333 Jahre danach

Als Wien von den Türken befreit wurde

Österreich
12.09.2016 06:27

Vor allem Wiener Volksschulkinder lernen auch heute noch Geschichten über Kipferl, Tunnel und die Pummerin, mehr als 200 Denkmäler erinnern alleine in der Bundeshauptstadt im öffentlichen Raum an das Jahr 1683 und den Sieg des vereinten Entsatzheeres über die Belagerungstruppen der Türken. Der polnische König Jan Sobieski wird dafür in seinem Heimatland auch heute noch so hochgehalten, dass sogar einmal ein großer Kinofilm mit Mel Gibson und Robert De Niro über die historische Schlacht am Kahlenberg geplant war. Am Montag jährt sich das Ende der Zweiten Wiener Türkenbelagerung zum 333. Mal.

Zum historischen Rahmen: Von 14. Juli bis 12. September 1683 belagerte ein osmanisches Heer unter dem Befehl von Kara Mustafa Wien. Die türkischen Truppen gruben sich dabei tief in die Erde ein und versuchten über Tunnel in die Residenzstadt der Habsburger zu gelangen. Am 1. August wurde der Stephansdom während der Heiligen Messe von den Osmanen beschossen, tags darauf die Kapuzinerkirche bombardiert. Doch die Wiener Bevölkerung hielt dem Druck lange genug stand, bis das Entsatzheer mit Truppen des Heiligen Römischen Reiches, Polens, des Kirchenstaates und Venedigs zu Hilfe eilen konnte.

In den Morgenstunden des 12. September stürmten rund 60.000 Soldaten vom Kahlenberg auf die Stellungen der Belagerer zu. Nach bereits gut zwölfstündigem Kampf griff die Kavallerie unter dem Oberkommando von König Sobieski von den Höhen des Wienerwaldes her ein und leitete damit eine Generaloffensive der christlichen Streitmacht ein. Auch die eingeschlossenen Verteidiger von Wien begannen mit einem Ausfall und stürmten die Laufgräben der Türken. Das osmanische Heer wurde zu einem überstürzten Rückzug getrieben. Erst jenseits der Schwechat, rund zehn Kilometer von Wien entfernt, gelang es Kara Mustafa, einen Teil seiner Truppen zu sammeln und geordnet zurückzuführen.

Sieg leitet Gegenoffensive ein
Zuvor waren Österreich und Südosteuropa gegenüber den Türken jahrhundertelang in Verteidigungsstellung gewesen, nach 1683 konnten kaiserliche und Reichstruppen sowie die mit ihnen verbündeten Polen und Venezianer endlich zum Angriffskrieg übergehen. Noch 1683 wurde Gran (Esztergom) erobert, 1684 Pest, 1685 Neuhäusel (Novy Zamky) und Kaschau (Kosice), beide in der heutigen Slowakei, 1686 folgte Ofen (Buda), mit dem Sieg von Villany bei Mohacs 1687 und der Einnahme von Stuhlweißenburg (Szekesfehervar) 1688 war Ungarn fast gänzlich befreit. Belgrad wurde erstmals 1688 den Türken entrissen, ging aber zwei Jahre später wieder verloren. Denn viele kaiserliche und Reichstruppen, die zu dieser Zeit schon in den Bergen Serbiens und Bosniens kämpften, mussten an den Rhein verlegt werden, wo der französische König Ludwig XIV. den Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) provoziert hatte. Die erneut vordringenden Türken wurden erst 1691 von Markgraf Ludwig von Baden (dem "Türkenlouis") bei Slankamen (an der Mündung der Theiß in die Donau) geschlagen, 1692 Großwardein (das heutige Oradea) erobert.

Dann verlangsamte sich das Tempo des Vormarsches wieder, hauptsächlich wegen Führungsschwächen auf kaiserlicher Seite, bis 1696 Prinz Eugen den Oberbefehl übernahm. Er errang 1697 den entscheidenden Türkensieg bei Zenta, worauf eineinhalb Jahre später (26. Jänner 1699) der Friede von Karlowitz (das heutige Sremski Karlovce zwischen Novi Sad und Belgrad) geschlossen wurde: Ungarn mit Siebenbürgen mit Ausnahme des Banats sowie ein Großteil Kroatiens und Slawoniens fielen an Österreich, Polen erhielt Podolien, Venedig Morea (die Halbinsel Peloponnes) und Teile Dalmatiens.

Kara Mustafa "drittklassiger militärischer Feldherr"
Die Hauptursachen für die Niederlage der türkischen Angreifer sehen Wissenschaftler wie etwa der in Österreich geborene türkische Historiker Ilber Ortayli in der "schlechten Organisation" der Belagerung. Weiters sei Kara Mustafa zwar "ein erstklassiger Finanzmann", jedoch lediglich "ein drittklassiger militärischer Feldherr" gewesen. Einen Vorteil hätten die Verteidiger auch bei der Organisation ihrer Rückzüge gehabt, da diese schon lange ein wichtiger strategischer Aspekt in der römischen Militärtradition gewesen seien. Weitere Gründe für den Verlauf der Belagerung ortete Ortayli in der "schlechten Kommunikation" zwischen den türkischen Befehlshabern, die sich dann vor allem in der Schlacht am Kahlenberg - einem Schlüsselmoment - zeigte. Für die Habsburger bedeutete der Sieg eine Rückerlangung des Einflusses in Europa.

Kipferl, Pummerin und Mel Gibson: Das Erbe der Türkenbelagerung
Neben den politischen und militärischen Auswirkungen hat die Zweite Türkenbelagerung vor allem die kulturelle Entwicklung Wiens geprägt: So kam der Kaffee - und damit auch das weltberühmte Wiener Kaffeehaus - damals in unsere Breiten. Auch wenn die Entstehungsgeschichte nur der Legende nach mit der Türkenbelagerung zu tun hat: Demnach fanden Wiener während der Befreiung einige Säcke mit seltsamen Bohnen. Einer der Verteidiger, Georg Franz Kolschitzky, soll dann kurz darauf in der österreichischen Residenzstadt das erste Lokal für Freunde der edlen Bohne eröffnet haben. Tatsächlich wurde aber erst 1685 das erste Kaffeehaus in Wien eröffnet, und zwar vom Armenier Johannes Theodat. Der zuvor erwähnte Kolschitzky erhielt erst ein Jahr später die Lizenz zum Kaffeebrauen.

Ebenfalls ins Reich der Mythen muss man wohl die Geschichte vom Wiener Kipferl verbannen, das angeblich während der Belagerung dem Halbmond der feindlichen Flagge nachempfunden wurde. Beim Verzehr dieses Gebäckstücks soll so symbolisch ein Türke getötet worden sein. Historischen Beleg gibt es dafür allerdings nicht.

Sehr viel handfester ist allerdings ein weiteres Erbe der Türkenbelagerung: Aus dem Metall eroberter Kanonen wurde die alte Pummerin für den Wiener Stephansdom gegossen. Die Dimension der im Juli 1711 fertiggestellten Glocke war außergewöhnlich. Deshalb wurde vor dem Transport von der Gießerei in der nunmehrigen Burggasse zum "Steffl" auch extra die Festigkeit der unterirdischen Gewölbe entlang des Wegs überprüft. Am 15. Dezember 1711 wurde die gegossene Kriegsbeute geweiht, am 26. Jänner 1712 zur Rückkehr Kaiser Karls VI. von der Krönung erstmals geläutet. Zum letzten Mal zu hören war die "Josephinische Glocke" - so die Bezeichnung zu Beginn, im Volksmund hatte sich schon bald "Bummerin" oder "Pummerin" eingebürgert - zu Ostern 1937. In den Jahren des Nationalsozialismus blieb sie still. Am 12. April 1945 schließlich wurde die Pummerin ein Opfer des Dom-Brandes. Sie stürzte in die Tiefe und zerschellte. Am 26. April 1952 wurde die neu gegossene Pummerin in den Stephansdom gebracht.

Durchaus real, aber nicht zu realisieren war das Projekt des polnischen Unternehmers Mariusz Bialek, der 2006 einen Historienfilm über die Befreiung Wiens plante. Niemand geringerer als Mel Gibson sollte dabei die Rolle des polnischen Heerführers Sobieski übernehmen. Auch Robert De Niro war als Darsteller angedacht. Insgesamt hätten 60 Millionen Euro für das Projekt aufgebracht werden sollen.

Tatsächlich gedreht wurde ein anderer Film über die Schlacht um Wien, nämlich "September Eleven 1683" von einem polnisch-italienischem Team:

Die Kritik ging allerdings hart mit dem Machwerk ins Gericht. "Wenn König Jan Sobieski gewusst hätte, wie er in diesem Film dargestellt wird, wäre er bestimmt zu Hause bei seiner Maria geblieben", resümierte etwa die polnische Zeitschrift "Polityka" nach der Premiere im Jahr 2012.

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