"Extreme Propaganda"

Polen boykottieren öffentlich-rechtliche Medien

Medien
09.08.2016 10:55

Als sie Anfang des Jahres die Abendnachrichten einschalteten, glaubten viele Polen, sie hätten sich im Programm geirrt. Vor allem bei der Sendung "Wiadomosci" (Nachrichten) war der Einfluss der nationalkonservativen Warschauer Regierung nach einer umstrittenen Medienreform nicht zu übersehen.

(Bild: kmm)

"Alles war anders", erzählt eine 25-jährige Studentin aus Breslau (Wroclaw), die ihren Namen lieber nicht nennen will. "Es gab einen neuen Vorspann und lauter fremde Gesichter." Innerhalb kürzester Zeit waren zahlreiche Moderatoren entlassen und durch Journalisten rechtskatholischer und nationalkonservativer Medien ersetzt worden. "Die Veränderungen waren geradezu unheimlich", sagt sie.

Einfluss der Regierung ist "unverkennbar"
Auf Twitter machen viele Polen ihrem Ärger Luft, es sei "ein Schock", schreiben sie. Dass die Vorstände des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie beim Fernsehen TVP nun direkt von der Regierung ernannt werden, zeige sich am Programm. "Der Einfluss des 'guten Wandels' ist unverkennbar", kritisieren sie.

"Guter Wandel" ist das Motto der Partei Recht und Gerechtigkeit PiS, mit dem diese umfassend in staatliche Institutionen und in die rechtsstaatliche Ordnung eingreift. Die Medienreform werfe Fragen bezüglich der Pressefreiheit auf, kritisierte auch schon Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission.

Kritik an einseitiger Berichterstattung und Zensur
Die Vorwürfe gegen die Nachrichtensendung "Wiadomosci" reichen von einseitiger Berichterstattung bis zu Zensur. Bereits wenige Wochen nach Regierungsantritt der PiS sei verfälscht über regierungskritische Proteste berichtet worden, heißt es in einem Bericht aus dem Warschauer Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Demnach wurden Teilnehmerzahlen relativiert und Opposition und Regierungsgegner generell negativ dargestellt.

"Früher habe ich die Sendung geguckt, um eine andere Perspektive zu sehen, nun sehe ich dort eine andere Welt", twittert eine Polin. Die "Wiadomosci" betrieben "extreme Propaganda", klagt ein anderer Nutzer des Kurzmitteilungsdienstes.

Oppositionelle rufen zu "Wiadomosci"-Boykott auf
Einen internationalen Aufschrei gab es jüngst, als mahnende Worte von US-Präsident Barack Obama schlichtweg verdreht wurden. Er hatte während des Warschauer Nato-Gipfels im Juli Sorge um die Zukunft der Demokratie in Polen geäußert. "Wiadomosci"-Zuschauer bekamen dagegen zu hören, dass Obama guter Dinge sei. TVP provoziere und manipuliere, sagt Mateusz Kijowski, Leiter des oppositionellen "Komitees zum Schutz der Demokratie" (KOD). Sein Bündnis ruft in sozialen Medien zum "Wiadomosci"-Boykott auf.

Dass die Polen tatsächlich mit der Fernbedienung protestieren, legen die Einschaltquoten nahe. Im letzten halben Jahr verzeichneten die öffentlich-rechtlichen TV-Sender drastische Zuschauerrückgänge, wie Messungen des Instituts Nielsen Audience Measurement belegen. Die Werte des Senders TVP fielen sogar auf ein historisches Tief. Hart traf es auch "Wiadomosci": Seit Jänner verlor die Sendung den Angaben zufolge rund 1,5 Millionen Zuschauer. Die privaten Sender schnitten im Vergleich besser ab und führten demnach in den vergangenen Monaten vor allem mit ihren Nachrichtensendungen immer häufiger das Ranking an.

Staats-TV spricht von Manipulation bei Quotenmessung
Die Zahlen seien manipuliert worden, wirft Jacek Kurski, Chef von TVP, den Quoten-Messungen vor. Er drohte damit, die Erhebungen an ein anderes Institut abzugeben. "Ich streite nicht ab, dass ein Teil der Zuschauer, vor allem die mit liberalen Ansichten, sich von uns verabschiedet hat", sagt Kurski. Dafür sei die Zahl an konservativen Zuschauern gestiegen. Dass die staatlichen Medien neben Kritik auch Zuspruch ernten, zeigt sich ebenfalls bei Twitter. "Endlich sehen wir ohne Hindernisse, was in Polen passiert", schreibt etwa ein "Wiadomosci"-Fan.

Die polnische Studentin dagegen informiert sich inzwischen bei einem der kommerziellen Sender und vergleicht diesen mit den "Wiadomosci": "Man hat nicht den Eindruck, dass von den Ereignissen des gleichen Tages berichtet wird", sagt sie. Die junge Polin und ihre Familie hätten die Propaganda nicht länger ansehen können. "Aber ich muss immer daran denken, dass Millionen andere Menschen an das glauben, was dort berichtet wird."

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