Comeback nach Haft

Ukraine: Timoschenkos Marsch zurück an die Macht

Ausland
06.01.2017 19:04

Julia Timoschenko will in der Ukraine wieder regieren. Dafür braucht die Vollblutpolitikerin aber vorgezogene Parlamentswahlen, die nur von Präsident Petro Poroschenko angesetzt werden können - ihrem Rivalen. Die krisengeschüttelte Ukraine steht vor einer weiteren Zerreißprobe, denn "Julia" erfindet sich immer wieder neu.

Regierungsamt, Gefängniszelle, Oppositionsbank - die ukrainische Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ist für viele ihrer Landsleute ein Phänomen. Vor fünf Jahren, im Oktober 2011, war sie in einem umstrittenen Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

Machtbesessene Vollblut-Populistin
Westliche Politiker boykottierten 2012 wegen Timoschenkos Haft die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine. Nach der prowestlichen Revolution in Kiew Anfang 2014 kam sie frei. Verbissen arbeitet Timoschenko seitdem am Comeback - sie will wieder ganz nach oben.

Es ist ein steiniger Weg. Nur mit großer Mühe gelang Timoschenkos Vaterlandspartei nach dem Weggang langjähriger Weggefährten bei der Parlamentswahl 2014 der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Doch mit steigenden Umfragewerten ist sie wieder da, und ihre Ambitionen sind ungebrochen. Genährt von der wirtschaftlichen Misere der Ex-Sowjetrepublik, arbeitet die 56-Jährige unermüdlich an ihrem Zwischenziel: Neuwahlen.

Politisch versucht sie unter anderem mit Kritik an mehrfach erhöhten Energietarifen zu punkten. Nach einem Besuch in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) berichtete sie im Parlament von Verzweiflung und Tränen der Menschen. Schuld sei das Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds, das die Ukraine zu Marktpreisen verpflichtet. Doch ein vergleichbares Abkommen habe Timoschenko in ihrer Regierungszeit 2009 selbst unterzeichnet, kontert das Regierungslager.

Will heute von Putin nichts mehr wissen
Ungern lässt sich die kampfeslustige Politikerin an ihre guten Beziehungen zu Wladimir Putin erinnern. Nicht nur wegen des Krieges gegen prorussische Separatisten, der die Ukraine auslaugt, ist der Kremlchef der "Hauptfeind" der prowestlichen Führung in Kiew.

Doch Timoschenkos hemmungslose Oppositionsarbeit zeigt Wirkung. Für Präsident Poroschenko ist Timoschenko nach Ablauf der Hälfte seiner Amtszeit zum echten Problem geworden. In allen Umfragen könnte ihre Vaterlandspartei ihr Ergebnis zumindest verdoppeln. Bei möglichen Neuwahlen des Präsidenten würden die Ukrainer demnach ihr den Vorzug vor dem Amtsinhaber geben.

Madonna der Armen und Entrechteten
Längst sieht sich Timoschenko in einem "persönlichen Krieg gegen das ganze System" - ein Krieg, den sie gewinnen will. Dafür soll sie sich sogar mit Abgeordneten verbündet haben, die dem nach Russland geflüchteten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch treu sind.

Zwischenziel: Rasche Neuwahlen
In die Hände spielt Timoschenko, dass die Regierung die staatlichen Beihilfen reduzieren will - sozialer Sprengstoff, der ihr zugutekommen kann. Eine Entscheidung über Neuwahlen kann aber nur der Präsident treffen - und Poroschenko hat keinerlei Interesse, seiner Rivalin zu helfen.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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