Widrige Umstände

Tirols Spital-Ambulanzen platzen aus allen Nähten

Tirol
29.10.2016 14:40

Die Notaufnahmen in Tirols Krankenhäusern sind stark überfüllt - eine Tatsache, die beunruhigende Auswirkungen mit sich bringt: Die Patienten müssen immer öfter sehr lange Wartezeiten in Kauf nehmen, das Ärzte- und Pflegepersonal ist am Limit. Ein Grund dafür ist die unzufriedene Versorgung im niedergelassenen Bereich.

Sonntag, 16. Oktober, am frühen Abend: Der 91-jährige Hans Steinlechner aus Hall wird von den Rettungskräften mit 39 Grad hohem Fieber und Schmerzen in die Notaufnahme des Krankenhauses Hall eingeliefert. Er wird zwar rasch registriert, doch geholfen wird im (vorerst) nicht - und zwar gleich mehrere Stunden nicht.

Sohn musste Urinflasche organisieren

"Es musste ihm Blut abgenommen werden, doch abgeholt wurde er dafür im Warteraum nicht. Ich musste ihn selbst in den entsprechenden Behandlungsraum bringen", ärgert sich sein Sohn Christian Steinlechner maßlos. Doch dem nicht genug: Der 91-Jährige leidet an einem offenen Fuß, die Einnahme von Wassertabletten ist Pflicht. "Das heißt, dass er oft auf die Toilette muss. Doch an diesem Tag war er derart schwach, dass ich ihm eine Urinflasche besorgen musste. So konnte er sich zumindest im Eck des Warteraumes erleichtern", schildert sein Sohn weiter.

"Hier geht es zu wie im Taubenschlag"

Nach gut eineinhalb Stunden hat man den Tiroler in den Untersuchungsraum geholt, doch das Warten ging weiter - und zwar für rund 45 Minuten. "Wir durften nicht einmal bei ihm sein, er war komplett auf sich alleine gestellt", sagt Steinlechner. Der Sohn beschwerte sich, die behandelnde Ärztin versorgte dann den Patienten. "Sie war vollkommen gestresst und meinte, dass es hier zuginge wie im Taubenschlag", erinnert er sich.

Ähnliche Fälle auch in Schwaz und in Innsbruck

Auch im Krankenhaus in Schwaz stehen derartige Fälle an der Tagesordnung. So musste etwa vor wenigen Wochen eine 89-jährige Tirolerin mit einem Oberschenkelhalsbruch sowie einem Armbruch stundenlang auf eine Behandlung warten. "Und dann kam ein Arzt mit blutverschmiertem Arztkittel und sagte, dass er bei den ganzen Notfällen keine Zeit zum Umziehen habe", schildert die Tochter fassungslos. Und in der Klinik Innsbruck ließ man beispielsweise eine 30-jährige Frau mehrere Stunden lang warten - und zwar obwohl sie sich aufgrund eines Magen-Darm-Virus immer wieder übergeben musste.

Wohl keine Einzelfälle

Von Einzelfällen kann hier wohl nicht mehr die Rede sein. Für die Krankenhaus- beziehungsweise Klinikleitungen steht fest: Die nicht ausreichende Versorgung im niedergelassenen Bereich sei einer der Hauptgründe für diese unzufriedene Situation (siehe unten).

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"Die Zahl der Patienten in den Notaufnahmen steigt jährlich"

"Natürlich sehen wir die teilweise komplett überfüllten Warteräume. Und von Jahr zu Jahr werden es auch immer mehr Patienten. Die Situation ist unbefriedigend", gibt Herbert Rettl vom Qualitätsmanagement des Krankenhauses Hall zu.

Ein Drittel der Patienten könnte auf dem Land versorgt werden

Der Hauptgrund liege für ihn im niedergelassenen Bereich: "Zwischen 20 und 25 Prozent unserer Patienten müssten überhaupt nicht in die Notaufnahme kommen. Sie könnten ohne Weiteres auch von einem Landarzt behandelt werden", ergänzt Rettl. Rückendeckung erhält er von Alexandra Kofler, ärztliche Direktorin der Klinik Innsbruck: "Bei uns sind es sogar um die 40 Prozent, die anderwärtig sehr gut versorgt werden könnten."

Öffnungszeiten spielen große Rolle

Doch woran scheitert es? "Oft sind die Ärzte auf dem Land unter der Woche ab 16 Uhr nicht mehr in ihrer Praxis. Außerdem sind sie an den Feiertagen sowie an den Wochenenden nur selten im Dienst. Da ist es nachvollziehbar, dass Patienten zu uns kommen", sagt Kofler. Auch die Anzahl der Landärzte sei oft einfach nicht ausreichend.

Keine Einsparungen

Mit Personal-Einsparungen scheint dieser Missstand jedenfalls nichts zu tun zu haben. "Aufgrund des Arbeitszeitgesetzes haben wir sogar mehr Personal eingestellt", sagt Margit Holzhammer, Geschäftsführerin des KH Schwaz.

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"Struktur-Maßnahmen sind definitiv nötig"

Das Problem überfüllter Notaufnahmen gehört schnellstmöglich gelöst. Der zuständige LR Bernhard Tilg (VP) nimmt Stellung und erläutert künftige Schritte der Gesundheitsreform.

Der Missstand in Tirols Spitälern müsste Sie doch zum Nachdenken anregen.

Die Gesundheitspolitik ist sich der aufgezeigten Probleme natürlich bewusst. Reformprozesse bedürfen jedoch einer gemeinsamen Kraftanstrengung zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung mitsamt den weiteren Partnern.

Wie kann das unausgewogene Verhältnis der ambulanten Versorgung zwischen dem niedergelassenen Bereich und dem spitalsambulanten Bereich gekittet werden?

Die Versorgungsaufträge müssen besser abgestimmt werden. Außerdem benötigt es dringend eine spürbare Stärkung der Ambulanzen im niedergelassenen Bereich.

Wo könnte hier in erster Linie angesetzt werden?

Die Öffnungszeiten, vor allem auch am Tagesrand, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Da müssen klare Änderungen vorgenommen werden.

Sehen Sie die medizinische Versorgung der Tiroler Bevölkerung in Gefahr?

Ich möchte hier ganz klar festhalten, dass wir über eine hochqualitative Gesundheitsversorgung verfügen - und zwar in allen Bereichen. Dennoch sind die zuvor genannten Struktur-Maßnahmen notwendig, um die Versorgung auch zukünftig gewährleisten zu können.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass hier rasch eine Verbesserung erzielt wird?

Sehr zuversichtlich. Mit der Fortführung der Gesundheitsreform werden wir spürbare und wirksame Reformschritte setzen können.

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