"Schmähgedicht"

Erdogan stellt Strafantrag gegen Böhmermann

Ausland
12.04.2016 16:13

Zusätzlich zu seiner Forderung nach Ermittlungen an die deutsche Regierung hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich Strafantrag wegen Beleidigung gegen den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann gestellt. Der Antrag sei bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen und werde geprüft, teilte ein Sprecher der Behörde am Montagabend mit. Damit werden Ermittlungen auch für den Fall möglich, dass Berlin dafür kein grünes Licht gibt. Aus Angst vor Übergriffen von Erdogan-Anhänger steht Böhmermann derzeit unter Polizeischutz.

Gegenstand von Erdogans Strafantrag sei das "sogenannte Schmähgedicht" Böhmermanns aus der Sendung "ZDF Neo Royal", teilte die Staatsanwaltschaft mit. Der Antrag werde nun in dem bereits anhängigen Verfahren wegen Angriffs gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten geprüft.

Einem Verfahren als Vertreter ausländischer Staaten müsste Berlin zustimmen. Darum hat Ankara gebeten, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag bekannt gab - wodurch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in eine missliche Lage gerät: Sie sieht sich schon jetzt dem Verdacht ausgesetzt, sich mit Kritik an Erdogan zurückzuhalten, weil sie die Türkei für die Eindämmung der Flüchtlingskrise braucht.

Böhmermann drohen bis zu drei Jahre Haft
Die Regierung prüfe das Anliegen Ankaras "sorgfältig", sagte Seibert. Die Prüfung werde "nicht Wochen", aber "schon ein paar Tage" dauern. Sollte Berlin ein Strafverfahren ablehnen, könnten trotzdem Ermittlungen folgen. Dann würde Erdogan als "normaler Bürger" klagen, und Böhmermann drohte nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches bei einer Verurteilung bis zu ein Jahr Haft. Bei einem Verfahren wegen Beleidigung eines Vertreters ausländischer Staaten könnten es bis zu drei Jahren werden.

Hubertus von Sprenger, der deutsche Anwalt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, ist bereit, mit seinem Mandanten gegen den TV-Satiriker Jan Böhmermann (35) alle Rechtsmittel auszuschöpfen - bis zur letzten Instanz. "Wenn ich das Mandat annehme, ziehe ich das auch durch", sagte von Sprenger im Interview mit "heute journal"-Moderator Claus Kleber am Dienstagabend im ZDF.

"Der Präsident verspricht die Bestrafung des Betroffenen und verspricht sich auch, dass der in Zukunft das nicht wiederholt, was er gesagt hat, auf zivilrechtlicher Ebene", sagte von Sprenger weiter. Von Sprenger sagte zu dem zivilrechtlichen Schritt Erdogans, dass der Moderator eine Strafe bekommen solle, "die erforderlich ist, ihn auf den rechten Weg zurückzubringen, Satire zu machen und nicht mehr plumpe Beleidigungen".

ZDF löschte den Beitrag aus Archiv
Der Satiriker Böhmermann hatte das Gedicht voller unflätiger Beleidigungen Erdogans in der Sendung vom 31. März vorgetragen - und dabei selbst mehrfach gesagt, das sei keine Satire, sondern Schmähkritik und damit in Deutschland verboten. Das ZDF distanzierte sich von dem Auftritt und löschte den Beitrag aus dem Archiv.

Opposition pocht auf Presse- und Meinungsfreiheit
Ein mögliches Verfahren stößt quer durch die Parteien auf Skepsis. Der Deutsche Journalistenverband nannte den gesamten Vorgang "eine Farce". "Ich finde es unmöglich, dass die türkische Regierung massiv interveniert und in Deutschland die Strafjustiz aufmarschiert sehen möchte", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dem Nachrichtensender n-tv.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber verteidigte das Vorgehen der Bundesregierung. Die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter sei strafbar, "und dann kann man nicht einfach sagen, wir haben zwar eine Rechtsnorm, aber die interessiert uns nicht". Allerdings müssten unabhängige Gerichte im Zweifel prüfen, "ob es überhaupt eine Beleidigung ist".

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte, Merkel müsse sich schützend vor die Kunstfreiheit stellen und der von Ankara geforderten Strafverfolgung Böhmermanns "eine klare Absage erteilen". Die Medienexpertin der Grünen, Tabea Rößner, warf Merkel vor, die Presse- und Kunstfreiheit "Staatsinteressen" unterzuordnen.

Hallervorden mischt mit
Unterdessen wartete auch der Kabarettist Dieter Hallervorden mit einem Erdogan-kritischen Song auf. Darin heißt es etwa: "Ich sing einfach, was du bist: ein Terrorist, der auf freien Geist scheißt." Das am Sonntagabend auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte Lied kommentierte der 80-jährige Berliner Komiker mit den Worten: "Jetzt erst recht!" Das Lied beginnt mit der Zeile "Erdogan, zeig mich bitte auch mal an", am Ende mahnt Hallervorden: "Deutschland ist nicht Kurdistan."

Böhmermann sagt nächste Sendung ab
Und Jan Böhmermann? Der hat seine nächste Sendung erst einmal abgesagt. Die für Donnerstag geplante Ausgabe des "Neo Magazin Royale" falle aus, teilten Böhmermann und die Produktionsfirma btf GmbH am Dienstag auf der Facebook-Seite der Sendung mit. "Grund ist die massive Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator", heißt es dort.

"Vorsorglich steht ein Streifenwagen vor dem Haus"
Seit Dienstag steht der Moderator zusätzlich unter Polizeischutz. "Vorsorglich steht ein Streifenwagen vor dem Haus", sagte ein Sprecher der Polizei in Böhmermanns Wohnort Köln. Die Polizei beobachte die Lage fortlaufend und stehe mit anderen Sicherheitsbehörden in Kontakt. Nach Informationen von "Focus Online" sehen Ermittler Böhmermann und seine Familie akut durch Anhänger Erdogans in Deutschland gefährdet. Der Moderator befinde sich derzeit nicht in Köln, schrieb das Online-Portal unter Berufung auf Polizeikreise. Er habe nicht selbst um besonderen Schutz gebeten.

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