"Krone" vor Kobane

“Freiheit der Kurden mit Kinderblut geschrieben”

Ausland
28.10.2014 14:33
Der Krieg ist ganz nah, nur ein paar 100 Meter entfernt. Die Granateneinschläge, die Explosionen der Raketen, den Geschützdonner, das Knattern der automatischen Waffen – all das kann man hören. Und sehen: vor allem die gewaltigen Explosionen während der Luftangriffe der US-geführten Allianz gegen die Barbaren des Islamischen Staates (IS), der seit mehr als 45 Tagen die Kurdenstadt Kobane an der syrisch-türkischen Grenze belagert. Ein "Krone"-Lokalaugenschein.

"Ich bin jede Nacht hier in einem Dorf direkt an der Grenze", sagt die 31-jährige Felek (Name von der Redaktion geändert), die früher im EU-Parlament in Brüssel gearbeitet hat und sich jetzt als Koordinatorin von der Türkei aus für die kurdischen "Freiheitskämpfer" in Kobane, wie sie die Verteidiger nennt, engagiert. "In der Nacht", so die in Deutschland aufgewachsene Kurdin, "sind die Gefechte besonders hart und intensiv. Ich erkenne die einzelnen Waffen bereits an ihren Geräuschen."

Jede Nacht schieben die Kurden Wache auf der türkischen Seite der Grenze. Erst vor ein paar Tagen ist dabei ein junger Kurde – eigentlich fast noch ein Bub – von der Kugel eines IS-Terroristen aus Syrien in den Hals getroffen worden. Bei den geringen Distanzen kennen die Kugeln keine Grenzen. Er liegt auf der Intensivstation.

Schwere Vorwürfe gegen Türken-Führung
"Die Türken", sagt Felek, "kooperieren mit dem IS." Sie zeigt auf ihrem Handy ein Foto, auf dem türkische Soldaten zu sehen sind, die IS-Terroristen zuwinken, die nur wenige Meter vom Grenzzaun entfernt in einen Tunnel steigen, der unter dem Zaun hindurch geradewegs auf türkisches Gebiet führt. "Der Nachschub für die Islamisten kommt über die Türkei", sagt die 31-jährige Deutsch-Kurdin. Und natürlich auch neue Kämpfer.

Obwohl die Türkei mittlerweile auf dem Papier der Allianz gegen den Terror beigetreten ist, werden von IS-Anwerbern von Istanbul bis Ankara Dschihadisten rekrutiert, behaupten die Kurden - jugendliche EU-Bürger, verblendete Islamisten aus dem arabischen und zentralasiatischen Raum, vor allem aber Türken.

Baldige Verstärkung durch 150 Peschmerga-Kämpfer
Im Kampf gegen die IS-Terrormiliz sollen die Verteidiger der Heldenstadt Kobane nun endlich Verstärkung von kurdischen Peschmerga-Kämpfern aus dem Nordirak erhalten. Etwa 150 Peschmerga sollen per Flugzeug zunächst in die Türkei gebracht werden. Sie sollen den Kurden in Nordsyrien mit neuen schweren Waffen helfen und können über die Türkei in die belagerte Stadt verlegt werden, nachdem die Regierung in Ankara dafür die Erlaubnis gegeben hatte.

In Kobane keine intakte Fensterscheibe mehr
Bis heute leben im umkämpften Kobane noch 5.000 bis 10.000 Zivilisten, erzählt Felek, die täglich in telefonischem Kontakt mit den Verteidigern steht. In einer Stadt, in der es keine intakten Fensterscheiben mehr gibt. In der die Mauern der Häuser durchsiebt sind von Kugeln, in der ständig Granaten und Raketen einschlagen.

"Wir müssen jetzt die Leichen abholen"
"Ich muss jetzt los", sagt Felek nach einem kurzen Telefonat. "Wir müssen die Leichen der heute getöteten Freiheitskämpfer abholen." Sie sagt das, als wäre es das Normalste der Welt – mit einem leicht verlegenen Lächeln auf den Lippen. Es ist schon spät in der Nacht...

Am Dienstagmorgen stehen wir an der Grenze zu Syrien, dem Krieg zum Anfassen nahe, mit den drei österreichischen Abgeordneten Andreas Schieder, der Grünen Berivan Aslan und Elisabeth Pfurtscheller von der ÖVP, die sich persönlich ein Bild von der Lage hier machen wollen. Sie werden bestürmt von kurdischen Politikern und Journalisten, die dankbar sind für jeden, der sich wirklich für ihre Situation hier interessiert. Der helfen will. Militärisch oder humanitär wie im Fall der Österreicher.

Österreich für humanitären Korridor zur Versorgung Kobanes
Besonders wichtig wäre den Kurden ein humanitärer Korridor zur Versorgung von Kobane. Und da können Schieder und seine beiden Kolleginnen berichten, dass sich der außenpolitische Ausschuss des österreichischen Parlaments jüngst einstimmig für die Errichtung eines solchen Korridors ausgesprochen hat. Österreich ist das erste Land der Welt, in dem das beschlossen wurde.

Die Kurden jedenfalls sind entschlossener denn je, für ihre Freiheit zu kämpfen. Alsche Efendi, die Co-Vorsitzende des Regionalparlaments in Kobane sagt: "Das ist ein neues Kapitel in der kurdischen Geschichte. Ein Kapitel, das mit dem Blut unserer Kinder geschrieben wird!"

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