"Krone"-Interview

Von Brücken: “Die Menschen wollen keinen Eiertanz”

Musik
18.03.2016 17:00

Mit Jupiter Jones schwebte Sänger Nicholas Müller jahrelang in lichten Höhen, plötzlich setzten Angst- und Panikattacken ein und sein Leben wurde völlig umgekrempelt. Mittlerweile hat der sympathische Deutsche das Schlimmste überstanden, sich mit dem unvermeidlichen Schicksal ausgesöhnt und nach dem Ausstieg aus seiner alten Band gemeinsam mit Freund und Komponist Tobias Schmitz die Formation Von Brücken ins Leben gerufen. Ein etwas anderes Gespräch mit zwei reflektierten Musikern über freiheitsbeengende Krankheiten, politische Strömungen und fehlende Ehrlichkeit im Musikgeschäft.

(Bild: kmm)

"Krone": Nicholas, Tobias - ihr habt am 9. März zu zweit ein Gratis-Akustikkonzert im Wiener B72 gespielt, weil die volle Produktion für das geplante Event im Chaya Fuera einfach zu wenig Karten verkaufte. So viel Ehrlichkeit ist man in dieser Branche normalerweise nicht gewohnt - marketingtechnisch war diese offene Erklärung aber schon sehr mutig.
Nicholas Müller: Am Ende haben die Leute unsere klare Ansage gefeiert. Es hat uns gezeigt, dass die Leute total überrascht sind, wenn man die Wahrheit sagt. (lacht) Ich finde es müßig, wenn Menschen einen Eiertanz veranstalten, wenn die Wahrheit nun mal so ist. Die Platte von uns kam letzten Herbst raus und wir haben es eben einfach nicht geschafft, bislang mehr Österreicher von uns zu überzeugen. Die Produktionskosten wären mit einem 16-Mann-Team zu hoch gewesen, das kann man auch jedem erklären.

"Krone": War für euch dann sofort klar, dass ihr in abgespeckter Version nun das Akustik-Set spielen werdet?
Müller: Wir hätten genau 43 Karten verkauft und auch die lokalen Veranstalter meinten, dass sich das für alle Parteien nicht rentieren würde. Uns war aber schnell klar, dass wir den Käufern zumindest irgendetwas bieten wollen. Es ist am Ende auch egal, ob wir vor zehn oder 1000 Leuten spielen, denn wir machen das Ganze trotzdem gerne und mit Freude.

"Krone": In Deutschland sind von Von Brücken durchaus eine größere Nummer. Könnt ihr euch erklären, warum trotz der geografischen Nähe zu uns ein derart großer Popularitätsunterschied herrscht?
Tobias Schmitz: Solche Sachen funktionieren überwiegend über Medien und da herrscht zwischen den Ländern eine große Trennung. Nicholas sang ja jahrelang bei Jupiter Jones, die waren in Österreich vielleicht auch ein Thema, aber wohl nicht so wie in Deutschland.
Müller: Mit "Still" hatten wir in Österreich Erfolg, aber das war es auch mit uns bei euch. Machen wir es uns einfach und schieben es einfach der Plattenfirma in die Schuhe. (lacht)
Schmitz: Derzeit läuft die Popularität ja eher umgekehrt. Mit Wanda oder Bilderbuch erobern nach längerer Zeit wieder mal österreichische Bands den deutschen Markt. Die Angelegenheit ist einfach unberechenbar, da kommt man zu keinem Schluss. Wir warten ab und versuchen es einfach weiter. Vielleicht fahren wir künftig noch öfter mit dem Nachtzug von Köln nach Wien oder eben nicht mehr. (lacht)
Müller: Zugfahren kann im Prinzip inspirierend sein, aber irgendwie sinkt bei vielen Menschen dort drinnen die Hemmschwelle. Sobald sie im Speisewaggon sitzen, telefonieren sie in höchster Lautstärke oder mokieren sich lauthals über Ex-Partner. Durch meine Flugangst bin ich in meinem Leben unheimlich viel Zug gefahren, aber daran gewöhne ich mich wohl nie.

"Krone": Nicholas, du legst dein Leben in den Texten der Band sehr gerne offen und du hast mehrmals gesagt, dass es dir nicht liegt, fiktionale Texte zu schreiben.
Müller: Keine rein fiktionalen zumindest. Ich projiziere oft ein Alter Ego, aber es sind immer große Anteile von mir vorhanden. Jeder Text hat etwas Autobiografisches.

"Krone": Wo ziehst du dabei deine Grenze?
Müller: Bei mir gibt es keinen Seelenstriptease. Die Texte sind immer so gehalten, dass sie Spielraum für Interpretationen liefern. Es ist sehr wichtig, dass der Hörer sein eigenes Leben reininterpretieren kann. Ein gutes Beispiel ist etwa unsere aktuelle Single "Dann sammle ich Steine", wo es ganz klar um meine Tochter geht, für mich ist es dabei aber völlig in Ordnung, wenn die Leute diesen Song mit ihrer Freundin, ihrem Hund oder ihrem Hamster in Verbindung bringen.

"Krone": Andererseits gehst du mit vielen Sachen verdammt offen um. Du hast lange Zeit unter massiven Angst- und Panikattacken gelitten und dieses Thema sofort und ohne Umschweife öffentlich gemacht.
Müller: Über dieses Thema spreche ich immer gerne, weil so wenig Menschen darüber Bescheid wissen. Das war für mich aber kein Seelenstriptease, ich habe nur gesagt, dass ich eine Krankheit habe und erklärt, wie sie abläuft. Bei Krebskranken ist die Vorgangsweise völlig normal, bei Prominenten mit Angstattacken eben nicht. Das Thema liegt einfach zu stark verborgen und deshalb gehe ich damit raus. Einerseits war es für mich auch eine Befreiung, mit der Wahrheit rauszurücken, das war einigermaßen selbstverständlich. Ich versuchte zudem den Erkrankten und deren Angehörigen zu helfen, indem ich etwas Aufklärung betreibe. Das war der Hauptantrieb. Von allen psychischen Erkrankungen, die sehr häufig sind, ist das diejenige, die öffentlich am wenigsten vorkommt. Über dieses Thema spreche ich noch in fünf Jahren, allerdings möchte ich kein Angstpapst werden. Reine Interviews zum Thema Angst sind nicht mein Ziel, es sollte einfach selbstverständlich werden, dass man viele Menschen offen dazu befragen kann.

"Krone": War es für dich von Anfang an klar, dass du damit in die Offensive gehst?
Müller: Spätestens als klar war, dass ich bei Jupiter Jones aussteige, da gab es zur Wahrheit keine Alternative mehr. Das Traurige daran ist, dass die Wahrheit da schon wieder so besonders klingt, so soll das aber nicht rüberkommen. Die Resonanz darauf war überwältigend, ich bekam extrem viel Zuspruch, fast schon Liebe, auch die Band profitierte davon. Viele waren auch froh, dass endlich jemand sagt, wie das läuft.

"Krone": Gibt es ein Ereignis oder bestimmtes Datum, wo du festmachen kannst, warum und wann diese Panikattacken auftauchten?
Müller: Da gehen wir jetzt tatsächlich Richtung Seelenstriptease. Angst ist ein sehr starkes und spektrumreiches Symptom für ein grundsätzliches psychisches Problem. Wo jetzt tiefenpsychologisch die Wurzeln meiner Angst liegen, darüber spreche ich nicht. Das gehört nur mir. Der ultimative Auslöser war, dass ich in kürzester Zeit meine Großmutter und dann meine Mutter an Krebs verloren habe. Bei beiden musste ich zusehen und das habe ich nicht ertragen - da wurde das Fass geöffnet. Eine Disposition zur Angst gab es schon zuvor, allerdings machte sich das nie bemerkbar.

"Krone": Für mich als Außenstehenden klingt es irgendwie absurd, dass du dich gerade auf der Bühne am wohlsten gefühlt hast, als deine Angstattacken am schlimmsten waren. Doch gerade dort stehst du ja in der größten Drucksituation.
Müller: Das ist tatsächlich etwas absurd. Angst ist ein Lernprozess und es gibt so Trigger, die existieren. Bei mir zum Beispiel war es die Flugangst und dann gibt es noch Situationen, die kommen unvermittelt. Auf der Bühne wurde dann mein letztes Refugium eingerissen, das war bitter. Für eine Zeit lang kam mir tatsächlich die Lebensfreude abhanden. Ich hatte nie den Gedanken, mir was anzutun, hatte aber absolut keinen Spaß mehr, morgens aufzustehen. Ich hatte dazwischen schon vieles geändert, war auch zweimal in der Klinik, aber dass ich zum Beispiel aus der Band ausstieg, ist - auch wenn es komisch klingt - meiner Therapeutin zu danken. Sie sagte: "Herr Müller, wir haben zwei Optionen. Entweder Sie machen lange Pause bzw. hören auf oder ich therapiere Sie nicht mehr weiter". Die Frau war so toll und tough und eine meisterhafte Therapeutin - als sie mich hier vor die Wahl stellte war für mich klar, dass ich jetzt aufs Ganze gehen müsste.

"Krone": Kannst du aus der gegenwärtigen Position sagen, du hättest diese Krankheit besiegt?
Müller: Eigentlich schon. Angst als solches ist ein überlebenswichtiger Instinkt und ich habe auch ab und zu noch Panikattacken. Ich kann aber damit umgehen und weiß auch, dass ich danach aufstehen und weitermachen kann. Ich sehe mich somit als geheilt und meine Therapeutin tat dies auch. Sie meinte mal, dass es jetzt gut sei, denn man könne auch übertherapieren lassen. (lacht)

"Krone": Mit eurer neuen Band Von Brücken habt ihr dann relativ schnell begonnen. War es für dich gleich klar, dass eine Rückkehr zu den durchaus erfolgreichen Jupiter Jones kein Thema sein würde?
Müller: Da ich ausstieg, war das klar. Wir haben das gemeinsam besprochen und die Jungs wollten gerne weitermachen. Sie haben mich gefragt, ob das in Ordnung wäre und das war es total. Ich hätte es viel trauriger gefunden, hätte die Band geendet. Ich finde ihren neuen Frontmann toll, sie haben sich ein neues Leben aufgebaut und es wäre totaler Quatsch, würde ich mich da jetzt einbauen. Manchmal ist es wirklich das Gesündeste und Beste, einfach einen Schlussstrich zu ziehen und das haben wir so durchgezogen. Es ist die beste Lösung für alle.

"Krone": Ihr achtet aber schon darauf, als Von Brücken jetzt nicht im Vorprogramm von Jupiter Jones aufzutreten?
Müller: Das wäre merkwürdig und für alle Beteiligten und auch für das Publikum sonderbar. Wir würden auch keine Songs von Jupiter Jones spielen, wir haben selber Programm für mehr als zwei Stunden, Tobi hat tolle Songs geschrieben. Würden wir zusammen auf Tour gehen, wäre bei den Leuten eine Erwartung geschürt, die nicht passiert.

"Krone": Das Von-Brücken-Debüt "Weit weg von fertig" wurde aber schon als "mit dem ehemaligen Sänger von Jupiter Jones" verkauft, als klare Starthilfe sozusagen.
Schmitz: Das war schon okay und wir haben dieser Idee natürlich zugestimmt. Würden wir das nicht nutzen, wären wir auch irgendwie blöd.
Müller: Es ist aber auch keine Casting-Geschichte, sondern eine Sache, für die wir beide lange gearbeitet haben.
Schmitz: Textlich gibt es zudem durchaus Bezugspunkte zu Jupiter Jones. Es haben sich auch viele Leute gefreut, das Nicholas wieder singt und auf der Bühne steht.
Müller: Das Internet ist da langsam. Fast ein Jahr, nachdem wir gesagt haben, wir kämen wieder zurück, bekommen wir immer noch Nachrichten, wo sich Menschen über unser Comeback freuen.

"Krone": Hattet ihr einen speziellen Punkt, wo ihr wusstet, dass ihr beide zusammen etwas Neues auf die Beine stellen würdet?
Schmitz: Wir machten schon jahrelang miteinander Musik und es funktionierte immer. Die Initialzündung war, als die erste Single "Gold gegen Blei" nach einigen Spaßaktionen entstanden ist. Diese Atmosphäre beim Songschreiben war so gut, dass wir wussten, dass es die Band geben würde. Auch unser Produzent war da schon an Bord, da hat sich wirklich viel zusammengefügt.

"Krone": Wenn man, so wie ihr, aus der Eifel stammt, dann hat man natürlich Fanta-4-Mastermind Thomas D. als Gastmusiker an Bord.
Schmitz: Ein Binnenmigrant. Wir haben bei ihm zuhause aufgenommen und es lag nahe, auch wenn das Feature keine Pflicht war. Wir haben ihn im Wohnzimmer eingekesselt und er musste quasi ja sagen. Was soll er auch sonst tun? (lacht) Normalerweise kommen solche Anfragen per E-Mail und da kann man noch überlegen, aber so blieb ihm ja gar keine andere Chance, als ja zu sagen.

"Krone": Eure Arbeitstrennung ist im Prinzip streng hierarchisch. Nicholas schreibt die Texte, Tobias macht die Musik. Gibt es da gar keine Abweichungen?
Schmitz: Wir sind schon irgendwie gegenseitige Berater und es muss auch Berührungspunkte geben. Im besten Fall trifft sich alles, aber klar, es ist relativ getrennt. Es gibt auch Stücke, wo sich Nicholas musikalisch beteiligt hat. Bei "Yukon" zum Beispiel.
Müller: Bei YouPorn? Da haben sich wohl alle daran beteiligt. (lacht) Tobi schreibt auch tolle Texte, aber wir arbeiten nach dem Prinzip: "Schuster, bleib bei deinen Leisten". Ich bin in meinen Augen eben gar kein Komponist. Ich kann einen Stil und denn wiederhole ich immer wieder, deshalb habe ich das mal gelassen.

"Krone": Bands wie Status Quo oder Green Day haben Weltkarrieren darauf aufgebaut.
Müller:(lacht) Bad Religion schreiben auch seit 30 Jahren immer wieder den gleichen Song. Nein, aber beim Texten habe ich einfach ein breiteres Spektrum und wir wissen einfach, wer wo seine Stärken hat - ganz einfach.

"Krone": Steckt hinter Von Brücken ein Pioniergeist, nachdem die Band in allen Bereichen ein Neubeginn ist?
Müller: Total, ja. Unser größter Wunsch ist aktuell gerade, dass wir einfach alles so machen können, wie wir uns das wünschen. Das ist mit unseren sechs zusätzlichen Musikern, eben zu acht auf der Bühne, was in Sparzeiten wie heute Seltenheitswert hat. Es stehen zudem drei Computer auf der Bühne, aber die produzieren allesamt gesampelte, organische Sounds, die auch von Menschen gesteuert werden. Bei uns wird es nicht so sein, dass ein Apple eingeht und wir deshalb eine Tour absagen müssten. (lacht) Es ist heute auch legitim, dass gewisse Spuren aus dem Studio vom Band kommen. Wir müssen aber keinen Weltruhm anstreben, das wäre vermessen. Wenn wir davon leben könnten, das wäre schon fein und daran arbeiten wir derzeit. Die Band alleine reicht noch nicht zum Bezahlen aller Rechnungen. Ich bin auch kein Galamensch. Ich habe unlängst eine Einladung zum ECHO bekommen und sitze die gerade aus. Ich denke mehrfach angestrengt darüber nach, ob ich da hin will und bin auch kein Aftershow-Typ. Meine Welt ist so wie gestern Abend. Mit dem Tobi im Nachtzug mit einer Flasche Rioja vom Bahnhof und zwei biologisch abbaubaren Plastikbechern - da fühle ich mich weitaus besser aufgehoben als auf roten Teppichen.

"Krone": Und - an euren Albumtitel angelehnt - fühlt ihr euch wohl noch "Weit weg von fertig".
Müller: Das ist natürlich auch ein Eigenstatement im musikalischen wie auch menschlichen Sinne.

"Krone": Du hast schon öfters betont, dass dich das Pop-Gelalle mit all den verharmlosten Texten oft richtiggehend nervt. Jetzt versprüht euer Album kein Mallorca-Ballermannfeeling und ist eher ernsthaft gehalten. Sollte Pop aber nicht auch Spaß und Zwanglosigkeit versprühen dürfen?
Müller: Die Emotionen stören mich nicht, ich könnte ja selbst nicht anders. Es gibt auf der neuen Platte zwei politische Texte, aber auch Politik ist mit Emotionen verbunden. Die Popmusik ist ein Vehikel für Emotionen. Mich stört, dass wir mittlerweile so eine Schlagermentalität in den Pop rübergerettet haben, wo immer nur alles Schöne vorgegaukelt wird. Wer aber die Zeitung aufschlägt oder den Fernseher anmacht, der kann das niemals glauben. Als Vater, Musiker und Autor läuft das Tagesgeschehen in unterschiedlichsten Varianten an mir vorbei und in Deutschland sind wir gefühlt kurz davor, wieder Menschen mit einer Selbstverständlichkeit auf der Straße zu treffen, wie es vor etwa 70 Jahren war, als der kleine Österreicher dachte, er müsse völlig durchdrehen. Man kann da einfach nicht das Leben in jedem Song bejubeln. Ein bisschen ein realistischerer Ansatz würde der Popmusik guttun. Mein Freund Ingo von den Donots hat das richtig gesagt: "Wenn sich Helene Fischer mal hinstellen und sagen würde, dass die Leute unmöglich so dämlich sein könnten, kurz vor der Gründung einer NSDAP zu sein, dann würde das für immensen Aufruhr sorgen". Wie viele Menschen sie erreichen könnte - unfassbar. Aber nein, da sind dann eher Schmetterlinge im Körper unterwegs, die Augen glitzern oder irgendjemand ist wieder mal atemlos. Das kann ich einfach nicht mehr hören. Die Welt geht zugrunde und alle feiern sich den Allerwertesten ab - das kann einfach nicht sein. Selbst der größte Klassiker und Jazzer hat Popsongs, die ihn berühren. Ich würde mir wünschen, dass Popmusiker endlich aus dem Arsch kommen und klar Stellung beziehen.

"Krone": In der Größenordnung einer Helene Fischer hätten sie und ihr Management bei einer dementsprechenden Positionierung auch sicher Angst, Teile des Publikums zu vergraulen.
Müller: Na gut, aber dann verdient sie statt 40 nur 35 Millionen im Jahr. Wir haben doch alle eine Verantwortung und ein riesiges Privileg. Wir dürfen Musik machen und davon leben, die Prozentzahl solcher Menschen liegt sicher bei 0 komma irgendwas. Ich will mich nicht kritisch zu ihrer Musik äußern, aber wenn ich Stadien fülle, muss ich auch merken, dass ich ein generationenübergreifendes Sprachrohr für Millionen von Menschen bin. Dann sage ich denen doch mal, was Sache ist. Wer da schweigt, macht sich eigentlich zum Mittäter. Das ist jetzt auch kein Helene-Fischer-Bashing, aber das merke ich bei ganz vielen Musikern. Das ist einfach bitter.
Schmitz: Es gibt ja auch Fans, die man nicht haben will. Ich möchte nicht, dass unsere Musik von Nazis gehört wird, wobei sie sich bei uns wohl auch kaum wiederfinden würden. (lacht)
Müller: Zumindest haben sie sich noch nie deklariert. Wir haben die beiden politischen Songs "Blendgranaten" und "Ist gut, Mensch" und da war in den Ansagen immer klar, dass jeder, der sich aus diesen Songs wiedererkennt, gerne von uns wieder ausgeladen wird, zur Kassa gehen und sich sein Eintrittsgeld abholen und dann woanders hingehen kann. Ich sah noch nie jemanden gehen, eher im Gegenteil. Ich klopfe auf Holz, man kann sich ja nie sicher sein. Ich habe aber schon Dinge gesehen, die man nicht für möglich halten würde.

"Krone": Habt ihr dann mit solcherlei Statements nicht auch einen klaren Erziehungsauftrag als Band, zu brisanten Themen Stellung zu beziehen und als gutes Beispiel für eure Sache voranzugehen?
Schmitz: Keiner von uns strebt jetzt eine Politikerkarriere an, aber solange dieses Thema aktuell ist und aktueller wird, gibt es allen Grund, was dazu zu sagen. Auch weiterhin.
Müller: Es gibt Vertreter unserer Zunft, die sagen, sie hätten mit Politik nichts am Hut. Einerseits ist das okay, andererseits heißt das aber auch, dass es sie nicht interessiert, das ist traurig. Schlimmer sind aber jene, die sich als unpolitisch bezeichnen - so etwas gibt es aber nicht. Man wird schon als Kind politisiert und ist den Einflüssen seiner näheren Umgebung ausgesetzt. Jeder, dem das Privileg geboten wird, zur rechten Zeit vor vielen Menschen zu sprechen, der sollte Stellung beziehen. Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass sich so viele über Til Schweiger lustig gemacht haben. Klar, er hat eine totale Holzhammer-Rhetorik und die Einträge lesen sich mit seinen 48 Ausrufezeichen wie Gutbürgerbeitrage, aber er ist sich seiner Verantwortung bewusst. Dafür kann man ihm auf die Schulter klopfen. Er könnte auch den zwölften Tatort drehen und mit seiner Tochter und dem altersschwachen Didi Hallervoorden arbeiten und die Leute würden dir attestieren, dass du trotzdem empathisch bist. Er hat aber das Maul aufgemacht und das muss man respektieren.

"Krone": Dahinter steckt auch viel Scheinmoral, denn gerade im Internet und den sozialen Medien ist es frech, sich über Personen wie Schweiger aufzuregen, wo die verbale Ausdrucksweise bei vielen anderen doch tatsächlich jede Niveauschiene unterbietet.
Schmitz: Warum sollen sich die Leute auch immer am Riemen reißen? Gerade in Talkshows ist das manchmal schön, wenn jemand einen emotionalen Ausbruch hat, weil man ihm das dann auch abnimmt, was er sagt. Gerade Politiker winden sich oft um windige Fragen.
Müller: Wie R.P.S. Lanrue von Ton Steine Scherben damals mit der Axt einen Tisch zerschlagen hat - davon brauchen wir mehr. (lacht) Ab jetzt nehme ich auch immer eine Axt mit ins Fernsehen.

"Krone": Abseits der ganz großen Bühnen, die Helene Fischer besetzt, sieht man gerade im Punkrock-Bereich mit Bands wie etwa Turbostaat oder Love A, um nur zwei Beispiele zu nennen, sehr klare Positionierungen nach außen. Es ist also nicht so, dass hier alle schweigen würden.
Müller: Aber gerade bei Bands wie diesen findet das nur in einer bestimmten Subkultur statt. Ich weiß, dass beide Bands das aus tiefster Überzeugung machen, nur sie kommen auch aus dieser Ecke und erreichen jetzt keinen, der nicht ohnehin schon solcherart interessiert ist. Für mich wäre es immer interessanter ein Statement von denen zu hören, die meinen, dass derzeit alles super läuft. Es gab da so einen Typen aus der Reality-Soap "Berlin - Tag und Nacht, ich glaube es war Jan Leyk, - der hat ein Facebook-Posting getätigt, wo im Subtext quasi eine Botschaft á la "stellt sie vor die Wand" mitschwang. Aber bei dem weiß man wenigstens, wie man dran ist. Jeder offene Rechte ist mir lieber, als Leute, die sich bedeckt halten und zuhause am Mittagstisch ihren Kindern mitteilen, dass Hass säen gerade en vogue ist.

"Krone": Da gäbe es in dir ja tatsächlich genug Stoff, um ein politisches Album zu schreiben.
Müller: Ja, das ist gut möglich, aber da gibt es schon genug wirklich gute Texter, wie etwa den Hans Söllner, die das wesentlich besser draufhaben. Ich bin eher so der zwischenmenschliche Typ.

"Krone": Schreibt ihr eigentlich weiterhin fleißig an weiteren Songs für ein zweites Album?
Schmitz: Wir versuchen schon irgendwann 2017 mit einem neuen Album am Start zu sein.
Müller: Jetzt rede das nicht so klein! Wir gehen im Jänner ins Studio.
Schmitz: Das stimmt, aber wir haben noch nicht einen Song geschrieben. (lacht) Im besten Fall sollte es dann Songs für ein ganzes Album geben. Das wird jetzt dann losgehen, wenn ein bisschen Ruhe einkehrt, das wird schon.

"Krone": Nicholas, einstweilen könntest du mit deinem befreundeten Kabarettisten Hubert vom Venn wieder einen Briefverkehr starten, aus dem unlängst das Buch "Kühe schubsen - Briefe in und aus der Eifel" entstand.
Müller: Das war tatsächlich fast alles auf echtem Papier verfasst. Als die heiße Phase mit Von Brücken losging, gab es die eine oder andere E-Mail, ansonsten haben wir uns Briefe mit Siegeln zugeschickt. Hubert hat übrigens so eine alte Technik erlernt, wo er Umschläge aus Briefen faltet. Das muss man sich mal vorstellen - warum haben die Leute das damals so gemacht, anstatt zu überlegen, dass sie einfach etwas Einfacheres erfinden? (lacht) Jedenfalls wurde tatsächlich einmal einer unserer Briefe geklaut, der war weg, weil ihn offensichtlich jemand wirklich so schön gefunden hat. Es gibt derzeit aber keine Gedanken für eine Fortsetzung des Buches, obwohl es genug Geschichten gäbe.

"Krone": Die Literaturkarriere ist also hintangestellt?
Müller: Das sage ich jetzt nicht, das lassen wir mal so im Raum stehen. Diesen Satz wollte ich schon immer mal sagen: Man darf gespannt sein. (lacht)

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