Die Verhandlung offenbarte ein Schicksal, das Verteidiger Michael Schnarch sichtlich nahe ging: "Es ist unglaublich, dass es in Europa im 21. Jahrhundert noch Kindersklaven gibt. Die Angeklagte wurde gezwungen, misshandelt, geschlagen. Sie musste im Park schlafen. Es ist ihr selten so gut gegangen wie jetzt, wo sie im Gefängnis sitzt."
Mädchen im Alter von drei Jahren an Tante verkauft
Das ursprünglich aus Bosnien stammende Mädchen war im Alter von drei Jahren an ihre Tante verkauft worden. Diese habe sie mit nach Belgien genommen und dort zur Diebin ausgebildet, erzählte die 17-Jährige einem Schöffensenat. Ab ihrem neunten Lebensjahr sei sie zum Stehlen gezwungen worden: "Sie hat mich nach Paris gebracht, damit ich die Leute beklaue."
Der Sohn ihrer Tante und andere Männer hätten sie überwacht und ihre Einkünfte nach Belgien abgeführt. Nachdem das Mädchen in Frankreich viermal verurteilt worden war, entschied die Tante, dass der Boden in Paris zu heiß war. Die damals noch 16-Jährige, die nie eine Schule besucht hat und weder lesen noch schreiben kann, wurde daher Anfang Juli nach Wien gebracht, wo sich mehrere Hintermänner ihrer annahmen.
Gemeinsam mit vier anderen Mädchen - großteils Verwandte, allesamt noch minderjährig - wurde sie von den Männern gezwungen, in bandenmäßigem Vorgehen Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Passanten an belebten Plätzen und Straßen in der Innenstadt zu bestehlen.
"Was hätte ich machen sollen?"
"Es ist mir schon schwer gefallen. Aber was hätte ich machen sollen?", gab die deutlich jünger aussehende 17-Jährige zu Protokoll. Mehrmals sei sie von der Polizei erwischt worden. Weil sie - offenbar glaubhaft - erklärte, erst zwölf zu sein, sei sie wieder laufen gelassen worden. Durchschnittlich vier Diebstähle habe sie pro Tag begangen. Sobald 15.000 bis 20.000 Euro zusammen waren, wurde die Beute der Tante nach Belgien überwiesen.
Am 8. Dezember wurden das Mädchen und eine Mittäterin, gegen die ein separates Verfahren verläuft, festgenommen. Anhand von Bildern aus den Überwachungskameras in den U-Bahn-Stationen und Zeugenaussagen konnten der 17-Jährigen schließlich 134 Delikte nachgewiesen werden. "Die Zahl ist unstrittig", erklärte Verteidiger Schnarch, der das Gericht ungeachtet des jugendlichen Alters seiner Mandantin ersuchte, jedenfalls eine unbedingte Freiheitsstrafe zu verhängen, "damit sie die Chance hat, im Gefängnis etwas zu lernen".
"Ich will ein anderes Leben haben"
Auf die abschließende Frage der Richterin, was nach ihrer Entlassung passieren wird, antwortete das Mädchen: "Ich will nicht mehr zu ihnen zurück. Ich will ein anderes Leben haben."
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