IS-Terror in Kirche

Warum lässt Gott das zu, Herr Bischof?

Österreich
30.07.2016 17:07

Mit der Enthauptung eines Priesters in der Normandie hat der islamistische Terror eine neue Dimension erreicht. Mit der "Krone" spricht der "fröhliche Bischof" Wilhelm Krautwaschl über die traurige Weltlage.

Facebook, WhatsApp, Smartphone: Der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl (53) ist auch in Krakau erreichbar. Fotos vom Katholischen Weltjugendtag zeigen ihn lachend mit Selfie-Stick in der Hand und fröhlichen katholischen Jugendlichen im Hintergrund. "Auch hier sind die Sicherheitsvorkehrungen ernorm", erzählt er beim Telefoninterview mit der "Krone". Der Weltjugendtag als mögliches Terrorziel - und Hunderttausende betende und tanzende Gläubige als Kontrast zu den jungen Dschihadisten, die mit ihrem mörderischen Wahn die Welt in Atem halten…

"Krone": Herr Bischof, Dominique Lebrun, der Erzbischof von Rouen, meinte nach dem tödlichen Anschlag auf die Kirche in seiner Diözese: "Ich schreie zu Gott." Was sagen Sie?
Wilhelm Krautwaschl: Ich bin schockiert und sprachlos. Jedes Wort zu dieser entsetzlichen Gewalt wäre ein Wort zu viel.

"Krone": Warum? Erstmals hat ein islamistischer Anschlag in einer katholischen Kirche stattgefunden, an einem heiligen Ort.
Krautwaschl: Erstmals vor unserer Haustür, würde ich sagen. In anderen Weltgegenden - denken wir nur an die Lage in Syrien, wo Kämpfer des Islamischen Staates Christen verschleppen und sie als menschliche Schutzschilde missbrauchen - geht das schon jahrelang so, nur findet das weit weg von uns statt. Weltweit werden laufend Priester und auch Ordensfrauen getötet.

"Krone": Würden Sie zustimmen, dass es sich hier um eine neue Dimension des Terrors handelt?
Krautwaschl: Ich würde sagen, dass Europa angesichts dieser Anschläge vor neuen Herausforderungen steht.

"Krone": Warum lässt Gott sowas zu?
Krautwaschl: Ja… Wo ist Gott, wenn unschuldige Menschen aufgrund von Gewalt, Terrorismus und Kriegen sterben? Der Papst sagt, und da kann ich mich nur anschließen, dass es Fragen gibt, auf die es keine menschliche Antwort gibt. Wir können nur auf Jesus schauen und ihn fragen. Er sagt uns: "Gott ist in ihnen, er leidet mit ihnen."

"Krone": Nach dem Mord an dem französischen Priester wurde über Sicherheitsmaßnahmen für Gotteshäuser diskutiert. Was halten Sie davon?
Krautwaschl: Gar nichts. Ich habe schon einige Male Bombenalarme bei Gottesdiensten miterlebt - einmal bei einer Fernsehübertragung, dann bei einer Messe im Grazer Dom. Es hat auch einmal einen Bombenalarm in Köln gegeben - beim Papstbesuch zum Weltjugendtag. Ich glaube daran, dass der Herrgott die Kirchen bewacht. Und ich glaube an das ewige Leben…

"Krone": Haben Sie gar kein komisches Gefühl oder Angst?
Krautwaschl: Nein, wieso sollte ich? Und stellen Sie sich vor, wie das wäre, wenn wir in die Kirche gehen und vorher durchsucht werden. Ich möchte meinen Glauben bekennen und feiern. Niemand soll uns daran hindern.

"Krone": Handelt es sich bei dem, was momentan passiert, um einen Religionskrieg?
Krautwaschl: Was ist ein Religionskrieg? Ich glaube, dass Religion hier vorgeschoben und missbraucht wird. Es ist alles weit komplexer, als dass einfache Antworten dem gerecht werden könnten.

"Krone": Was ist schlecht an einfachen Antworten?
Krautwaschl: Sie geben vermeintlich Sicherheit in einer komplizierten Situation. Aber unsere Weltlage ist komplex, und bei einer komplexen Situation ergeben sich laufend neue Fragestellungen. Schwarz-Weiß-Malerei ist für unsere bunte Welt nicht geeignet.

"Krone": Auch wenn Religion missbraucht wird: Sogar Kardinal Schönborn hat gesagt, dass der Terror zurzeit ein islamisches Etikett hat, weil die Angreifer eben nicht Christen oder Menschen anderer Religionen sind, sondern Muslime.
Krautwaschl: Trotzdem dürfen wir nicht dem Islam die Schuld geben, sondern dem Islamischen Staat. Er wirbt junge Dschihadisten an, um in Europa Terror zu verbreiten. Der IS bedient sich lediglich der Religion. Und nicht alle Anschläge gehen auf das Konto des IS. Es gibt auch Amokläufer, man kann nicht alles in einen Topf schmeißen. Wir müssen vorsichtig sein mit Verallgemeinerungen.

"Krone": Sehen Sie die Gefahr, dass die Terroranschläge den Frieden in Europa gefährden?
Krautwaschl: Der Friede ist beständig gefährdet. Aber es macht mir Sorgen, dass in vielen Bereichen das "Miteinander" nicht mehr zählt, dass Menschen zunehmend nicht mehr zueinander finden. Wenn ich lese, was in der virtuellen Welt alles gedacht und geschrieben wird, dann wird mir manchmal übel.

"Krone": Können Sie nicht verstehen, dass so barbarische Taten wie in Frankreich bei den Menschen Hass und Rachegefühle auslösen?
Krautwaschl: Das mag schon sein, aber wir haben Gott sei Dank in Jesus Christus ein Beispiel, er ist immerhin gekreuzigt worden und hat somit die Spirale der Gewalt durchbrochen. Auch Mahatma Gandhi ist ein Beispiel dafür, dass gewaltloser Widerstand eine viel größere Kraft ist als Rache und Gegengewalt. Ich habe den Gandhi-Film als Jugendlicher einige Male gesehen und war fasziniert. Der Kardinal hat das schön gesagt: Gerade nach Ereignissen wie in Rouen müssen wir als Christen die Spirale des Hasses durchbrechen.

"Krone": Geben Sie uns eine Anleitung.
Krautwaschl: Anfangen tut es immer bei mir persönlich. Wie rede ich über den anderen? Wie denke ich über den anderen? Wie schreibe ich über den anderen? Der Weltjugendtag, bei dem ich gerade bin, ist ein schönes Beispiel. Da feiern Hunderttausende Jugendliche ihren Glauben mit Fahnen, Sprechchören, Jubelgesängen - zig Sprachen, zig Nationen. Da weht zum Beispiel die israelische Fahne neben der palästinensischen, aber ohne dass irgendwelche Differenzen spürbar wären. Das ist eine Wirklichkeit, für die es sich einzusetzen lohnt. Das gilt auch in der Flüchtlingsfrage. Wir dürfen als Christen das Miteinander nicht verlieren.

"Krone": Stichwort Flüchtlinge: Ist es nicht nachvollziehbar, dass die Bevölkerung misstrauischer wird, wenn einzelne Flüchtlinge sogar Attentate verüben?
Krautwaschl: Ich sehe die Gefahr des Generalverdachts. So wie seinerzeit bei der Missbrauchskrise in der katholischen Kirche. Da wurde auch auf alle Priester geschielt, nicht nur auf jene, die sich schuldig gemacht haben.

"Krone": Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat sogar gemeint, jeder Flüchtling sei ein potenzieller Terrorist.
Krautwaschl: Das hieße dann auch, dass jeder Ungar ein potenzieller Terrorist ist und jeder Österreicher. Solche Aussagen gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch bei uns gibt es sexuelle Übergriffe, auch bei uns gibt es Kriminalität. Wir sollten den Blick auf das Ganze nicht verlieren, auf die Probleme unserer Zeit. Arbeitslosigkeit, Pflegenotstand. Die Migration ist nicht unser größtes Problem.

"Krone": Aber unsere größte Herausforderung?
Krautwaschl: Ja, vielleicht. Denn alles, was uns fremd ist, ist eine Herausforderung. Und je nachdem, wie sattelfest ich in meinem Glauben bin, desto offener gehe ich auf die anderen Menschen zu. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Sehnsucht nach Schutzzäunen deshalb so groß ist, weil wir selber nicht wissen, wer wir sind und was uns ausmacht. Heimatliebe und Patriotismus darf nicht andere schlechtmachen und ausschließen.

"Krone": Sie sind jetzt ein Jahr im Amt. Macht es Spaß, Bischof zu sein?
Krautwaschl: Lacht. Es ist eine schöne Aufgabe, für die Menschen da zu sein. Ob ich das jetzt als Bischof bin, als Priester oder als Christ, ist egal. Aber wenn der Papst mir zutraut, Bischof zu sein, danr beten Sie im Moment?
Krautwaschl: Um Frieden, um ein Miteinander unter den Menschen, in der Gesellschaft. Darum, dass wir auch angesichts von Terror im Herzen Christen bleiben.

Seine Karriere
Geboren am 5. März 1963 in Gleisdorf in der Steiermark, sein Vater ist Bestatter. Wilhelm Krautwaschl studiert Theologie und wird 1990 zum Priester geweiht. Seit 2006 begleitet er junge Menschen im Grazer Augustinum. Am 14. Juni 2015 wird er zum 58. Bischof der Diözese Graz-Seckau geweiht. Aufgrund seines Humors und seiner Weltoffenheit wird er als "fröhlicher Bischof" bezeichnet. Krautwaschls Wahlspruch lautet "Gott ist die Liebe".

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