"Krone"-Interview

Nada Surf: “Die Menschen wählen gegen sich selbst”

Musik
01.07.2016 17:55

Mit "You Know Who You Are" haben die US-britischen Indie-Rock-Epigonen Nada Surf vor wenigen Wochen ein hervorragendes Album und gleichzeitig auch ein ehrlich herausposauntes Dankeschön an die Fans veröffentlicht. Nach gefeierten Konzerten in Wien und Graz nahmen Matthew Caws und Co. mit einem Symphonieorchester ein ganz spezielles Konzert auf, das am 4. Juli auf FM4 gesendet wird. Wir sprachen mit Frontmann Caws aber nur kurz über Musik und Konzert, denn eine Analyse der aktuellen weltpolitischen Lage war dem smarten Songwriter wesentlich wichtiger.

(Bild: kmm)

"Krone": Matthew, ihr nehmt hier bei FM mit dem ORF-Radiosymphonieorchester Wien ein ganz spezielles Konzert auf, das am 4. Juli gesendet wird. Vor euch waren schon Künstler wie Patti Smith oder Calexico dafür hier - was bedeutet dir das?
Matthew Caws: Es ist natürlich sehr großartig und etwas, mit dem man niemals rechnet. Ich habe mir schon die Demos unserer Songversionen angehört und sie klingen hervorragend, wie Filmmusik. Die Versionen verändern nicht die inhaltlichen Bedeutungen, aber erweitern die Vorstellungskraft bezüglich des Materials.

"Krone": Viel Zeit für Proben blieb euch dabei nicht - werden dadurch auch alte Recken wie ihr nervös?
Caws: Wir müssen zumindest nicht sehr spontan sein, aber es muss alles passen und tight sein. (lacht) Für mich ist das glücklicherweise kein neues Gefühl, denn ich bin von Grund auf eine sehr nervöse Person. Ich zittere schon mein ganzes Leben, das ist aber eine physische Sache und keine Nervosität per se, aber natürlich macht mich das nervös. Als Kind haben sie mich in der Schule deshalb gehänselt, also lebe ich schon mein halbes Leben in einer leichten Anspannung. Ich finde es irgendwie verrückt, dass ich mit dieser Sache Sänger einer Band wurde, aber es war damit auch so eine Art Bekämpfen von Dämonen. Ich habe meine Ängste damit konfrontiert und in meinem Job habe ich das gut im Griff. Für mich war Musik wie eine Falle. Ich mag Alben und Musik so gerne, dass ich gar nichts anderes machen konnte. Ich ging als junger Mann unbedarft rein. Würdest du mich heute, als Erwachsenen, fragen, ob ich mich diesem Leiden Sänger einer Band sein wolle, würde ich das mit Sicherheit verneinen. (lacht) Ich würde auf keine Bühne gehen, aber dafür ist es wohl zu spät. In meinem Fall bevorzuge ich den Begriff aufgeregt. Das trifft es auch wesentlich besser.

"Krone": Du bist bekannt dafür, auf deinen Social-Media-Seiten sehr ehrlich und offen mit verschiedensten Themen umzugehen, hast unlängst etwa darüber geschrieben, wie sich Menschen untereinander verhalten sollten nach dem tragischen Anschlag in Orlando mit 49 Toten. Wie viel Macht hat denn ein Künstler wie du überhaupt, wenn er sich zu gewissen Dingen klar deklariert?
Caws: Ich weiß nicht so genau. Du versuchst - so wie jeder - etwas Gutes zu machen. Es gibt Leute, so wie uns zwei gerade, die sich gerne nett und mit Respekt unterhalten. Andere wiederum tun das nicht. Ich habe unlängst auf Facebook gepostet, dass jeder, der bei den US-Präsidentschaftswahlen gegen Trump stimmt, in einem Song von mir aufgenommen wird. Ich habe etwa 30 Namen gesammelt und ich hätte gerne so viele, dass der Song rund eine halbe Stunde dauert. Je verrückter das wird, umso besser, ich werde es einfach noch mehrmals posten. Auf der Bandseite konnte ich beobachten, wie viele Leute uns nach Posts von mir wieder entfolgt sind. Ich habe mal ein Foto mit lackierten Nägel von mir hochgeladen und rund 15 Personen wollten nichts mehr von uns hören - beim Trump-Posting war es genau ein Mensch. Unglücklicherweise ist das leider so eine Nische, dass wir über die Bandseite gar keine Trump-Wähler mehr erreichen. Um eine Wirkung erzielen zu können, musst du andere Menschen erreichen, völlig andersdenkende. Indie Rock schafft das aber nur sehr schwer, wir erreichen keine Leute von außen. Man muss also möglichst kontrovers vorgehen und der einzig wirkliche Schritt wäre, viral zu gehen. Aber das ist nun einmal keine Selbstverständlichkeit. (lacht)

"Krone": Du kennst im Prinzip beide Welten - geboren bist du in New York und leben tust du seit geraumer Zeit im englischen Cambridge. Wo sind die Vor- und Nachteile zwischen diesen beiden unterschiedlichen Welten?
Caws: Cambridge ist eine ziemlich friedliche und ruhige Stadt, die von der Universität lebt und sehr sicher ist. New York ist mittlerweile aber auch sehr ruhig und ich finde beide Städte in vielen Bereichen sehr ähnlich. Ich bin jetzt keine Nachteule, tue mich aber immer noch schwer damit, dass in England alles so früh schließt. (lacht) Es war einmal 22.30 Uhr an einem Sonntag, ich war den ganzen Tag unterwegs und wollte nur ein Bier trinken - es war absolut chancenlos. Es hatte alles zu und daran gewöhne ich mich wohl nie so ganz. Heute dreht sich ein Großteil unserer Welt ja in unserem Telefon oder in unseren Laptops und dort ist alles 24 Stunden zugänglich.

"Krone": Großbritannien hat sich gegen einen Weiterverbleib in der EU entschieden. Wie stark trifft dich diese Tatsache?
Caws: Das trifft mich sehr hart, ich habe wirklich stark darauf gehofft, dass wir drin bleiben. Ich fühle einfach, dass viele Gründe, warum wir die EU verlassen wollten, einfach nicht echt sind, sondern nur Momentaufnahmen. Mich erinnert das oft an den Monty Python-Film "Das Leben des Brian", wo es eine Gruppe von Separatisten gibt, die sagt: "Was haben die Römer jemals für uns gemacht?" Und als Antwort kommt: "Stimmt. Außer Bildung, Erziehung, den Straßen und solchen Sachen gar nichts." (lacht) Einen EU-Pass zu haben wäre natürlich besser. Ich mag den Gedanken, dass ich überall hingehen kann, um zu arbeiten.

"Krone": Wäre es für dich von Interesse, irgendwann einmal selbst das politische Parkett zu betreten?
Caws: Nicht wirklich. Ich mag es, mit Leuten über politische Themen zu sprechen, aber es gibt Pros und Contras bei dem Gedanken, zu welchem Nutzen ich dort wäre. Ich glaube, ich wäre brauchbar als Sprecher zu Menschen oder für Dinge, die in mir eine Leidenschaft erweckt haben und die ich anderen dadurch näherbringen möchte. Ich bin wohl ziemlich gut, überzeugend aufzutreten und vielleicht mit Argumentation festgefahrene Meinung zu lockern. Abseits davon wäre ich aber sicher kein guter Redner vor einer großen Öffentlichkeit, was wohl auch wieder mit meinem Zittern zusammenhängt. Das ist wirklich lustig, denn von der Bühne rede ich gerne zu vielen Leuten, aber ansonsten nicht. Aber wer weiß schon was noch alles kommt.

"Krone": Findest du, dass es eine Schande ist, dass sehr viele etablierte und wirklich massentaugliche Popstars selten eine klare Meinung mitteilen, nicht unbedingt zu etwas stehen und lieber allen politischen oder gesellschaftskritischen Themen ausweichen?
Caws: Das weiß ich nicht, und ich glaube, das ist auch Ermessungssache eines jeden einzelnen. Ich will noch zu deiner vorigen Frage zurückkehren. Ein Grund, warum ich mich für ungeeignet für die Politik halte ist, dass ich so viel meiner Zeit für Tagträumerei aufwende. Das ist ein Teil meines Jobs. Ich höre mir Musik an und gehe durch die Gegend und lerne in jeder Sekunde etwas über die Welt und ihre Geschichte. In der Uni habe ich kreatives Schreiben und englische Literatur belegt - jetzt als Erwachsener denke ich mir dauernd, ich hätte Geschichte studieren sollen. Dieser Bereich ist ein essenzielles Fundament, um die Welt zu verstehen, etwas in Kontext zu setzen und sich selbst eine Meinung bilden zu können. Man kann vernetzter denken. Wenn Popstars also nicht immer mit einer klaren Meinung rausrücken liegt das mitunter sicher daran, dass sie ebenfalls Tagträumer sind. Man sollte eher vorsichtig sein, was man sich in diesem Bereich wünscht, denn viele Meinungen würden vielleicht auch nicht auf eine ausreichende Wissensunterlage fußen. Trump ist doch auch ein Popstar. Sein Ruhm hat ihn so weit gebracht und das ist erschreckend. Heute bekommen wir alle Informationen die wir wollen und durch dieses Nischendenken in den sozialen Netzwerken sogar nur solche, die wir auch bekommen wollen. Es gibt einfach viele Menschen, die müde sind oder sich schlecht informieren, irgendwo ein Gesicht sehen, das sie kennen und aus diesem Grund auch diese Person wählen. Das ist das, was mich erschreckt und das ist der Grund, warum Trump so gut dasteht.

"Krone": Obwohl auch in Europa sehr viel im politischen Umbruch ist, Caws: Das sehen die Europäer auch von einer anderen Perspektive. Stell dir vor, du lebst in einem großen Land wo alle dieselbe Sprache sprechen und du hast einen megaberühmten Kerl, der genug Geld hat, um sich ganz nach oben zu pushen, dann kann so etwas leider wirklich passieren. In Europa ist es viel härter in einer Illusion zu leben, dass es keinen Rest der Welt gibt. Wenn du inmitten der USA lebst, bei McDonald's isst, Coca Cola trinkst, Levi's Jeans trägst und US-Reality-Shows anschaust, dann kannst du ein normales Leben ohne Beeinflussung von außen führen. In Amerika kannst du ewig reisen, ohne jemals eine Grenze zu berühren. Die Vision deiner Welt kollabiert in gewisser Weise und deine Sicht auf die Welt ist abgestumpft. Du kannst dich einfach so leicht beeinflussen lassen. Wenn du rechts wählst und Fox News ansiehst, dann wählst du eigentlich falsch, weil genau du dann der bist, der von der Wirtschaft getötet wird. Eigentlich wählen die Menschen dort gegen sich selbst und merken das nicht einmal. Das ist tragisch, aber bislang nicht zu vermeiden.

"Krone": Du postest ja meist Themenbereiche aus deiner Perspektive über die Nada Surf-Bandseite. Wird das von den Kollegen gerne gesehen bzw. führt das niemals zu Diskussionen?
Caws: Wir haben bei den meisten Dingen eine fast idente Meinung. Ich denke zudem, dass es den meisten Menschen ziemlich klar ist, dass ich da meine Meinung kundtue und nicht vier verschiedene repräsentiere. Ich bin eben das Sprachrohr auf dieser Seite und bislang hat sich von den anderen noch keiner beschwert. (lacht) Ich weiß auch gar nicht, ob die Jungs da draufschauen.

"Krone": Du gehst mittlerweile bereits auf deinen 50er zu und bist seit etwa 20 Jahren mit der Band dick im Geschäft. Macht es noch immer so viel Spaß, das ganze Jahr im Tourbus zu hocken und durch die Gegend zu fahren?
Caws: Auf jeden Fall, es macht sogar immer mehr Spaß. Ich weiß heute eben auch genau, worauf ich mich einlasse und die Form der Aufgeregtheit vor Konzerten ist eine angenehme und keine belastende mehr. Ich will jetzt keine romantischen Fantasien von irgendjemanden zerstören, aber als Erwachsener ist das Touren einfach wesentlich gesünder. Ich schlafe einfach viel mehr und trinke viel weniger als früher. Das ist natürlich nett, denn auf Tour zu sein ist nach wie vor hart. Jede einzelne Nacht ist jede Location sehr speziell. Die Leute kommen nur für dich, du bist immer in einer anderen Stadt und kannst und willst niemanden enttäuschen. Wir sind einfach immer gut drauf. Ein Day Off? Großartig. Erste Nacht? Toll. Dienstag? Hervorragend. (lacht) Ich führe mittlerweile ein Leben eines Erwachsenen, der natürlich eine gute Zeit schätzt, aber seine Grenzen kennt.

"Krone": Du bist also keiner von denen, die den 50er fürchten, der dir 2018 bevorsteht?
Caws: Nein, kein Problem. Es gibt so viele Klischees über das Alter. Okay, es ist natürlich ärgerlich, aber du bist ohnehin niemals so jung wie gerade jetzt - was soll's also? Jedes Alter hat seine Vorteile und ich fühle mich manchmal immer noch wie zwölf, 30 oder 40 und das Musikgeschäft hält sowieso jung.

Nada Surf kommen bald wieder nach Österreich. Am 13. August spielen sie beim renommierten Poolbar Festival im vorarlbergerischen Feldkirch, am 17. November im Innsbrucker Weekend und am 18. November im Posthof Linz. Alle Infos und Tickets erhalten Sie unter www.nadasurf.com.

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