50 Jahre Fulvia

Lancia Fulvia: Castagneros bellissima macchina

Motor
03.11.2015 09:22
Dieser Lancia zählt zu Italiens automobilen Nationaldenkmälern. Ist doch die zweitürige Fulvia nach Meinung der Fachwelt formvollendet wie kein anderes kompaktes Coupé. Ein Sportler, der seinen Wettbewerbern technisch überlegen war und als erfolgreichstes Lancia Coupé aller Zeiten sogar die Fusion mit Fiat überlebte.
(Bild: kmm)

Überraschung: Kein legendärer Karosserieschneider wie Pininfarina, Bertone oder Zagato hat dieses kleine und klassisch-klar konturierte Coupé gezeichnet. Die nur 3,97 Meter messende zweitürige Lancia Fulvia mit schwebend wirkendem Dachaufbau gilt als Meisterwerk des begnadeten Lancia-Hausstilisten Pietro Castagnero.

Tatsächlich verkörpert der von 1965 bis 1976 gebaute 2+2-Sitzer alles, was Lancia einst ausmachte, nämlich Ästhetik, Exklusivität, Sportlichkeit und Modernität. Weshalb ihm die ab 1969 regierenden neuen Herren des Fiat-Konzerns mit einer aufregend gezeichneten, gleichnamigen Studie noch im Jahr 2003 ein spätes Denkmal setzten. Vor allem aber war die Fulvia, die auch als viertürige Limousine und als Fließheckcoupé Sport für Furore sorgte, der bis dahin meistproduzierte Lancia aller Zeiten. Fortschrittlicher Frontantrieb und aufwendige Fahrwerkstechnik ermöglichten den leichtgewichtigen Coupés auf Straße und Strecke eine Souveränität gegenüber leistungsmäßig stärkeren Konkurrenten, die an die Erfolge des englischen Mini Cooper erinnerte. So waren die fast unzähligen Siege der Fulvia im Motorsport die Basis für Lancias jahrzehntelange Dominanz auf den Rallyestrecken. Manchmal ist klein eben besonders fein, wie die kompakten bellissime macchine mit 1,2 bis 1,6 Liter Hubraum bewiesen.

Eine kleine Baureihe für große Gewinne benötigte die Edelmarke Lancia Anfang der 1960er-Jahre dringend. Schon 1955 hatte die Familie Lancia ihre Firmenanteile an den italienischen Industriellen Carlo Pesenti verkaufen müssen, der nun seinerseits auf eine Gesundung des Gesamtunternehmens durch die Fulvia hoffte. Dazu schrieb er seinem designierten Einstiegsmodell eine Gleichteilestrategie mit dem größeren Flavia ins Lastenheft und definierte als Produktionsstandort das für die Flavia errichtete Werk in Chivasso bei Turin. Ebenfalls aus Kostengründen entschied Lancia-Chef Pesenti, dass die Coupéversion der Fulvia nicht wie üblich von einer Carrozzeria entwickelt werden sollte, sondern hausintern unter Verantwortung von Pietro Castagnero. Für den Formenkünstler damals die größte Herausforderung seines Lebens, musste er doch alle unabhängigen Stardesigner in den Schatten stellen. Erfolgreich, wie sich auch zeigte, als bei Zagato ein zweiter Coupé-Entwurf als Fulvia Sport in Serie ging. Zwar schrieb diese von Ercole Spada gezeichnete Fulvia Sport Ende 1965 Geschichte als eines der ersten Fastback-Coupés, zum Volumenmodell und weltweit gefeierten Urmeter für Coupékarosserien geriet aber allein Castagneros Konzept mit den filigranen Dachsäulen.

Ungewöhnlicher V4-Motor
Hinzukam ein damals beispielhafter cW-Wert von 0,39, der mit dazu beitrug, dass die Lancia-Coupés zu den schnellsten Sportlern ihrer Hubraumklasse zählten. Technisch verfügten alle Fulvias nach dem Vorbild der Flavia über fortschrittlichen Frontantrieb und einen ungewöhnlichen V4-Motor. Dessen V-Winkel war mit nur 13 Grad so eng ausgelegt, dass beide Zylinderreihen unter einen gemeinsamen Zylinderkopf aus teurem, aber leichtem Aluminium passten. Auf seine legendäre Liebe zum Detail wollte Lancia trotz aller angestrebten Kosteneffizienz nicht verzichten. Deshalb gab es nicht nur zwei obenliegende Nockenwellen, sondern eine Welle steuerte die Einlassventile, die andere die Auslassventile. Für das Coupé hatte Lancia die Leistung des auch in der Limousine lieferbaren 1,2-Liter-Motors auf 80 PS gesteigert, genug für eine Höchstgeschwindigkeit von 164 km/h. Schneller waren die ab 1966 erhältlichen leichtgewichtigen Fulvia HF mit Türen und Hauben aus Aluminium, die von 88 PS auf Tempo 170 gebracht wurden. Ausreichend Speed, um es mit MGB GT, Glas GT, Fiat 124 Sport oder Alfa Giulia GT Junior aufzunehmen.

Wem das nicht genügte, konnte auf die aerodynamisch noch vorteilhafter geformte Fulvia Sport ausweichen, die Zagatos erfolgreichstes Serienmodell wurde. Über 7.000 Einheiten des Fließheckcoupés mit weit aufschwingender Heckklappe wurden bis 1973 verkauft. In Relation zur eindrucksvollen Gesamtzahl von rund 147.000 gebauten Fulvia Coupés andererseits nur eine exklusive Serie. Dafür war die Fulvia Sport mit mindestens 12.900 Mark aber auch noch teurer als das mit 10.500 Mark bereits kostspielige Fulvia Coupé. Tatsächlich bewegten sich die italienischen 1,2-Liter-Vierzylinder auf dem Preisniveau deutscher Oberklasse-Sechszylinder wie Opel Kapitän oder Admiral. Was Lancia nicht darin hinderte, 1967 sein bisher bestes Jahr überhaupt mit 43.000 ausgelieferten Autos zu feiern.

Und dann kam Fiat
Dabei handelte es sich jedoch nur um ein kurzes Aufflackern vor dem zwei Jahre später folgenden finanziellen Aus und der Übernahme durch Fiat. Die Kunst des Geldverdienens wollte den ingenieurgetriebenen Autobauern nämlich auch unter Carlo Pesenti nicht gelingen. So entwickelte Lancia kurzentschlossen einen neuen Motor, als eine weitere Leistungssteigerung des ersten Coupé-Aggregats mit 1.216 cm³ Hubraum nicht möglich schien. Mit neuem Zylinderblock und längerem Kolbenhub konnte der Zylinderwinkel des nun 1.232 cm³ messenden Vierzylinders auf 12 Grad reduziert werden. Nur ein Jahr später mutierte dieses Triebwerk dann zum 1,3 Liter und leistete im Fulvia 1.3 HF stolze 101 PS. Sogar eine Kugelfischer-Einspritzanlage erprobten die innovationsfreudigen Italiener am Fulvia-Motor. Als Fiat die insolventen Lancia-Werke übernahm und als Zeichen neuer Effizienz die Lancia-Schrauben und Muttern gegen solche von Fiat tauschte, gab es die Fulvia in endgültiger Bestform auch als 1600 HF.

Höchst erfolgreich im Rennsport
In Straßenversion entwickelte das Sportgerät damit 115 PS, mit 45er Vergasern wurden es bissige 132 PS - mehr PS hatte damals auch der Porsche 911T nicht. Auf die Siegerpodeste legendärer Motorsportevents fuhr die Fulvia sogar mit gut 170 PS bei nur noch 800 Kilogramm Leergewicht. Ein Fliegengewicht, mit dem Sandro Munari bei der Rallye Monte Carlo 1972 alle Konkurrenten deklassierte. Zugleich legte Munari für Lancia die Grundlage für den Gewinn der FIA International Championship for Manufacturers - ein Titel mit dem Wert einer Marken-WM. Auch auf anderen Strecken dominierte das charmante Coupé mit dem großen Augenaufschlag in den Rundscheinwerfern die meist leistungsstärkere Konkurrenz nicht selten nach Belieben. Bemerkenswert etwa die Targa Florio 1969, bei der sich eine Fulvia direkt hinter Porsche 908 und Alfa Tipo 33 platzierte. Der letzte ganz große Triumph war der Gewinn der Europäischen Rallyemeisterschaft 1973, damit beendete die Fulvia 1.6 HF auch ihre Karriere als Straßenversion. Die verbleibenden drei Produktionsjahre bestritt allein das 1,3-Liter-Coupé. Dann löste das neue Beta Coupé die betagte Fulvia ab, deren Sammlerstatus die Lancia-Händler längst vorausgesehen hatten. So kämpften die Konzessionäre erbittert um die Zuteilung der finalen Fulvia Coupés, das allerletzte Exemplar wurde jedoch Glanzlicht des Werksmuseums.

Chronik:
1962: Noch vor Marktstart der Fulvia Limousine beginnt die Entwicklung des Fulvia Coupé mit 15 Zentimeter kürzerem Radstand als die Limousine

1963: Schon in der Weihnachtszeit präsentiert die Lancia-Designabteilungen Prototypen für ein Fulvia Coupé

1964: Verabschiedung der Formensprache des Fulvia Coupé. Entworfen wurde das Coupé im Lancia Centro Stile von Piero Castagnero

1965: Weltpremiere auf dem Genfer Salon und Markteinführung des Fulvia Coupé 1.2 (Tipo 818.130/131 mit 1.216 cm³, Produktion bis 1967). Ende des Jahres Marktstart des Fulvia Sport. Mit der Fulvia engagiert sich Lancia nach zehnjähriger Unterbrechung wieder im Motorsport. Von 1965 bis 1973 gewinnt die Fulvia die italienische Rallyemeisterschaft

1966: Produktionsanlauf des Fulvia 1.2 HF (Tipo 818.140, Produktion bis 1967) mit Türen und Hauben aus Leichtmetall sowie Seiten- und Rückfenster aus Plexiglas

1967: Bei gleicher Leistung verfügt das Fulvia Coupé 1.2 jetzt über 1233 cm³. Einführung von Fulvia Coupé Rallye 1.3 HF (Tipo 818.340/341, Produktion bis 1969) und Start des Fulvia Sport 1.3. Lancia erlebt sein bisher räsentation des Fulvia Coupé Rallye 1.3 HF. Produktionsbeginn für den Fulvia Sport 1.3 S. Nur als Concept Car realisiert wird ein Fulvia Sport Cabriolet

1969: Das Fulvia Coupé 1.6 HF läuft an. Tom Tjaarda entwirft für Ghia einen Fulvia 1600 Competizione mit ausfahrbarem Heckflügel, der jedoch Stilstudie bleibt. Am 24. Oktober kommuniziert Fiat die Übernahme von Lancia. Gewinn der Europäischen Rallyemeisterschaft durch ein Fulvia Coupé, dieser Triumph wird im Jahr 1973 wiederholt

1970: Die zweite, facegeliftete Serie von Fulvia Coupé und Fulvia Sport wird lanciert. Neu ist das Fulvia Coupé HF 1.6 / Lusso

1971: Fulvia Sport 1600 wird eingeführt

1972: Sandro Munari siegt bei der Rallye Monte Carlo. Damit legt Munari für Lancia die Grundlage für den Gewinn der FIA International Championship for Manufacturers. Produktionsende des bei Zagato gefertigten Fulvia Sport

1973: Gewinn der Europäischen Rallyemeisterschaft 1973 für das Fulvia Coupé

1974: Die dritte Serie des Fulvia Coupé wird lanciert. Sandro Munari erringt mit einer Fulvia Platz drei bei der East African Safari Rallye

1976: Produktionsauslauf des Fulvia Coupé im Januar. Nachfolger wird das Lancia Beta Coupé

2003: Auf der IAA debütiert eine neue Fulvia als Concept Car

Wichtige Motorisierungen:

  • Lancia Fulvia Coupé 1.2 (1965-1969) mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Benziner (59 kW/80 PS), Vmax 160 bis 164 km/h;
  • Lancia Fulvia Sport 1.2 (1965-1967) mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Benziner (59 kW/80 PS), Vmax 169 km/h;
  • Lancia Fulvia Coupé 1.2 HF (1966-1967) mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Benziner (65 kW/88 PS), Vmax 170 km/h;
  • Lancia Fulvia Coupé Rallye 1.3 (1967-1969) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (64 kW/87 PS), Vmax 168 km/h;
  • Lancia Fulvia Sport 1.3 (1967-1969) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (64 kW/87 PS), Vmax 175 km/h;
  • Lancia Fulvia Coupé Rallye 1.3 S (1968-1976) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (66 kW/90 PS), Vmax 173 km/h;
  • Lancia Fulvia Sport Rallye 1.3 S (1968-1972) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (66 kW/90 PS), Vmax 180 km/h;
  • Lancia Fulvia Coupé Rallye 1.3 HF (1968-1969) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (74 kW/101 PS), Vmax 174 km/h;
  • Lancia Fulvia Coupé Rallye 1.6 HF (1969-1970) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (85 kW/115 PS bzw. 97 kW/132 PS), Vmax 180 km/h bzw. 190 km/h;
  • Lancia Fulvia Coupé 1.6 HF Lusso (1970-1973) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (85 kW/115 PS), Vmax 180 km/h;
  • Lancia Fulvia Sport 1.6 HF Lusso (1970-1972) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (85 kW/115 PS), Vmax 190 km/h.

Produktionszahlen:
Insgesamt 7.102 Lancia Fulvia Sport (1965-1972) und 139.797 Lancia Fulvia Coupé (1965-1976), davon 202 Fulvia Sport 1.2 (1965-1967), 1.602 Fulvia Sport 1.3 (1967-1969), 1.898 Fulvia Sport 1.3 S (1968-1970), 2.600 Fulvia Sport 1.3 S Serie II (1970-1972), 20.436 Fulvia Coupé 1.2 (1965-1969), 435 Fulvia Coupé 1.2 HF (1966-1967), 17.850 Fulvia Coupé Rallye 1.3 (1967-1969), 882 Fulvia Coupé Rallye HF (1968-1969), 16.827 Fulvia Coupé Rallye 1.3 S (1968-1969), 1.258 Fulvia Coupé Rallye 1.6 HF (1969-1970), 49.656 Fulvia Coupé 1.3 S Serie II (1970-1974), 3.690 Fulvia Coupé 1600 HF/Lusso (1970-1973), 28.763 Fulvia Coupé Serie III (1974-1976).

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