Gequält zu Neuwahlen

Letzter Sargnagel für eine kaputte Koalition

Österreich
14.09.2016 16:58

Vier Monate nachdem Bundeskanzler Christian Kern mit seinen Aufbruchsparolen "Neuer Stil" und "New Deal" frischen Wind für die Regierung angekündigt hat, brechen in der Koalition die Gräben völlig auf. Auslöser war ein Gastkommentar des Kanzlers in der "Frankfurter Allgemeinen", in der Kern unter anderem eine Abkehr von der europäischen Sparpolitik forderte. Finanzminister Hans Jörg Schelling kritisierte Kern daraufhin als "linken Ideologieträger". Es war wohl der letzte Sargnagel für eine kaputte Koalition.

Schon seit Ende der Sommerpause quälen sich die Regierungsparteien vor und hinter den Kulissen mit grundsätzlich gegensätzlichen politischen Linien. Das Fass zum Überlaufen brachte bei der ÖVP jetzt ein ganzseitiger Artikel des SPÖ-Chefs in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Montag.

Dort präsentierte Kern unter dem Titel "Bundeskanzler der Republik Österreich" zahlreiche Ideen für eine grundsätzlich andere Geldpolitik. Unter anderem trat Kern dafür ein, dass ein europäisches Investitionsprogramm von 315 Milliarden Euro mehr als verdoppelt werden sollte.

Schelling: "Thesen des Kanzlers widersprechen Realität"
Finanzminister Schelling sah sich danach im Kreis seiner europäischen Amtskollegen mit zahlreichen Anfragen konfrontiert. "Ich habe erklären müssen, dass es sich um die Privatmeinung von Christian Kern handelt, aber nicht um die Regierungslinie", berichtete Schelling der "Krone" am Mittwoch.

Schelling war auch bemüht, die Verwirrung in Europa nach Kerns Aussagen zu relativieren. "Die Thesen des Bundeskanzlers widersprechen in vielerlei Hinsicht der Realität", lautet Schellings knappe Darstellung. Schelling widerspricht auch Kerns Annahme, dass Europa zu wenig Geld ausgebe. Man sei weit von einer Sparpolitik entfernt.

"Schulden sind das Gift für den Wohlfahrtsstaat"
Der Finanzminister verweist auch darauf, dass fast alle Länder in Europa die Verbindlichkeiten und öffentlichen Ausgaben erhöht hätten. Schelling erklärte nach Kerns Thesen unmissverständlich: "Nicht ohne Grund befinden sich die Finanzminister der EU seit acht Jahren im permanentem Krisenmodus. Schulden sind das Gift und nicht die Heilung für unseren Wohlfahrtsstaat."

In seinen Interviews auch gegenüber deutschen Zeitungen fügte Schelling noch an, dass "unser Bundeskanzler laut über neue Steuern nachdenkt, als ob unsere Steuerquote mit 43 Prozent nicht schon hoch genug wäre". Der Minister erinnerte an das schwere Erbe der Schuldenpolitik: "Der Bundeskanzler möchte dieses Erbe den nächsten Generationen weitergeben", fügte er scharf hinzu.

Kern reagierte Mittwochmittag im ORF auf die schweren Vorwürfe. Er sagte, die ÖVP-Kritik sei "Ausdruck einer bestimmten rechten Ideologie". Der SPÖ-Chef sieht sich auf einer Linie mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der auch doppelt so viel Geld (bisher geplant 315 Milliarden Euro) für Investitionen ausgeben will. Kern triumphierend: Und Juncker ist kein Sozialdemokrat.

Eindruck, dass die Koalition zerbricht
Nach dem Desaster um die Bundespräsidentenwahl reagiert auch das Ausland zunehmend irritiert auf die Vorgänge in Österreich. So hieß es am Mittwoch - wieder in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" -, die "harsche und teilweise auch persönliche Kritik an Kern illustriert, wie weit ÖVP und SPÖ in Wirtschafts- und Finanzfragen auseinanderklaffen. Der Schlagabtausch nährt den Eindruck, die Koalition könnte zerbrechen."

Vorbereitungen für Nationalratswahlen
Tatsächlich sind hinter den Kulissen von SPÖ und ÖVP die Vorbereitungen für Nationalratswahlen im Frühsommer 2017 bereits angelaufen. Im Team von Kanzler Kern wird an Werbestrategien unter dem Arbeitstitel "Hoffnung statt Neoliberalismus" gearbeitet. In der ÖVP sollen bereits zusätzliche Mitarbeiter angeheuert werden, um spätestens nach der Hofburg-Wahl am 4. Dezember Kurs auf Neuwahlen nehmen zu können.

Die Ausgangslage wird jedoch in beiden Regierungsparteien als ungünstig bewertet: Aktuell liegt die FPÖ von Heinz-Christian Strache konstant über 30 Prozent. Die SPÖ stagniert seit Monaten, wie bereits unter Ex-Kanzler Werner Faymann, bei etwa 26 Prozent. Die ÖVP liegt demnach bei 19 bis 20 Prozent. Daher gibt es noch immer Kräfte, die Angst vor dem endgültigen Bruch haben. In der ÖVP geht man allerdings davon aus, dass Außenminister Sebastian Kurz als Spitzenkandidat einen massiven Aufschwung bringen könnte.

Kommentar von Claus Pándi: Letzter Sargnagel
Nach neuneinhalb Jahren ist es mit der Koalition zwischen SPÖ und ÖVP vorbei. Das wäre an sich keine Neuigkeit. Wie sich die Regierung jetzt ihrem Ende entgegenquält, ist aber doch mehr als bemerkenswert.

Letzter Sargnagel für die rot-schwarze Ehe war ein Gastbeitrag von Christian Kern am vergangenen Montag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der Regierungschef hielt dort ein Plädoyer für ein rotes Europa und für eine Abkehr von der Sparpolitik. Kerns Aufsatz las sich teilweise wie ein Mixtum Compositum aus den Thesen des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis und den Parolen von Sahra Wagenknecht, Galionsfigur der deutschen Oppositionspartei Die Linke.

Realwirtschaftlich sind die Aussagen von Christian Kern nicht sehr belastbar. Aber es ist keine rechnerische Frage, sondern eine ideologische. Etwas beliebig, aber grundsätzlich bloße Ideologie. Kerns Aufsatz war keine Panne. Es ist offensichtlich, dass Kern diese Debatte will. Und Kern soll sie haben. Kern wird dafür vom ganz linken Flügel in der SPÖ viel Zustimmung bekommen.

Problematisch daran ist allerdings, dass er seine Thesentour für ein rotes Europa als Bundeskanzler der Republik Österreich in Deutschland platziert hat. Nun muss Finanzminister Hans Jörg Schelling landauf, landab seinen Kollegen in Europa erklären, dass es sich dabei um die Privatmeinung von Kern handelt, jedoch nicht um Regierungslinie.

Das ist nur noch Schadensbegrenzung einer Regierung, die am Ende ist.

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