber wohl zumindest zugeben, dass er derzeit dahinsiecht.
Die Simmons-Aussage will ich gar nicht kommentieren, weil ich glaube, dass kein Musiker in diesem Business irgendetwas Gehaltvolles dazu zu sagen hätte. Stephen O'Malley als Mastermind von Sunn O))) ist für mich einer der kreativsten Geister im Musikgeschäft. Es gibt Individuen, die sich immer verändern und nach dem Neuen suchen - andere drehen sich lieber erfolgreich im Kreis, was auch total okay ist. So sehr ich Motörhead auch schätze, machte es mich manchmal traurig, wie wenig diese Band aus ihrem Korsett herausging. Sie waren eine Kultband und hatten den Erfolg, der ihnen gebührte, aber zumindest etwas mehr Experimentierfreudigkeit wäre schön gewesen. Nichts hält für ewig. Wir haben zwei Wochen vor Chris Cornells Tod mit Soundgarden gespielt, das ist einfach verrückt und schwer zu fassen. Innovativ sind auch La Femme, eine französische Krautrock-Band und den deutschen Bonaparte mag ich auch. Ansonsten höre ich wirklich hauptsächlich Hip Hop, wie zum Beispiel Frank Ocean - ein genialer Geist.

Nach welchen Kriterien hast du in deiner Karriere entschieden, mit welchen anderen Künstlern du Kooperationen eingehen würdest?
Es geht in erster Linie darum, dass man eine Verbindung zueinander findet. Die Sache mit den Doors wurde zwölf Jahre besprochen bis es soweit war, das kam nicht über Nacht. Sie haben auf den richtigen Moment gewartet, denn das Timing ist wichtig. Als Ende der 80er-Jahre der Film erschien, wäre so ein Zeitpunkt gewesen, aber sie wurden sich nicht einig. Irgendwann waren sie bereit dafür, aber dann haben sie sich intern so zerkracht, dass alles auseinanderbrach. Die Probleme der Vergangenheit wurden durch die Familien wieder ans Tageslicht geholt - das war schon oft ein Grund für Krisen im Musikgeschäft. Bei Boris war es so, dass Greg Anderson und Stephen O'Malley mit mir über Musik redeten und ich ihnen sagte, dass ich die Band mögen würde. Boris waren dann Vorband von P!nk, das habe ich gesehen und hat mich noch mehr begeistert. Sie haben dann mich gefragt, ob wir zusammenarbeiten und plötzlich entstand ein ganzes Album - das war großartig. Sie sind absolut irre, veröffentlichen bis zu drei Alben pro Jahr und spielen quasi ohne Pause live. Das wäre für uns unmöglich, aber sie haben so eine extreme Passion. Ich habe dreimal mit ihnen die Bühne geteilt und es war jedes Mal ein episches Erlebnis. Mit Unkle habe ich auch ein paar Livekonzerte gespielt. Mit The Cult befinden wir uns derzeit an einer interessanten Position, weil wir kein Label mehr haben.

Da passierte in der Vergangenheit sehr viel bei euch. Mit den großen Labels gab es immer wieder Krach.
Leider, aber jetzt schauen wir einmal, was passiert. Wir haben keine Infrastruktur mehr, deshalb fällt es uns heute schwerer, mit einem so kleinen Team die Dinge am Laufen zu halten. Wir sind zwar total frei, aber frei waren wir schon in den 90ern auf Baggers Banquet, will es ein Indie-Label war. Wir wurden niemals so behandelt wie die großen Künstler, waren immer in die zweite oder dritte Reihe gestopft und konnten dadurch niemals durchstarten. Es gibt Situationen im Leben einer Band, wo du einfach etwas mehr Hilfe brauchst und die wurde uns nie zuteil. Jetzt sind wir in gar keinen Verträgen mehr gefangen und haben völlige Freiheit erlangt. Ich habe oft betont, dass ich keine Studioalben mehr aufnehmen möchte, sondern lieber einzelne Songs rausgeben will. Aber es gibt so viele The Cult-Fans, die nach einem Studioalbum schreien und somit müssen wir das wohl wieder machen. (lacht) Sie geben sich nicht zufrieden mit einzelnen Songs, aber ich bin mir noch nicht sicher, wie wir jetzt weitermachen.

War die fehlende Unterstützung der Labels ein Mitgrund, dass er auch in euren Glanzzeiten nie an Dimensionen einer Band wie Guns N' Roses heranreichen konntet?
Es liegt mitunter daran, dass Guns N' Roses die druckvolleren Singles hatten und den richtigen Moment auf MTV erwischten. Sie waren unglaublich intelligent, weil sie von Anfang an geschickte Cover-Songs gemacht haben, die gut zu ihnen passten. Nachdem sie also "Knockin' On Heavens Door" einspielten, wurden sie sofort mit Bob Dylan in Verbindung gebracht. Bei "Live And Let Die" mit Paul McCartney und im erweiterten Sinne mit den Beatles. Das haben wir niemals gemacht und das war wohl ein Fehler. Wir haben mit Iggy Pop, David Bowie und Co. gespielt, aber niemals gecovert. Schau dir andere Bands an. Die Rolling Stones, die Beatles, Led Zeppelin - sie alle haben Songs gecovert. Das waren alles Musikarchäologen. Heute ist das Sampling eine Art des Coverns. Du borgst dir Parts von Songs aus und machst etwas Neues daraus, aber damals waren das Covern und die Rotationen auf MTV einfach erfolgsentscheidend. Als diese Jungs Ende der 80er ihre größten Erfolge feierten, landete ich im Knast. (lacht) Wir waren damals schon beim dritten Album, während Guns N' Roses als Debütanten durchstarteten. Wir hatten zu wenig Zeit, um durch Europa und Japan zu touren, haben den richtigen Moment einfach verpasst, richtig durchzustarten. Guns N' Roses haben den Zeitgeist erwischt und hatten immer das richtige Timing. Wir haben im Alter von 19 bis 27 wie die Tiere gearbeitet, keine Pausen gemacht, aber nie den großen Durchbruch geschafft. Ich vergönne ihnen jede Art von Erfolg, bin aber auch wirklich sehr glücklich über unseren Stand im Musikgeschäft.

"Electric" war vor exakt 30 Jahren so etwas wie die Wiederauferstehung des bis dahin ziemlich dahinsiechenden Hard Rock. Gefällt dir der Gedanke, Teil von etwas Revolutionärem gewesen zu sein?
Robert Plant hat einmal gesagt, er verstehe nicht warum ich ein Led Zeppelin-Shirt tragen würde. Damals war es so, dass die Punks und Punkrocker Led Zeppelin hassten und The Cult wurden immer in diese Nische eingeordnet. Das war aber eine Fehleinschätzung, denn ich mochte nicht nur die Sex Pistols, PIL, The Clash und Joy Division, sondern auch Led Zeppelin, Pink Floyd oder die Band Love. Ich stehe auch auf Kanye West - wo ist das Problem? Diese Probleme waren alle hausgemacht.

Die Toleranz zwischen den unterschiedlichen Musikstilen ist heute aber auch immens höher als damals.
Heute ist alles miteinander vermischt. Es gibt Kooperationen über alle Grenzen hinweg, Skrillex hat unlängst Konzerte für Guns N' Roses eröffnet. Wir sind endlich so weit, dass man als Rocker Hip Hop lieben kann, denn die Verbindung gab es schon immer - auch in den späten 80er-Jahren. Das waren die prägenden Genres, die den Musikmarkt dominierten. Schon damals gab es auch im Publikum Vermischungen, aber man gab es nicht gerne zu. Wir haben vor wenigen Jahren ein paar Konzerte mit Public Enemy gespielt, warum auch nicht? Auch Run The Jewels sind mittlerweile auf Festivals mit Nine Inch Nails, es ist einfach Normalzustand geworden. Heute gibt es zudem einen Aufstieg individueller Einzelgänger wie Courtney Barnett oder Father John Misty. Ich habe schon als Kind alle Arten von Musik geliebt.

Welche Ratschläge würdest du deinem 20-jährigen Selbst geben, mit der Erfahrung und dem Wissen von heute?
Ich würde einfach professioneller sein. Bessere Fotos und Filme machen und vielleicht auch bessere Playlists. (lacht) Damals haben wir noch auf Kassetten Mixtapes aufgenommen und das war eine Herzensangelegenheit. Du hast die Mixtapes genau auf die jeweiligen Personen zugeschnitten und dir wahnsinnig viele Gedanken darüber gemacht. Das war auch der Grund, warum man musikalisch vielseitig unterwegs war - du bist mit unterschiedlichsten Sachen in Berührung gekommen. Ein Mixtape war wie ein Brief oder ein gutes Gespräch. Es war verantwortlich für eine gute oder weniger gute Kommunikation zwischen zwei Menschen. Heute ist es so einfach, Dinge klar zu benennen und einordnen zu können, aber damals gab es so viele Schichten und Zwischentöne in allen Bereichen des Lebens. Heute leben wir in einem Zeitalter der Oberflächlichkeiten. Alles, was tiefe Wurzeln hatte, sich auf Traditionen beruft, ist wie weggesprengt. Es geht nur mehr um den Schein und nicht mehr um die Inhalte oder Hintergründe. Eine Spotify-Playlist hat auch nicht dasselbe Herzblut wie ein Kassettenmixtape, weil die Zusammenstellung viel weniger Zeit und Aufwand bedarf. Die Leute verlieren zudem den Sinn für die Gegenwart, haben Probleme, den Moment zu leben.

Um euer letztes Album "Hidden City" zu beschreiben, hast du zuletzt öfters das Wort Dystopie benutzt…
Ein schweres, aber breit gefächertes Wort. Ich finde, dass es das gesamte Album in allen Sprachen noch immer am besten zusammenfast. Es gibt aber keine endgültige Erklärung für das Werk. Ich kann es morgen schon wieder anders sehen. Ich habe das damals öfters gesagt, aber die Bedeutung des Albums könnte sich für mich noch ändern. Widersprüche gehören zum Kreislauf des Lebens. Das Wetter ist widersprüchlich, genauso die Jahreszeiten. Alles, was auf dieser Welt natürlich ist, ist widersprüchlich. Wenn du im Moment lebst und diesen Moment genießt, dann denkst du nicht daran, dich auf etwas festnageln zu lassen. Die Dystopie des Albums ergab sich aus der Lage der Welt. Auch wir waren - zumindest über die Medien - Zeugen der tragischen Ereignisse in Paris und waren schockiert. Es war so nahe und so real. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und können noch immer nicht in Frieden auf einem Planeten leben. Um das bewerkstelligen zu können, musst du deine Ansichten ändern können. Das passiert jedem im Leben immer wieder, ist ein ganz normaler Vorgang. Was ich an der Musik mag, ist die Tatsache, dass die Sprache nebensächlich ist, aber Gefühl und Performance zählen. Musik ist etwas Friedvolles. Wir sind dafür geschaffen worden, solch schöne Momente zu genießen und nicht um uns gegenseitig zu zerstören. Musik ist eine der wichtigsten Botschaften des Friedens und Miteinanders.

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