"Krone"-Interview

Bleibt Österreich Insel der Seligen, Herr Kurz?

Österreich
16.07.2016 20:18

Terror in Nizza, Putschversuch in Ankara. Im Interview mit Conny Bischofberger spricht Außenminister Sebastian Kurz über Politik und Gefühle, die Bedrohung im eigenen Land und seinen dringenden Appell an die Erdogan-Fans in Österreich.

Rufen nicht Sie ihn an, er ruft Sie an! Der Sprecher des Außenministers hat arrangiert, dass sein Chef sich Samstagmittag aus dem Nordirak melden wird. "Grüß Gott, hier spricht Sebastian Kurz", sagt um 12.30 Uhr eine freundliche Telefonstimme. Er sei gerade aus einem Flüchtlingslager an der kurdisch-syrischen Grenze in sein Hotel zurückgekommen, erzählt der Minister, und müsse jetzt sowieso auf den Heimflug warten, weil der Luftraum über der Türkei womöglich gar nicht passierbar sei. Nach dem Interview dann der Supergau: Auf dem Tonband ist nur ein Rauschen. Kurz nimmt's gelassen und meldet sich noch einmal. Er führt das Interview genauso freundlich ein zweites Mal.

"Krone":Herr Minister, als in der Nacht auf Freitag ein tunesischer Amokfahrer Familien über die Strandpromenade von Nizza jagte, waren Sie noch in Wien. Haben Sie daran gedacht, Ihre Reise in den Irak zu verschieben?
Sebastian Kurz: Nein. Weil auch meine Reise in den Irak dem Kampf gegen den Terror gegolten hat und weil wir den Terror nur global bekämpfen können. Gerade im Irak wird dieser Kampf von den Peschmerga gegen die IS-Terroristen entschlossen geführt. Insofern sehe ich es als meine Pflicht, als Außenminister diejenigen zu unterstützen, die diesen Kampf nicht nur vor Ort für sich selbst, sondern indirekt auch für uns in Europa führen. Wir haben diese Reise aber auch genützt, um unsere humanitäre Hilfe im Irak weiter auszubauen, um Personen, die vor dem IS flüchten mussten, vor Ort bestmöglich zu versorgen. Das lindert auch den Migrationsdruck auf Europa.

"Krone": Sind Sie von vornherein von einem Terrorakt ausgegangen?
Kurz: Die französischen Behörden haben von einem Anschlag gesprochen. Es gab zwar keine hundertprozentige Gewissheit, aber es deutete vieles darauf hin. Und mittlerweile hat sich der IS ja auch zu dem Anschlag bekannt.

"Krone": Frankreich war bereits mehrfach Ziel von terroristischen Anschlägen, Österreich ist verschont geblieben. Haben wir einfach nur Glück gehabt?
Kurz: Es gibt auch für uns keine hundertprozentige Sicherheit, denn aus Europa haben sich über 10.000 Menschen auf den Weg gemacht, um im Irak und in Syrien für diese IS-Barbaren zu kämpfen. Wenn diese zurückkehren, sind sie ein massives Sicherheitsrisiko für unsere Gesellschaften und das betrifft nicht nur Paris und Brüssel, sondern ganz Europa und natürlich auch Österreich. Wichtig ist daher, dass wir entschlossen gegen diese Terroristen ankämpfen, militärisch im Irak und in Syrien, polizeilich in Europa und gleichzeitig in der Prävention. Wir müssen alles daran setzen, dass sich nicht noch mehr - vor allem junge - Menschen von diesen Terroristen verführen lassen.

"Krone": Warum werden IS-Heimkehrer nicht sofort abgeschoben?
Kurz: Sobald Personen zurückkehren, die Verbrechen anderswo auf der Welt begangen haben, werden sie natürlich bei uns polizeilich verfolgt. Aber gerade im letzten Jahr mussten wir erleben, dass einige Rückkehrer die Flüchtlingsrouten verwendet haben und so unbemerkt bis nach Paris und auch Brüssel gekommen sind. Ich habe schon vor langer Zeit während der Phase der Einladungspolitik gegen viel Kritik davor gewarnt, dass das passieren kann und dass das ein Sicherheitsrisiko für Europa bedeutet, mittlerweile ist es traurige Gewissheit, dass es so gekommen ist.

"Krone": Kann Österreich auf Dauer eine "Insel der Seligen" bleiben?
Kurz: Wir haben nach dem Kalten Krieg Jahrzehnte lang in einer Zeit gelebt, in der es fast so etwas wie absolute Sicherheit in Europa gab. Der Ukraine-Konflikt, die Radikalisierung und der Terror mitten in Europa sind definitiv so etwas wie eine Zäsur. Dieser steigenden Unsicherheit müssen wir umso entschlossener begegnen, indem wir für unsere Demokratie, unsere Rechtsstaatlichkeit und unseren Lebensstil eintreten und ihn nötigenfalls auch verteidigen. Ich bin überzeugt davon, dass unser Weg wesentlich stärker sein wird als jener des Hasses und des Terrors.

"Krone": Wenn dieses Interview erscheint, sind Sie schon in Brüssel beim Treffen der Außenminister und nächste Woche dann bei John Kerry in Washington und der "Allianz gegen Terror". Gibt es gegen Terror und Islamismus eine Waffe?
Kurz: Ja, wir müssen militärisch, polizeilich und ideologisch gegen diese Terroristen vorgehen. Je weniger Erfolg der IS hat, desto weniger wird der Zulauf aus Europa.

"Krone": Man hört nach solchen Anschlägen immer wieder: Das hat alles nichts mit dem Islam zu tun. Aber tun die Vertreter des Islam genug, um Islamismus zu verhindern?
Kurz: Weder die Aussage "Das hat alles nichts mit dem Islam zu tun" noch die Aussage "An allem ist der Islam schuld" lasse ich gelten. Man muss hier sehr genau differenzieren. Der Islam ist eine anerkannte Religion und der politische Islamismus ist etwas, was wir bei uns nicht dulden sollten, weil er zu Radikalisierung führt und die ideologische Basis für den Terrorismus bildet.

"Krone": Wenn in einer so kurzen Zeitspanne so viel Grauenvolles passiert: Möchten Sie da manchmal die Stopptaste drücken?
Kurz: Das wäre schön, wenn es eine Stopptaste gäbe. Aber wenn es rund geht in der Welt, gibt es diese Möglichkeit nicht. Deshalb tue ich als Außenminister mit meinem Team das, was zu tun ist: Unsere Österreicher im Ausland bestmöglich zu unterstützen und zu begleiten.

"Krone": Bilder wie das einer Babypuppe neben der zugedeckten Leiche eines Kindes am Strand von Nizza: Gehen die spurlos an Ihnen vorüber?
Kurz: Das geht an niemandem spurlos vorüber… Ganz besonders berühren mich aber persönliche Begegnungen, wie zum Beispiel jetzt im Irak die Gespräche mit Menschen, die unmittelbar an der Front gegen den IS-Terror kämpfen, die teilweise Familienangehörige verloren haben und die mich in meinem Zugang bestärken, dass wir als Österreicher die Pflicht haben, vor Ort zu helfen. Wir können nicht unbeschränkt Flüchtlinge in Mitteleuropa aufnehmen, aber wir können sehr wohl einen großen Beitrag im Irak, in Syrien und anderen Ländern leisten, um das Leid der Menschen so gut wie möglich zu lindern.

"Krone": In der Nacht auf Samstag kamen dann die Bilder aus Ankara. Kriegsähnliche Zustände, Putschversuch, über 60 Tote. Wie haben Sie davon erfahren?
Kurz: Von meinem Team in Wien. Ich habe sofort einen Krisenstab einberufen, wir haben unseren Bereitschaftsdienst massiv ausgebaut, um die bis zu 10.000 Österreicher in der Türkei bestmöglich zu unterstützen und zu versorgen. Wir schicken zudem Krisenunterstützungsteams an die beiden Hotspots Istanbul und Ankara. Bei Fragen sollten Landsleute mit dem Außenministerium Kontakt halten und die österreichischen Medien verfolgen.

"Krone": Wird Erdogan noch machtbewusster auftreten, nachdem der Putsch offenbar gescheitert ist?
Kurz: Das ist zu befürchten. Wobei ich betone, dass der Putsch zu verurteilen ist, er hat Tote gefordert und das Land ins Chaos gestürzt. Trotzdem ist Erdogan gefordert, im Rahmen von Rechtstaat und Demokratie zu agieren. Die Geschehnisse sind kein Freibrief für nicht rechtsstaatliches oder willkürliches Handeln.

"Krone": Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Erdogan beschreiben?
Kurz: Nachdem er eine Wahlkampfveranstaltung in Wien organisiert hat und ich das massiv kritisiert habe, ist es zu einem Zusammentreffen in Wien gekommen, das dementsprechend konfliktreich war.

"Krone": Ist es nicht bedenklich, wenn die EU mit diesem Land Verträge über die Aufnahme von Flüchtlingen machen?
Kurz: Man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen… Das gilt für den Ukraine-Konflikt genauso wie für die Geschehnisse jetzt in der Türkei. Wir haben ein Interesse an höchstmöglicher Smokratie und Menschenrechte stark zu machen.

"Krone": In Wien haben 4000 Anhänger für Erdogan demonstriert. Haben solche Leute in Österreich Platz?
Kurz: In Österreich gilt die Demonstrationsfreiheit und das ist gut so, aber gleichzeitig erwarte ich mir als Integrationsminister von Menschen, die bei uns leben, dass sie ihrem neuen Heimatland gegenüber loyal sind und es aus Respekt unterlassen, politische Konflikte nicht nach Österreich zu importieren.

"Krone": Ist Ihr Job eigentlich noch immer so spannend wie am ersten Tag?
Kurz: Definitiv… Wobei ich zugebe, dass sich in den letzten Tagen die Ereignisse so überschlagen haben, dass es schon eine - sagen wir - sehr intensive Zeit für mein Team und mich ist.

"Krone": Sie werden immer wieder als neuer ÖVP-Chef und möglicher Kanzler nach Neuwahlen gehandelt. Ist es rein theoretisch für Sie vorstellbar?
Kurz: Über sowas mache ich mir wirklich keine Gedanken. Meine Aufgabe, das können Sie mir glauben, füllt mich vollkommen aus.

"Krone": Könnte es sein, dass das jetzt Koketterie war?
Kurz: Nein, ganz bestimmt nicht.

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