"Krone"-Rezension

Kid Rocks nostalgische Midlife-Crisis-Rückschau

Musik
17.02.2015 08:00
Mit seinem zehnten Studioalbum "First Kiss" attackiert der amerikanische Country-Rocker Kid Rock einmal mehr die Mainstream-Charts. Zwischen sanften Balladen und nostalgischen Lebensrückschauen ist dem 44-Jährigen im gesetzteren Alter zwar das kompositorische Feuer verloren gegangen, doch er weiß immer noch, wie man griffige Hits schreibt.
(Bild: kmm)

Kaum ein anderer Musiker trägt seit mehr als 20 Jahren die Fahne des amerikanischen White-Trash-Prolls mit so viel Stolz, kaum ein anderer Musiker verstand es, Rap, Rock, Country und Heavy Metal derart glaubhaft zu verbinden, und kaum ein anderer Musiker hat sich bei seinen großen Hits so offensichtlich in die Nesseln des Plagiats gesetzt: Ob auf "American Bad Ass" mit dem geborgten Metallica-Riff von "Sad But True", den Sheryl-Crow-Vibes auf "Picture" oder Lynyrd Skynyrds "Sweet Home Alabama"-Lick auf der europaweiten Nummer-1-Single "All Summer Long".

Im Geläuf des Mittelschicht-Proleten
Heute ist Kid Rock 44, die hellbraunen, stets etwas fettig wirkenden, strähnigen Haare sind noch immer unter den Hut gestopft, der Pelzmantel und die Cowboyboots sind längst unverzichtbare Accessoires geworden und fast die gesamte Rap-Vergangenheit hat er gegen seine offenkundige Liebe für die Republikaner eingetauscht. Anstatt mit einem rappenden Kollegen fette Rhymes ins Mikro zu spitten, geht er lieber mit Country-Star Ted Nugent Pumas schießen. Es scheint fast so als hätte Kid Rock sein selbst erschaffenes Klischee nun endgültig zum Leben erweckt und würde sich satt und voller Selbstzufriedenheit im weitreichenden Geläuf des rüden Mittelschicht-Proleten suhlen.

Das alles mag mittlerweile seine Richtigkeit haben, doch wenn es um die Musik geht, dann führt Robert James Ritchie, so sein Geburtsname, noch immer der Hunger nach Erfolgen, Selbstbestätigung und radiotauglichen Songs, welche Working Class Heros zwischen 20 und 80 zu Hymnen ihres Alltags küren. Zumindest eine derartige Hymne kam Kid Rock bislang noch auf jedem Album aus, auch wenn das Gesamtergebnis die biedere Durchschnittlichkeit nicht zu überbieten wusste. Was dem einen sein "All Summer Long" oder "Born Free", ist dem anderen anno 2015 "First Kiss". Wie Song- als auch Albumtitel bereits andeuten, ergibt sich der Rocker aus Michigan der Sehnsucht nach alten Zeiten und scheitert somit schon zu Albumbeginn am Kardinalsfehler – anstatt feurig in die Zukunft zu blicken, hängt er wehmütig dem Gestern nach.

Auf dem Kriegsfuß mit dem Internet
Zugegeben – es ist eine romantische Vorstellung, wie good old Kid Flamme Jenny Clayton in seinem alten Cheyenne durch die Straßen kutschiert, sich beide von Tom Petty umschmeicheln lassen und der unschuldigen jungen Liebe hingeben. Herrlich romantisch und typisch Kid Rock – dieses Mal stiehlt er die Melodie schamlos von Bryan Adams' Jahrhundert-Hit "Summer Of '69", was dem Hitpotenzial der sommerlichen Roadmovie-Single aber nur zuträglich ist und schon jetzt einen veritablen Chart-Erfolg garantiert. Bereits im zweiten Song "Good Times, Cheap Wine" outet sich Kid Rock ein weiteres Mal als unverbesserlicher Nostalgiker. "Ich bin verdammt alt. Ich verstehe weder das verdammte Internet noch die hippen Kids am kalifornischen Coachella-Festival", so der passionierte Retro-Fanat, der sich zudem auch noch entschieden gegen Coldplay deklariert.

Ja, will denn Kid Rock absichtlich die jüngere Käuferschicht abstoßen? Mitnichten. Der Mittvierziger scheint nur in einer ausgewachsenen Midlife-Crisis zu stecken und hat sich "First Kiss" zum musikalischen Ventil seiner eigenen Sorgen und Ängste gewählt. Das dürfte auch der Grund sein, warum sein mittlerweile zehntes Studioalbum so ganz ohne Ecken und Kanten, mit viel zu glatt poliertem Sound aus dem Äther klingt. "Johnny Cash", ein streichelweiches Pop/Rock-Stück über die Beziehung zwischen Johnny und June Carter, das Quasi-Aerosmith-Cover "Ain't Enough Whiskey" und die süßliche Ballade "Drinking Beer With Dad" weisen dabei erstaunlich viele Parallelen auf. In sämtlichen Songs ist Kid Rocks Liebe für den uramerikanischen Country unwiderlegbar, überall scheut er den Mut zu kompositorischer Tiefe, aber genau deshalb weist dieses Album wohl mehr Hits auf als seine letzten beiden zusammen.

Erstes Kapitel der zweiten Karriere
Das liegt mitunter auch an der biederen Gefälligkeit, die sich durch sämtliche Kompositionen zieht. Kid Rock geht kein einziges Mal ein musikalisches Risiko ein, verzichtet auch völlig auf Up-Tempo-Rocker und tuckert lieber gemächlich und entschleunigt auf seinem Akustik-Boot durch mehrfach befahrene Sümpfe der Selbstzufriedenheit. Das ist natürlich beileibe nicht schlecht – vielmehr ist Kid Rock mit "First Kiss" nicht nur ein grundsolides Country-Rock-Album gelungen, sondern auch das erste Kapitel seiner zweiten Karriere. Mit dem Fokus auf "Sicherheit" gesetzt, ist ihm ein Eintrag in die großen Rock-Annalen gewiss. Dass man ihm mangelnde Innovation vorwirft, wird ihm egal sein. Kreativität stoppt schließlich keine Mäuler. Und vielleicht kriegt Kid Rock irgendwann auch das mit dem Internet hin. Ansonsten läuft er Gefahr, sich auch mit den letzten Poren im eigenen Klischee zu verfangen.

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