Flucht vor Taliban

Ali Omid: “Man darf sich selbst nicht verlieren”

Österreich
28.12.2016 19:51

Ali Omid flüchtet vor den Taliban bis Wien. Binnen Monaten lernt er Deutsch und findet eine Lehrstelle. Das Protokoll eines Flüchtlings, der angekommen ist.

Ein afghanisches Sprichwort besagt: Verlasse dein Dorf, aber lass dich nicht von deinem Dorf verlassen. Als Kind habe ich nicht wirklich verstanden, was damit gemeint ist. Als Jugendlicher musste ich dann mein Dorf verlassen. Und das Gefühl des Verlassenseins wurde übermächtig in meinem Leben.

Ich komme aus Ghor in Zentralafghanistan. Meine Familie gehört zum Stamm der Hazara, einer Minderheit im Land. Die Taliban oder IS-Treue bezeichnen uns als Menschen zweiter Klasse. Deshalb durfte man sich ihnen gegenüber nicht zu erkennen geben. Die hätten einen erschossen. Sofort. Ohne zu zögern. Die Situation wurde immer gefährlicher für uns. Bis sich mein Vater auf den Weg nach Europa gemacht hat. Alleine. Zu Fuß.

Mutter und drei Schwestern versorgt
Als er weg war, lag es an mir, meine Mutter und meine drei Schwestern zu versorgen. Ich war 14 Jahre alt. Mit dem Reparieren von Autos konnte ich uns über Wasser halten. Zwei Jahre später war mein Vater dann in Österreich angekommen. Er beantragte auch für uns Asyl.

Fast über Nacht sind wir damals von zu Hause weg. Zuerst sind wir mit dem Bus nach Kabul, dann über die Türkei nach Wien. Ich wusste nichts von Österreich. Nur, dass es hier keinen Krieg gibt.

Als wäre ich auf einem fremden Planeten
Für mich war es damals, als wäre ich auf einem fremden Planeten gelandet. Hier gibt es weder Händler, die mit bepackten Eseln durch die Straßen ziehen, noch Soldaten, die mit Gewehren auf und ab marschieren. Stattdessen gibt es turmhohe Häuser, U-Bahnen und Frauen, die Firmen leiten. Ich war sehr fasziniert und wollte alles wissen über diesen Ort. Das war aber schwierig, ohne ein Wort Deutsch zu können. Ich musste gleich in die Schule gehen.

Ich lerne Speisen aus Österreich zu kochen
Meine Rettung war ein Wörterbuch. Deutsch-Farsi. Ich habe mir alle Begriffe rausgeschrieben, die ich wissen wollte, und sie mir eingebläut. Ich habe im Bus gelernt, abends im Bett, nachmittags im Park. Nach einem Jahr konnte ich die Leute verstehen. Selber gesprochen habe ich selten.

Zwölf Monate später habe ich den Hauptschulabschluss gemacht - mit einem Zweierdurchschnitt. Danach wollte ich Arbeit finden. Hunderte Bewerbungen habe ich abgeschickt. Aber als Flüchtling ist man nicht gerade begehrt auf dem Arbeitsmarkt. Dann habe ich Bernhard kennengelernt. Er leitet ein Arbeitsmarkt-Integrationsprojekt. Durch ihn bin ich zu einem Vorstellungsgespräch im Hotel Schloss Wilhelminenberg gekommen. Dem Chef hat mein Eifer gefallen und dass ich mich durchbeißen kann.

Seit sechs Monaten stehe ich jetzt oft schon in der Früh in der Küche und lerne kochen. Österreichische Gerichte. Das Sprichwort habe ich jetzt auch verstanden: Wenn man sein Dorf verlässt, darf man sich selbst nicht verlieren. Dann wird man auch nicht verlassen.

Tipps und Infos

  • In Österreich stellen die Afghanen seit 2015 das größte Kontingent der Asylwerber - noch vor den Syrern.

  • Im vergangenen Jahr beantragten rund 90.000 Afghanen Asyl. 45 Prozent der Anträge wurden positiv entschieden. 32 Prozent der Asylsuchenden erhielten subsidiären Schutz.

  • Mindestens zwei Drittel der in Österreich lebenden Afghanen gehören zur schiitischen Minderheit der Hazara.

  • Im Bewerbungsprozess wurde Ali von der Initiative "10.000 Chancen" unterstützt - einem Projekt für die rasche Arbeitsmarkt-Integration.

Haben Sie auch ein Schicksal gemeistert und können damit anderen Mut machen? Dann schreiben Sie bitte an: brigitte.quint@kronenzeitung.at

Brigitte Quint, Kronen Zeitung

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