Türkei sagte "Evet"

Das bringt Erdogans neues Präsidialsystem

Ausland
16.04.2017 19:43

Mehr als 55 Millionen Türken waren am Sonntag aufgerufen, bei dem von Machthaber Recep Tayyip Erdogan initiierten Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems abzustimmen. Schon vor der Entscheidung warnten die Gegner vor einer Ein-Mann-Herrschaft Erdogans. Hier finden Sie alle Fakten zum neuen Präsidialsystem der Türkei.

Das Präsidialsystem verleiht dem Präsidenten deutlich mehr Macht. Erdogan und die Regierungspartei AKP bewegten die Wähler mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche zu einem Ja ("Evet"). Dies, so wurde suggeriert, sei das Votum der Patrioten, die eine stabile und prosperierende Türkei wollten. Menschen, die Nein ("Hayir") sagten, wurden in die Nähe von Terroristen gerückt.

Die Verfassungsreform, die 2019 in Kraft treten wird, wurde außerdem als ein Mehr an Demokratie verkauft, wozu nach Einschätzung von Fachleuten einige Fantasie gehört. Aus Sicht von Experten könnten die Änderungen die Grundlage für ein autoritäres Regime bilden.

Das bringt das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem mit sich:

  • Präsident wird Regierungschef: Der Präsident, der bisher laut Verfassung eine vorwiegend repräsentative Funktion hat, wird zum Chef der Exekutive. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Künftig leitet der Präsident selbst das Kabinett und wählt die Minister aus, ohne dabei der Zustimmung des Parlaments zu bedürfen.
  • Parlament verliert Befugnisse: Das Parlament verliert das Recht, Minister ihres Amtes zu entheben. Stattdessen kann es sie künftig nur noch schriftlich befragen - nicht aber den Präsidenten. Im Fall von kriminellen Verfehlungen kann es den Präsidenten absetzen, doch sind die Hürden für ein Amtsenthebungsverfahren sehr hoch. Die Zahl der Abgeordneten wird von 550 auf 600 erhöht. Die höchst umstrittene Zehnprozenthürde, die insbesondere prokurdische Parteien benachteiligt, bleibt.
  • Präsidentenamt wird politisiert: Der Präsident, der bisher zu politischer Neutralität verpflichtet ist, darf künftig seine Parteizugehörigkeit behalten. Kritiker befürchten, dass dies dazu führen wird, dass der Präsident zugleich Vorsitzender der größten Partei ist - und damit als Mehrheitsführer das Parlament kontrolliert.
  • Mehrere Amtszeiten: Der Präsident darf der Verfassungsreform zufolge nur für zwei je fünfjährige Amtszeiten gewählt werden. Diese Zählung wird allerdings nach Inkrafttreten der Reform 2019 neu beginnen, sodass Erdogan noch zweimal antreten könnte. Gibt es in der zweiten Amtszeit vorgezogene Neuwahlen, darf der Präsident ein drittes Mal kandidieren. Außerdem sollen die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen künftig gleichzeitig stattfinden - um sicherzustellen, dass der Präsident derselben Partei angehört, die im Parlament die Mehrheit hat. Kritiker sehen in diesem Fall aber eine effektive Kontrolle der Regierung nicht mehr gewährleistet.
  • Weniger Unabhängigkeit für die Justiz: Der Präsident erhält mehr Kontrolle über die Justiz. Er wird künftig sechs der 13 Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte ernennen, der über die Besetzung wichtiger Justizämter entscheidet. Die anderen Mitglieder wählt demnach das Parlament aus - wo der Präsident aber Mehrheitsführer ist.
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