"Krone"-Interview

Was ist in Erdogan gefahren, Herr Botschafter?

Österreich
06.08.2016 16:00

Österreich auf Konfrontation mit der Türkei: Im Interview mit Conny Bischofberger spricht Botschafter Mehmet Hasan Gögüs über Präsident Recep Tayyip Erdogan, den Konflikt mit der EU und seinen Abschied aus Wien.

Ein heißer Nachmittag im "La Piazzetta". Das Lokal liegt in jenem Teil des Wiener Naschmarktes, der ganz in türkischer Hand ist. Botschafter Mehmet Hasan Gögüs (62) wird von den drei Taskin-Brüdern begrüßt. Kaum hat er sich gesetzt, kommt schon die erste Sushiplatte. "Es gibt so viele Missverständnisse", beginnt er unser Gespräch und lässt vorsichtshalber sein eigenes Tonband mitlaufen. Noch bevor die Tintenfische und die Scampis vom Holzkohlengrill serviert werden, sind wir beim Thema Todesstrafe.

"Krone": Herr Botschafter, Sie haben letztes Wochenende persönlich interveniert, um eine Schlagzeile, die am Wiener Flughafen auf dem "Krone"-Nachrichtenlaufband zu lesen war, zu reklamieren ...
Mehmet Hasan Gögüs: Ja, aber wissen Sie, was die Schlagzeile war? Das war absolut gegen unsere Nation, gegen die Türkei und den türkischen Präsidenten, und das untergräbt unseren Tourismus, mitten am Flughafen. "Kommt nicht in die Türkei!"

"Krone": Das war nicht die Schlagzeile. Sondern: "Wer Urlaub in der Türkei macht, unterstützt Erdogan." Es war ein Zitat aus einer Meinungsumfrage.
Gögüs: Es war die Botschaft.

"Krone": Erkennen Sie nicht an, dass wir in Österreich Pressefreiheit haben?
Gögüs: Natürlich respektiere ich die Pressefreiheit, aber das war die Beleidigung des Präsidenten eines befreundeten Landes. Österreich und die Türkei sind in meinen Augen zwei befreundete Länder, auch wenn wir uns in unserer langen Geschichte einige Male auf dem Schlachtfeld gegenüberstanden, aber beispielsweise im Ersten Weltkrieg kämpften wir gegen einen gemeinsamen Feind Schulter an Schulter.

"Krone": Stichwort Erdogan: In Österreich und Deutschland haben Zigtausende für Ihren Präsidenten demonstriert. Was hat die türkische Politik bei uns verloren?
Gögüs: Hier liegt ein Missverständnis vor. Ich denke, jeder respektiert die Versammlungsfreiheit, genauso wie die Meinungsfreiheit. Diese Leute, die außerhalb der Türkei leben - die türkische Diaspora -, wollen ihre Zustimmung für die Fortführung der Demokratie in der Türkei zum Ausdruck bringen. Was ist falsch daran?

"Krone": Zum Thema Putsch kam in Köln sogar der Ruf nach der Todesstrafe, wie sie auch Erdogan ins Spiel gebracht hat. Ist das etwa in Ihren Augen richtig?
Gögüs: Sie müssen das verstehen. Die Emotionen kochen hoch, 246 Zivilisten haben ihr Leben verloren! Versetzen Sie sich einmal in die Rolle ihrer Väter, ihrer Frauen und ihrer Kinder. Sie wollen die Schuldigen bestraft sehen. Was unser Präsident gesagt hat, war nur, dass er es unterschreiben wird, sollte das Parlament die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen. Also wird es im Parlament debattiert werden, es wird Parteien dafür und dagegen geben und wenn keine erforderliche Mehrheit zustande kommt, weil ja unsere Verfassung geändert werden müsste, wird es eine Volksabstimmung geben.

"Krone": Sehen Sie darin kein Problem?
Gögüs: Wir sind uns unserer internationalen Verpflichtungen bewusst. Ich war Generaldirektor für Menschenrechte und wir haben die Todesstrafe abgeschafft, aber wie ich gesagt habe: Es wird debattiert werden.

Der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz liefert sich mit den türkischen Vereinen in Wien eine Schlacht. Am Donnerstag warf er der türkischen Botschaft in Wien und türkischen Vereinen vor, in Österreich Parteipolitik für Präsident Erdogan zu betreiben.

"Krone": Unser Außenminister Sebastian Kurz meinte, alle Leute, die türkische Innenpolitik nach Österreich schleppen, seien eingeladen, das Land zu verlassen.
Gögüs: Ich kann das nicht kommentieren, aber ich kann meine persönliche Meinung sagen. 300.000 Menschen türkischer Herkunft leben in Österreich, und von diesen sind 114.000 immer noch türkische Staatsbürger. Sie alle tragen zur Wirtschaft dieses Landes bei, Attila Dogudan und viele andere sind ein gutes Beispiel dafür. Sowohl ich als auch meine Generalkonsuln sagen der türkischen Gemeinschaft immer wieder, dass sie Deutsch lernen sollen. Das ist wichtig für sie, damit sie auch mehr erreichen können. Das bedeutet aber nicht, dass sie ihre Wurzeln vergessen müssen. Man kann stolz sein, ein österreichischer Staatsbürger zu sein, aber trotzdem seinen türkischen Wurzeln treu bleiben.

"Krone": Manche muslimische Vereine machen doch genau das Gegenteil von Integration - Stichwort islamische Kindergärten.
Gögüs: Es gibt viele muslimische Vereine, ich führe Dialog mit allen. Die islamischen Kindergärten operieren im Rahmen des österreichischen Gesetzes. Wenn etwas illegal ist, hat die österreichische Regierung aber natürlich jedes Recht, entsprechende Maßnahmen zu setzen. Aber wir sollten nicht alle über einen Kamm scheren.

"Krone": Viele Türken in Österreich sprechen nicht einmal Deutsch.
Gögüs: Alle Pädagogen sind sich einig, dass man eine Fremdsprache am besten dann lernt, wenn man die Muttersprache gut beherrscht. Aber unglücklicherweise ist Türkisch bis heute nicht Teil der Matura. Ich habe oft nach dem Grund gefragt, aber ich habe bis jetzt keine Antwort bekommen. Serbisch, Russisch, auch viele andere Sprachen werden angeboten, aber nicht Türkisch.

"Krone": Verstehen Sie, dass es bei uns nicht so gern gesehen wird, wenn die türkische Fahne geschwenkt wird?
Gögüs: Ich denke, das müssen wir entspannt sehen. Vor einem Monat gab es ja die Fußball-EM und es wurden in ganz Wien alle möglichen Nationalflaggen geschwenkt.

"Krone": Waren Sie selbst eigentlich auch bei der Erdogan-Kundgebung, bei der es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam?
Gögüs: In der Nacht des Staatsstreichs war ich in der Botschaft, wo eine friedliche Demonstration stattfand. Immerhin wohne ich ja auch dort. Vielleicht war sie nicht genehmigt, aber es war ein Uhr in der Nacht, da hätte man keine Genehmigung bekommen können. Bei einer anderen Demonstration kam es zu einem unglücklichen Vorfall, der scharf verurteilt werden muss, was die türkische Gemeinschaft auch getan hat. Es gibt aber noch einen weiteren Vorfall, da wurde meine Tourismus- und Kulturabteilung, die ein Teil meiner Botschaft ist, von PKK-Terroristen besetzt. Sie betraten das Gebäude, warfen zwei Mitarbeiter raus und hissten die Flagge der PKK, welche eine Terrororganisation wie der IS ist, und trotzdem gab es kaum eine Reaktion auf diesen Vorfall. So ist das.

"Krone": Seit dem Militärputsch befindet sich Ihr Land im Ausnahmezustand. Mehr als 18.000 Menschen wurden festgenommen, Zehntausende Mitarbeiter aus Ministerien, Richter, Staatsanwälte, Soldaten, Lehrer entlassen. Was ist in Erdogan gefahren?
Gögüs: Was ist am 15. Juli in der Türkei passiert? Es gab einen versuchten Militärputsch, der gescheitert ist. Aber in Wahrheit kann man gar nicht von einem Militärputsch sprechen. Ich bin 63 Jahre alt, ich habe drei Militärputsche in der Türkei erlebt, 1960, 1971 und 1980. Dieses Mal stand eine Terrororganisation dahinter, die FETÖ, die versucht hatte, die staatlichen Strukturen zu infiltrieren, das Justizsystem, die Polizei und das Militär. Und es war der blutigste Staatsstreich in der Türkei bis jetzt, 246 Zivilisten wurden getötet, die sich vor die Panzer gestellt haben. Unser Parlamentsgebäude, welches von einem österreichischen Architekten, Clemens Holzmeister, entworfen wurde, wurde von F16-Kampfflugzeugen bombardiert. Die Panzer waren auf der Straße und auf der Bosporus-Brücke, die blockiert wurde. Der Chef des Generalstabes der türkischen Streitkräfte wurde in Geiselhaft genommen. Es gibt die falsche Meinung, dass es ein säkularu etablieren. Und dann wundert man sich über die Reaktion unseres Präsidenten.

Man sieht dem Botschafter an, dass er innerlich empört ist, wenn "sein" Präsident kritisiert wird. Die Bilder von nackten, gefesselten Putschisten, zusammengepfercht in Lagern, will er nicht kommentieren. Mitte der Woche, nach unserem Interview, spitzt sich die Lage in der Türkei noch weiter zu. Erdogan fordert von den USA die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen - Ankara macht ihn für den gescheiterten Putsch verantwortlich.

"Krone": Können Sie die Maßnahmen Erdogans nach dem Putsch noch unterstützen?
Gögüs: Warum beziehen Sie sich nur auf den Präsidenten? Es gibt schließlich auch noch die türkische Regierung, und wie gesagt, es ist die Richtlinie der Regierung. Diese muss jetzt untersuchen, wer Teil dieser Terrororganisation ist und wer am Staatsstreich beteiligt war. Die FETÖ-Organisation hat die letzten 30 Jahre an diesem "Coup d'Etat" gearbeitet. Sogar mein Ministerium wurde unterwandert. Sie haben Leute in alle Teile der Regierung eingeschleust.

"Krone": Aber 3000 Lehrer können ja nicht alle Terroristen sein?
Gögüs: Das bedeutet ja nicht, dass alle diese 3000 Lehrer ins Gefängnis müssen. Für den Moment wurden sie suspendiert, es laufen Untersuchungen, und jene, die keine Verbindung zu dieser terroristischen Organisation haben und nicht daran teilgenommen haben, brauchen keine Angst zu haben. Es gibt Gerichte, und dann gibt es den türkischen Verfassungsgerichtshof, und schließlich ist die Türkei Teil der Menschenrechtskonvention. Aufgrund des Ausnahmezustands sind momentan einige dieser Rechte aufgehoben. 750 Soldaten wurden bereits wieder freigelassen, weil festgestellt wurde, dass sie nicht gewusst haben, was vor sich geht. Manchen wurde von ihren Kommandanten gesagt, dass es eine Übung sei. Nun ist bewiesen, dass sie unschuldig sind, und sie dürfen heimgehen.

"Krone": Auch in Österreich ist die Lage eskaliert. Zwei kurdische Lokalbesitzer mussten wegen Gewaltandrohung untertauchen, auf Facebook gibt es jeden Tag Morddrohungen.
Gögüs: Niemand unterstützt die Anwendung von Gewalt oder illegalen Aktivitäten. Das muss verurteilt werden. Ich würde Ihnen raten, sich die Kriminalstatistiken des Innenministeriums anzuschauen. Auf Türken ist nur ein sehr geringer Anteil zurückzuführen. Und Gott sei Dank gab es auch keinen großen Terroranschlag in Österreich. Türken tendieren nicht zum Terrorismus. Sicher gibt es Provokationen, aber ich halte sie nicht für eine ernst zu nehmende Bedrohung.

Auch Bundeskanzler Christian Kern wurde auf Facebook von radikalen Erdogan-Fans mit Mord bedroht. Am Mittwochabend meinte Kern in der "ZiB 2", dass der EU-Beitritt der Türkei nur noch eine "diplomatische Fiktion" sei. Der türkische Außenminister bezeichnete seine Aussagen als "hässlich".

"Krone": Es gibt aktuell eine Diskussion über den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Hat sich das die Türkei selber zuzuschreiben?
Gögüs: Ich war stellvertretender Minister für Europäische Angelegenheiten in der Türkei und kenne unsere Beziehungen zur EU sehr genau. Wir haben die letzten 55 Jahre an der Tür der Europäischen Union angeklopft, es gibt kein anderes Land, welches sich so lange um eine EU-Mitgliedschaft bemüht hat. Es gibt Leute, die sagen, dass die Türkei sich von der EU entfernt. Ich frage Sie: Ist es wirklich die Türkei, die sich von der EU entfernt, oder ist es die EU, die sich mehr und mehr entfernt? Beispiel Visa-Erleichterung: Es gibt Länder - in Südamerika und am Balkan - , die überhaupt keine Beziehung zur Europäischen Union haben und deren Bürger trotzdem Reisefreiheit genießen. Die Türkei ist ein Beitrittskandidat - und trotzdem müssen unsere Bürger Schlange stehen?

"Krone": Überrascht Sie das wirklich, wenn der Präsident über die Todesstrafe nachdenkt und die Bedingung für die Visafreiheit - die Aufhebung der Terrorgesetze - nicht erfüllt?
Gögüs: Wir sind uns bewusst, dass das ein Problem für die EU ist, aber ich denke, in dieser Situation erscheinen Drohungen nicht unbedingt hilfreich. Ich glaube nicht, dass Partner so miteinander kommunizieren sollten. Momentan brauchen wir Unterstützung von unseren europäischen Verbündeten, denn eine stabile Türkei ist nicht nur sehr wichtig für die Region, sondern auch für Europa und die ganze Welt.

"Krone": An welche Unterstützung denken Sie?
Gögüs: Die türkische Demokratie war einer großen Gefahr ausgesetzt und wir hätten uns gewünscht, dass europäische Außenminister in die Türkei gekommen wären und ihre Solidarität und ihr Beileid für jene, die bei der Verteidigung der Demokratie ums Leben gekommen sind, bekundet hätten. Leider ist das nicht passiert. Was die Visapflicht angeht, gibt es ein sehr großes Missverständnis. Diese Debatte begann schon lange vor der Flüchtlingskrise.

"Krone": Die Türkei droht jetzt mit einem Platzen des Flüchtlingsdeals. Das ist auch nicht, wie man kommunizieren sollte.
Gögüs: Es gibt momentan drei Millionen Syrer, die in der Türkei leben, in Camps und außerhalb. Ich komme aus einer Stadt namens Gaziantep, nur fünf Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. In der Nachbarstadt ist die Anzahl der Syrer mittlerweile größer als die der Einheimischen. Wir haben bis jetzt mehr als acht Milliarden Euro aus unserem Budget in die Flüchtlinge investiert. Unglücklicherweise wird nicht wertgeschätzt, was die Türkei bis jetzt gemacht hat. Der Flüchtlingsstrom nach Griechenland ist stark zurückgegangen.

"Krone": Herr Botschafter, Präsident Erdogan hat gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann Strafanzeige wegen eines Schmähgedichtes eingebracht. Sind Sie da bei ihm?
Gögüs: Haben Sie das gesehen? Zwischen Kritik und Beleidigung gibt es einen Unterschied.

"Krone": Das war Satire. Es fällt bei uns unter "Freiheit der Kunst".
Gögüs: Ich könnte das nicht einmal meiner Tochter zeigen!

"Krone": Dann haben Sie das neue Cover der Satirezeitschrift "Titanic" wohl noch nicht gesehen?
Gögüs: Zeigen Sie es mir besser nicht (lacht). In manchen Ländern wird die jeweilige Landesflagge sogar auf Unterwäsche gedruckt. Aber für uns ist das unvorstellbar! Das sind unsere Werte, man sollte sie respektieren.

"Krone": Wir haben dieses Interview in Englisch geführt. Haben Sie nie daran gedacht, Deutsch zu lernen?
Gögüs: Sie treffen einen wunden Punkt. Ich muss gestehen, das hätte ich bereits in den 90ern tun sollen, als ich das erste Mal hier in Österreich war. Jetzt ist meine Zeit als Botschafter schon bald abgelaufen. Ich bin zum türkischen Botschafter in Portugal ernannt worden. Ich werde Wien wahrscheinlich schon im September verlassen müssen.

"Krone": Woran werden Sie sich mit Wehmut erinnern?
Gögüs: An die klassische Musik. Ich hatte das Privileg, eine Botschafterloge im Musikverein zu haben. Und natürlich an das gute Essen. Das Wiener Schnitzel werde ich bestimmt vermissen.

Seine Karriere
Geboren am 23.10.1953 in Gaziantep, Türkei. Studium an der Universität Ankara, seit 1977 Diplomat, u.a. in Neu-Delhi, London, Griechenland, bei den Vereinten Nationen und bei der OSZE. Türkischer Botschafter in Österreich seit 2013. Gögüs ist verheiratet und hat eine Tochter.

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