Stadthalle live

Durchstarter Seiler und Speer: Mehr Bande als Band

Musik
10.12.2016 01:10

Nach einem Jahr voller Superlative konnten sich Seiler und Speer kurz vor Weihnachten noch einmal selbst übertreffen. Vor rund 11.000 Fans feierten die Durchstarter des Jahres eine zweistündige Show mit allen großen Hits, zahlreichen Effekten und so manch kritischen Zwischentönen. Das ausladende Spektakel wird später auch auf DVD erhältlich sein.

(Bild: kmm)

Die Nervosität ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Mit großen Augen und zittrigen Beinen betreten die Austropop-Shooting-Stars Seiler und Speer die mächtige Bühne der Wiener Stadthalle und staunen in erster Linie ob der 11.000 Fans und wohl auch über sich selbst. Christopher Seiler, Frontmann, Sänger und Sprachrohr der eingeschworenen Truppe, rezitiert gebetsmühlenartig den rasanten Aufstieg seines Projekts und spannt den Geschichtsbogen von ersten kleinen Auftrittsversuchen im Beisl über Simm City und Nova Rock bis hin zum heute gefeierten Karrierehöhepunkt im Herzen Österreichs. Die Realität gewordene Mär vom raketenhaften Aufschwung in lichterlohe Pop-Sphären teilen sie mit Wanda, ihren Erfolgspartnern in Crime. Ansonsten relativ wenig, wie Seiler im humorigen Tete-a-Tete mit Kollege Bernhard Speer süffisant anmerkt: "Heast, i rauch dir glei ane an. Ich bin net so a Pazifist wie die Wanda".

Der Polit-Fauxpas
Der Triumphzug des Duos fußt einerseits an bekömmlichen, zwischen Austropop und Reggae mäandernden Drei-Akkorde-Songs, die sich unnachahmlich einfach durch die Gehörgänge schleichen und andererseits am meist vulgären, proletoiden Humor, der Kompromisslosigkeit und Geradlinigkeit propagiert. Als Seiler knapp eine Woche vor der Bundespräsidentenwahl einen parteiübergreifenden Wut-Post auf Facebook absetzte, war noch nicht abzusehen, dass er dafür in diversen Medien zerrissen werden würde, er knapp eine Million Mal geklickt wird und als Resultat nicht nur er, sondern indirekt auch seine Mutter Morddrohungen erhielt. Im Internetzeitalter braucht es wenig Zündstoff, um eine künstlich herbeigeführte Hysterie zu entfachen.

Dass Seiler all die Vorfälle näher gegangen sind, als so mancher aufgrund seiner rauen Schale vermuten würde, gibt er während des Wien-Konzerts des Öfteren preis. Bei den generalisierten Rundumschlägen gegen die heimische Medienlandschaft bedient er sich nur leider genau denselben Mitteln, die er allzu gerne selbst bekrittelt: Pauschalisierung und unreflektierte Wut. Dass Seiler und Speer zudem ausgerechnet den kiffenden bayrischen Liedermacher Hans Söllner ins Vorprogramm holten, kann, muss trotzdem nicht als politisches Zeichen interpretiert werden.

Experiment gescheitert
Der 61-jährige Rastafari agiert mit Kilt und bravem Scheitel, ist aber immer noch ganz der naturverbundene Rebell der alten Tage. In seinen Liedern appelliert er an das Miteinander und das Einende, wettert gegen den Staat und seine herrschenden Mechanismen und indoktriniert das Publikum mit dem allerwichtigsten Gut, der Freiheit des einzelnen Individuums. Ihm verhaltenen Applaus zu attestieren, wäre noch untertrieben. Mit vereinzelten Buh- und Schmährufen zieht er nach einer Stunde von dannen. Das Experiment, vor den Lokalmatadoren zu spielen, gerät zumindest vor diesem Publikum zum veritablen Bauchfleck.

Zuspruch gibt es nur, als er später seinen Hit "Boarischer Krautmo" mit Seiler und Speer anstimmt und somit für ein verbindendes Element sorgt. Die beiden Stars des Abends haben ihre Fans bis dahin längst im Griff. Schon ganz zu Beginn lässt man in der Halle einen pompösen Konfettiregen niedergehen, Lametta und ausufernde Pyro-Einlagen am Ende des Sets zeigen, dass die beiden auch um die Musik herum gewachsen sind. Unterstützt von der famosen Backing-Band und dem aus vier Sängerinnen bestehenden Meli-Bar-Hardchor, rattern die Erfolgsnummern des immer noch populären Debütalbums durch den Saal.

Innerer Kern
Seiler beschwört währenddessen immer wieder das "magische Band" zwischen den Musikern und ihren Anhängern. "Wir gegen den Rest der Welt", lautet das Motto, mit dem sich die Erfolgsgaranten treu bleiben wollen. "Bonnie und Clyde" kann dabei durchaus als gemeinschaftliche Hymne betrachtet werden und überhaupt ist es der Stammbesetzung bislang gut gelungen, sich von plötzlich auftauchenden Einflüsterern fernzuhalten und den inneren Kern zu beschwören. "Wir sind mehr Bande als Band", erklärt Seiler während der Vorstellung der einzelnen Musiker, und trifft damit exakt ins Schwarze. Während Speer T-Shirts in die Menge wirft, punktet Seiler mit Brachialschmäh, schießt das eine oder andere Mal aber etwas über die Grenzen hinaus. Womöglich ist es die ehrfürchtige Kulisse, die Mark und Bein erzittern lässt, vielleicht benötigt der Kabarettist aber auch einfach nur die wohlverdiente Weihnachtspause nach einem Jahr der Superlative.

Dass "A Kaffee und a Tschick" oder das gleich zwei Mal exerzierte "Soits lebn" für rasende Begeisterung sorgen, war wenig verwunderlich. Souverän haben sich die beiden auch das Georg Danzer-Lied "Ruaf mi ned an" zu Eigen gemacht, und dem verstorbenen König des Austropop eine würdige Hommage zu bescheren. Mit dem Superhit "Ham kummst" lassen sich die beiden bis zur Zugabe Zeit. "Wir können's nimmer hören, aber wir können's noch spü'n", fasst Seiler die wechselhafte Beziehung zu der Nummer zusammen, auf der die erfolgreiche Gegenwart fußt.

Aussage und Attitüde
Bleibt für die beiden zu hoffen, dass das für Frühling 2017 prognostizierte Nachfolgealbum wieder voller Hits steckt. Die auf Platz drei in den Single-Charts platzierte neue Single "I kenn di vo wo" ist zwar solide, hat den Live-Test an diesem Abend aber noch nicht souverän bestanden. Man darf gespannt sein, ob das Erfolgsmärchen auch im nächsten Jahr anhält - bis dorthin sollte zumindest die DVD dieses legendären Stadthallen-Abends erhältlich sein. Hoffentlich so ungeschnitten und roh wie die beiden sich eben auf der Bühne geben.

Heute Abend, 10. Dezember, spielen Seiler und Speer ihre allerletzte Show in dieser Saison in der Grazer Stadthalle. Karten sind noch an der Abendkassa erhältlich.

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