Erdogan-Kritiker

Fürchten Sie um Ihr Leben, Herr Dönmez?

Österreich
22.07.2016 17:05

Morddrohungen gegen den türkischstämmigen Efgani Dönmez! Im Interview mit Conny Bischofberger spricht der streitbare Ex-Politiker (die Grünen haben ihn 2015 aus ihrer Partei verbannt) trotzdem Klartext: über nationalistisch-islamistische Gruppierungen und ihre Hetze, über Fördergelder der Stadt Wien für türkische Propaganda und "One-Way-Tickets" für österreichische Erdogan-Soldaten.

Wir treffen uns im Café Westend gegenüber dem Wiener Westbahnhof, sein Zug zurück nach Linz geht in einer Stunde. Efgani Dönmez hat gerade eine Info der Grün-Politikerin Berivan Aslan auf sein iPhone bekommen. Es ist eine von vielen Morddrohungen gegen gemäßigte Muslime wie sie und Dönmez. "Eines Tages werden alle, die der türkischen Fahne nicht den notwendigen Respekt entgegenbringen, diese anerkennen. Entweder liebend oder SS." Er stockt und erklärt, dass das auf Türkisch "bis Sie gefickt werden" bedeute. "Wer diesem Land, wo er sein täglich Brot verzehrt, verräterisch gegenübertritt, wird von einer Patrone dieses Landes auch niedergestreckt." Zeitgleich wird Außenminister Sebastian Kurz auf Facebook als "Hundesohn" beschimpft, der "es" noch bereuen werde...

Nachdem in der Türkei die Lage außer Kontrolle geraten ist, drehen auch in Österreich einige Gruppen durch. Dönmez kennt sie - sie haben ihn nicht das erste Mal im Visier. Trotzdem ist er bereit, über alles offen zu reden. "Nach unserem Gespräch wird das Thema Polizeischutz für mich wohl wieder aktuell werden", meint er, und in seinem freundlichen Gesicht machen sich ein paar Sorgenfalten breit.

"Krone": Herr Dönmez, der Ausdruck "Lieblingstürke" in Michael Jeannées Kolumne hat Ihnen nicht gefallen. Wie soll man Sie denn bezeichnen?
Efgani Dönmez: Ich lebe seit über 40 Jahren in Österreich und habe für dieses Land, wie ich glaube, viel geleistet. Deshalb bin ich zu 100 Prozent Österreicher, der seine türkische Herkunft weder verleugnen noch ablegen muss. Ich sehe sie vielmehr als Bereicherung. Aber ich möchte nicht über Herkunft oder Religionszugehörigkeit definiert werden.

"Krone": Okay, dann sprechen wir von Ihrem Herkunftsland, der Türkei. Wir haben Bilder von zusammengepferchten halbnackten Putschisten gesehen, wir haben gehört, dass Erdogan die Todesstrafe überlegt, dass er Lehrer entlassen hat. Bei welcher Schreckensmeldung sind Sie am meisten zusammengezuckt?
Dönmez: Da gab es kein einzelnes Zucken, das war eher ein epileptischer Anfall. Wo Unrecht passiert, kann man schließlich nicht wegschauen und still sein. Das Schlimme ist: Mit diesem Unrecht hat Erdogan seine Macht einzementiert. Und diesem Mann hat die EU 400 Millionen Euro für den Ausbau der Rechtsstaatlichkeit gegeben.

"Krone": Hat Erdogan die EU benutzt?
Dönmez: Ja, denn er hatte nie die Intention, dass die Türkei der Europäischen Union beitritt. Erdogan führt die Türkei nicht an Europa heran, sondern eher an Saudi-Arabien und Katar. Wir müssen endlich begreifen, dass mit Islamisten keine Demokratie zu machen ist! Es gibt kein einziges muslimisches Land, wo das funktioniert. Man braucht also gar nicht zu warten, bis Erdogan die Todesstrafe einführt, dieses Land hat unter seinem Regime in der EU nichts verloren.

"Krone": Was soll aus dem Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei werden?
Dönmez: Die EU und die Türkei brauchen einander gegenseitig, deshalb muss es trotzdem eine Partnerschaft geben.

"Krone": Warum hat dieser Mann dann so viele Anhänger?
Dönmez: Weil er mit seiner Politik - und das muss man ihm zugestehen, auch wenn es auf Pump geschehen ist - einer sehr armen Bevölkerungsschicht zu Wohlstand verholfen hat. Dafür ist ihm die Mittelschicht sehr dankbar. Erdogan bietet ja jetzt auch syrischen Flüchtlingen die türkische Staatsbürgerschaft an, aber nicht aus humanitären Gründen! Sondern weil er damit seine Umvolkung vorantreibt. Er siedelt die Syrer gezielt in Regionen an, wo sie dann die Minderheiten vertreiben werden. Das ist seine ganz gezielte Politik.

"Krone": Auch in Österreich sind 4000 Menschen für Erdogan auf die Straße gegangen, wie erklären Sie sich das?
Dönmez: Das ist unfassbar, nicht nachvollziehbar. Diese Bilder führen zu einer weiteren Entfremdung zwischen Österreichern und Migranten, insbesondere zwischen den türkischstämmigen. Man kann es diesen Leuten aber gar nicht übel nehmen, denn unsere Politik ermöglicht es ihnen ja. Hier wird das Vereinsrecht bewusst missbraucht und umgangen. Es kann nicht sein, dass unser Vereinsrecht für politische Propaganda aus dem Ausland zweckentfremdet wird.

"Krone": Ist den Menschen, die da auf die Straße gehen, bewusst, dass sie sich das in der Türkei niemals erlauben könnten?
Dönmez: Denen ist vollkommen klar, dass sie hier in Österreich Rechte und Freiheiten genießen, die sie so in ihren Herkunftsländern nicht haben. Die falsche Toleranz, die wir diesen Gruppierungen entgegenbringen, richtet sich letztendlich gegen uns.

"Krone": Wer ist "wir"?
Dönmez: Allen voran die Sozialdemokratie, insbesondere in Wien. Aber auch die Grünen haben sehr viel verschlafen. Hier machen sich Vereine - Moslembrüderschaft, Milli Görüs, ATIB, UETD usw. - breit, die zu einer massiven Spaltung und Polarisierung der Bevölkerung beitragen. Jetzt stehen sich einige dieser Gruppen sogar feindlich gegenüber, sodass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen auf Wiens Straßen kommt. Das gefährdet unseren inneren Zusammenhalt, da braucht es ganz klare Worte.

"Krone": Reichen Worte?
Dönmez: Nein. Die Politik muss endlich aufhören, alles schönzureden, und stattdessen handeln. Aber unsere Politiker sind auf einem Auge blind. Und auf dem anderen haben sie schon den Grauen Star (er zwingt sich zu einem Lächeln). Sonst könnte es nicht sein, dass Bundeskanzler Kern reaktionäre Islamverbände zu sich lädt, die eigentlich das Problem sind. Da mutieren die Brandstifter zu Feuerlöschern. Statt die aufgeklärten Stimmen zu unterstützen und zu stärken, ist man mit Gruppierungen aus dem AKP-Lager ganz dick verhabert.

"Krone": Was müsste geschehen?
Dönmez: Erstens: genau untersuchen, wie diese Gruppen organisiert sind, wer die handelnden Akteure sind, von wem sie finanziert sind. Zweitens: das Vereinsrecht adaptieren. Drittens: bei Verlängerung und Erteilung von Aufenthaltstiteln und Verleihung der Staatsbürgerschaft enger mit den untersuchenden Behörden kooperieren. Die Politik muss endlich die Spreu vom Weizen trennen.

"Krone": Sie haben 2013 gesagt: 5000 "One-Way-Tickets", und keiner würde diesen Leuten nachweinen.
Dönmez: Ja, da habe ich einen großen Fehler gemacht.

"Krone": Sind es mittlerweile mehr geworden?
Dönmez: Es waren schon damals mindestens 15.000. Und heute wären es noch viel mehr. Bei den letzten türkischen Nationalratswahlen waren 90.000 aus Österreich wahlberechtigt, 60.000 haben teilgenommen, davon sind 60 bis 70 Prozent aus dem Erdogan-Lager. Ganz ehrlich: Wer sein nationalistisch-islamistisches Weltbild pflegt und sich hier nicht zu Hause fühlt, soll in die Türkei zurück. Wiederschaun! Diese Leute können ja Soldaten Erdogans werden, der braucht jetzt eh genügend Soldaten. Also sollen sie uns den Gefallen tun und unser schönes Österreich verlassen.

"Krone": Haben wir in Österreich ein Türken-Problem?
Dönmez: Wir haben kein Türken-Problem, wir haben ein Problem mit nationalistisch-islamistischen Gruppierungen. Und diese 15.000 bis 20.000 dürfen nicht alle 300.000 aus der Türkei Stammenden in Geiselhaft nehmen. Schauen Sie unsere Frauenhäuser an! Überwiegend wohnen hier muslimische Frauen, nach Gewalt und Zwangsverheiratung. Hier haben wir gewaltige Fehlentwicklungen und dazugehörige Scheindiskussionen - Stichwort islamische Kindergärten. Es ist auch eine Realität, dass verschleierte Frauen eben nicht leicht Arbeitsplätze bekommen. Und dann fordern die Islamverbände, dass die Gesellschaft sich ändern muss. Nein! Die Sie mittlerweile Außenminister Sebastian Kurz recht geben, der hier auch eine sehr klare Haltung hat?
Dönmez: Mir ist es egal, aus welcher politischen Richtung etwas kommt, mir geht es um Österreich. Da ist es mir egal, ob es aus dem ÖVP-, FPÖ- oder aus dem linken und grünen Lager kommt. Nur leider Gottes kann man gegenwärtig keine konstruktiven und sinnvollen Haltungen mehr aus dem linken Lager erwarten.

"Krone": Wären Sie gerne Integrationsminister?
Dönmez: Ich glaube, dass ich die notwendige Erfahrung und den Durchblick und auch die politische Kenntnis hätte, und könnte mir das durchaus vorstellen.

"Krone": In Deutschland ist Cem Özdemir Grünen-Chef. Neidisch?
Dönmez: Die deutschen Grünen sind immer hinter ihm gestanden - das war bei mir und den österreichischen Grünen nicht so. Mittlerweile habe ich einen Humor entwickelt, mit dem sich alles aus einer gewissen Distanz betrachten lässt.

"Krone": Wäre nicht eine Entschuldigung fällig?
Dönmez: Ich brauche das nicht für mein Ego.

"Krone": Ihre mutigen Worte gefallen nicht allen. Werden Sie auch bedroht?
Dönmez: Ja. Ich stand 2013 mehrere Wochen unter Polizeischutz. Jetzt gibt es wieder massive Drohungen und Anfeindungen. Ich habe entsprechende Vorkehrungen getroffen. Geheimnummer, ich nehme keine anonymen Anrufe mehr entgegen, ich habe Hunderte Leute in den sozialen Netzwerken blockiert. In einem Fall ist es zu einem Verfahren gekommen, bei dem ich Diversion angeboten habe.

"Krone": Sie werden mit Mord bedroht und setzen sich mit so jemandem noch an einen Tisch?
Dönmez: Genau. Statt auf Geld- oder Gefängnisstrafe zu pochen, habe ich ihm erklärt, wie sich sowas anfühlt mit zwei kleinen Kindern zu Hause. Es war das Beste, was ich machen konnte, denn dieser Mann - ein Österreicher mit türkischer Herkunft - hat verstanden.

"Krone": Was steht in den Drohungen?
Dönmez: Dass ich ein Vaterlandsverrräter sei und islamophob, aber ich bin Österreicher! Das ist genau die Strategie, die in der Türkei gegen Andersdenkende gefahren wird. Sie bereitet den Nährboden für Gewalt, und der Mob erledigt dann die Drecksarbeit. In Österreich haben in der türkischen Community derzeit viele Leute Angst. Da wird offen aufgerufen, in bestimmten Geschäften nicht mehr einzukaufen. Ich meine, das kennen wir noch aus anderen Zeiten in Österreich, aber das passiert tagtäglich! Auch in türkischen Zeitungen. Lesen Sie mal Yeni Hareket. Da wird extrem gehetzt, und dann wird so ein Medium von der Wiener Lokalpolitik auch noch unterstützt. Schauen Sie einmal, wie viele Inserate dort vom Wohnbaustadtrat geschaltet werden.

"Krone": Haben Sie derzeit Polizeischutz?
Dönmez: Nein, aber nach unserem Gespräch wird das Thema wohl wieder aktuell werden. Vor einem Jahr wurde an meinem Fahrzeug eine Manipulation durchgeführt. Alle Schrauben des linken Rades waren gelockert, nur eine einzige Schraube hat den Reifen noch gehalten, sonst hätte ich einen schweren Verkehrsunfall gehabt.

"Krone": Fürchten Sie um Ihr Leben?
Dönmez: Nein. Weil das ist genau das, was diese Leute erreichen wollen. Wenn ich in die Knie gehe, dann haben sie ihren Sieg. Nicht mit mir.

"Krone": Fühlen Sie sich unterstützt?
Dönmez: Leute, die eine aufgeklärte, säkulare Einstellung haben, bekommen null Unterstützung! Wir müssen froh sein, wenn uns keine Prügel vor die Füße gelegt werden. Schauen Sie, was mit mir passiert ist.

"Krone": Sie wurden aus der Politik verbannt...
Dönmez: Ich wurde ins rechte Eck gestellt. Als Rassist haben sie mich bezeichnet, als Sexist, als islamophob. Darum bin ich in keiner politischen Funktion mehr, ich mache das alles nur noch ehrenamtlich, bekomme keinen Cent.

"Krone": Würden Sie wieder in die Politik zurückkehren?
Dönmez: Wenn ich gerufen werde und man mich braucht, dann gerne. Aber nicht, um eine Funktion zu haben und einen Sitz warmzuhalten, sondern um etwas zu verändern. Denn noch ist es nicht zu spät.

Zur Person
Geboren am 30. Oktober 1976 in Kangal, Türkei. Sein Vater, der als Gastarbeiter nach Österreich kam, holt "Effi" und dessen Mutter nach, als der Sohn drei Monate alt ist. Dönmez studiert Konfliktmanagement und Mediation, arbeitet als Sozialarbeiter und Flüchtlingsbetreuer. 2000 geht er in die Poliitik, 2015 verbannen ihn die Grünen aus ihrer Partei. Dönmez ist verheiratet und hat zwei Kinder, sechs und acht Jahre alt.

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