Tunesier auf Flucht

Berlin: 100.000 € für Hinweise zu Terroristen

Ausland
21.12.2016 20:38

Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin fahnden die Ermittler unter Hochdruck nach dem womöglich bewaffneten Täter sowie etwaigen Komplizen. Am Mittwoch dann eine heiße Spur: Im Todes-Lkw wurde ein Ausweisdokument gefunden, das auf einen Tunesier ausgestellt ist. Für Hinweise zum 24-jährigen Anis Amri, der mindestens zwei weitere Identitäten verwendet haben soll, wurden am Abend 100.000 Euro Belohnung ausgelobt. Er war, wie jüngst bekannt wurde, bereits vier Jahre in Italien wegen Brandlegung in Haft gewesen.

Der Generalbundesanwalt mahnte in einer Mitteilung aber auch zur Vorsicht: "Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, denn die Person könnte gewalttätig und bewaffnet sein!" Amri ist als islamistischer Gefährder bekannt. Der 24-jährige Tunesier sei 1,78 Meter groß, wiege circa 75 Kilogramm, habe schwarze Haare und braune Augen. Wer den Gesuchten sieht, soll sofort die Polizei benachrichtigen.

Offizielle Fahndung erst seit Mittwochabend
Bereits am Nachmittag hatte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere mitgeteilt, dass der verdächtige Tunesier seit Mitternacht zu Fahndung ausgeschrieben war - in den ersten Stunden wurde dies allerdings nicht öffentlich gemacht. "Es gibt einen neuen Verdächtigen. Nach ihm wird gefahndet", sagte de Maiziere. Er wies darauf hin, dass der Gesuchte nicht zwingend der Täter sei - die Polizei geht mittlerweile aber von einem dringenden Tatverdacht aus. Es werde in alle Richtungen ermittelt, alle Spuren würden verfolgt. Der Verdächtige ist dem Minister zufolge auch europaweit zur Fahndung ausgeschrieben. "Uns ist wichtig, dass man diesen Verdächtigen findet", deswegen sei zunächst eine verdeckte Fahndung eingerichtet worden, so de Maiziere.

Ausweis im Todes-Lkw gefunden
Im Fußraum des Führerhauses des Lkws, der am Montagabend in den Berliner Weihnachtsmarkt gerast war, sei eine Duldung mit den Personalien gefunden worden, hatte zuvor "Spiegel Online" am Mittwochvormittag berichtet. Laut Informationen der "Berliner Zeitung" nutzte der gesuchte Tunesier mindestens zehn Identitäten. So ist das gefundene Dokument auf den Namen Ahmed A., geboren in Skendira, ausgestellt. Er werde jedoch auch als Anis A., geboren in Tataouine, oder als 1995 in Alexandria geborener Mohammed H. geführt.

Vier Jahre in Italien als Brandleger in Haft
Wie der tunesische Sender Mosaique FM unter Berufung auf den Vater Amris berichtete, war der Tunesier bereits 2011 nach Italien eingereist. Dort sei er vier Jahre lang in Haft gewesen, weil er eine Schule angezündet hatte. Italienische Medien berichten hingegen, er habe in einem Auffanglager für Flüchtlinge ein Feuer gelegt. Die Geschwister des Tunesiers können nicht glauben, dass er für die schreckliche Tat in Berlin verantwortlich sein soll. "Als ich das Foto meines Bruders in den Medien gesehen habe, habe ich meinen Augen nicht getraut", sagte der Bruder Abdelkader Amri am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP in Tunesien. "Ich kann nicht glauben, dass er das Verbrechen begangen hat."

Abdelkader Amri sagte weiter, falls sich wider Erwarten doch herausstellen sollte, dass sein 24-jähriger Bruder für den Anschlag verantwortlich sei, verdiene er "jede Strafe". "Wir lehnen den Terrorismus und die Terroristen ab", sagte der Bruder - "und wir haben keine Verbindung mit den Terroristen." "Wir haben nie den Eindruck gehabt, dass etwas nicht stimmte", sagte die Schwester Najoua zu AFP. "Er hat über Facebook mit uns Kontakt aufgenommen, immer lächelte er und war fröhlich." Amri hat insgesamt fünf Geschwister: den Bruder Abdelkader und vier Schwestern. Die Eltern leben in der Stadt Oueslatia. Laut Angaben aus Sicherheitskreisen in Tunesien war Amri dort mehrfach wegen Drogendelikten festgenommen worden.

Hätte abgeschoben werden sollen
Im Juli 2015 kam er nach Deutschland. Laut "SZ" war er im August in Friedrichshafen im Bundesland Baden-Württemberg mit einem gefälschten italienischen Ausweisdokument festgenommen und wenig später wieder freigelassen worden. Er hätte aus Deutschland abgeschoben werden sollen, bestätigte der Innenminister von Nordrhein-Westfalen Medienberichte. Sein Asylantrag sei im Juni 2016 abgelehnt worden.

Der Mann gelte als Gefährder, also jemand, dem Polizeibehörden Terrorakte zutrauen. Die deutschen Sicherheitsbehörden stufen laut Angaben des Bundesinnenministeriums derzeit 549 Menschen als sogenannte Gefährder ein. Der Tunesier sei eingebettet in das großes Islamisten-Netzwerk des 32-jährigen gebürtigen Irakers Abu Walaa. Dieser war im November gemeinsam mit vier weiteren Männern verhaftet worden. Die Männer sollen ein salafistisch-dschihadistisches Netzwerk betrieben haben, das Rekruten zum IS vermittelte. Abu Walaa galt seit Jahren als Chefideologe der deutschen Islamisten.

Tunesier wollte sich laut Polizei-Quelle Schusswaffen besorgen
Deutschen Medien zufolge soll der nun gesuchte Tunesier einen Mann, der als Quelle der Polizei in Nordrhein-Westfalen geführt wurde, gefragt haben, ob dieser Schusswaffen besorgen könne. Die Polizei soll zudem die Telekommunikation des Tunesiers überwacht haben - womit der Fall auch politisch immer brisanter wird. Ein Ermittler, der am Mittwoch mit Medien sprach, sagte, ihm sei unklar, warum der Mann aus dem Blickfeld der Polizei entkommen konnte.

Täter laut Ermittlern verletzt
Zuvor hatte der Sender RBB berichtet, in den frühen Morgenstunden habe es eine weitere Festnahme gegeben. Der Verdächtige sei aber wieder freigelassen worden. Ein zunächst verhafteter Flüchtling aus Pakistan war bereits am Dienstagabend wieder freigelassen worden. Die Polizei geht indessen davon aus, dass der Täter verletzt ist, deshalb suche die Polizei sämtliche Krankenhäuser in Berlin und Brandenburg ab. Im Fahrerhaus des Lkws seien DNA-Spuren gesichert worden.

Es gebe "gute Hinweise" und "sehr viele Ansatzpunkte", hatte der Vorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner Spezial" gesagt. Die Berliner Polizei habe mehr als 500 Hinweise zu dem Anschlag erhalten. Laut Schulz werten die Ermittler neben Zeugenaussagen DNA-Spuren und Fingerabdrücke aus. Mit GPS-Daten vom Tatabend werde nach dem Handy des Täters gesucht. Auf dieser Basis könne ein Bewegungsbild erstellt werden. "Wir haben viele Möglichkeiten, um die Person auch zu finden", sagte er.

Berliner Polizei stürmte Wohnung
Am Mittwochabend gegen 20 Uhr stürmte ein Spezialeinsatzkommando der Berliner Polizei gleichzeitig zwei Wohnungen, darunter eine an der Großbeerenstraße in Kreuzberg, berichtete die "Welt" unter Berufung auf Ermittlerkreise. Bei der Razzia sei ein Mann überwältigt worden, dabei handle es sich laut Ermittlern aber nicht um den europaweit gesuchten Amri. Der Tunesier wurde demnach allerdings in einer der beiden Wohnungen vermutet. Ein ranghoher Beamter gehe davon aus, dass Amri zuvor die Flucht ergriffen habe.

IS reklamiert Anschlag für sich
Über sein Sprachrohr Amak hat der IS den Anschlag für sich in Anspruch genommen. Der Angriff sei demnach eine Reaktion auf die Aufrufe der Terrormiliz gewesen, die Bürger von Staaten der Anti-Terror-Koalition anzugreifen. Sollte sich tatsächlich bestätigen, dass der IS hinter der Tat steht, wäre es der erste islamistische Anschlag mit einer Vielzahl von Todesopfern in Deutschland. Allerdings sei es laut den deutschen Behörden auch möglich, dass der Täter auf eigene Faust handelte.

Pole lieferte sich Kampf mit Attentäter
Dabei hat womöglich der polnische Lkw-Fahrer, der bei dem Attentat auf dem Beifahrersitz saß, sogar noch Schlimmeres verhindert. Seine Obduktion habe ergeben, dass er zum Zeitpunkt des Anschlags noch lebte, berichtete die "Bild". Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen, auch von Messerstichen sei die Rede. Erschossen worden sei der Mann erst, als der Lkw zum Stehen kam. Nach dem Attentat fand man den Polen tot im Führerhaus, laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen. Von ihr fehlt bisher jede Spur. Der Mann arbeitete für die Speditionsfirma, der der Sattelschlepper gehört.

Das Video zeigt die Szenen nach dem Anschlag:

Zahlreiche Opfer ringen noch mit dem Tod
Der vermutlich entführte Lastwagen war am Montagabend in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz im Herzen Berlins gerast. Einschließlich des Polen starben zwölf Menschen, rund 50 weitere wurden teils lebensgefährlich verletzt. Laut den Behörden konnten - neben dem Polen - bisher erst sechs Tote identifiziert werden. Bei ihnen handelt es sich um deutsche Staatsbürger. 14 Menschen rangen am Dienstagnachmittag noch mit dem Tod.

Heftige politische Debatte nach Blutbad
Nach dem Anschlag nahm die politische Debatte über die Tat und die Schlussfolgerungen daraus Fahrt auf. So sagte CSU-Chef Horst Seehofer: "Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren." Zu diesem Zeitpunkt gab es allerdings bereits Zweifel, ob der als Verdächtiger in Berlin festgenommene Flüchtling wirklich der Täter war. CDU-Vize Armin Laschet kritisierte Seehofer daraufhin für seine Wortwahl: "Was ist denn, wenn der Täter aus dem Inland oder aus einem Nachbarland kommt, wie bei den Anschlägen von Nizza oder Brüssel?", fragte er am Dienstagabend bei "Maybrit Illner spezial". Kurz darauf stellte sich dann tatsächlich heraus, dass der verhaftete pakistanische Flüchtling nicht für das Blutbad verantwortlich ist.

Die CSU bekräftigte auch ihre Forderung nach erweiterten Einsätzen der Bundeswehr im Inneren. Soldaten könnten mit ihrer speziellen Ausbildung und Ausrüstung die Polizei vielfach unterstützen, sagte Florian Hahn, Außen- und Sicherheitsexperte der Partei, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die SPD, die Opposition und auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sind jedoch der Ansicht, dass die Regeln für die Bundeswehr im Inneren ausreichend seien. Verfassungsrechtlich ist ein vorbeugender Einsatz der Bundeswehr ausgeschlossen und ansonsten nur in außerordentlichen Lagen im Zusammenhang mit Katastrophen oder auch mit einer Verkettung verschiedener Terrorlagen denkbar.

Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen nun auch in Wien
Unterdessen hat die Polizei nach dem Anschlag in Berlin vielerorts in Deutschland die Sicherheitsvorkehrungen auf Weihnachtsmärkten verstärkt. Zu den verschärften Maßnahmen gehören auch Durchfahrtsverbote für Lkws, Polizeiautos, die Zufahrtswege versperren sollen, und eine Aufrüstung der Polizisten mit Maschinenpistolen. Unter dem Eindruck des Anschlags in Berlin plant nun auch die Polizei in Wien zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen.

krone.tv fragte Besucher am Wiener Christkindlmarkt: Angst vor Terror?

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